Der Pfandbrief geht nicht unter
Der Pfandbrief 1796-2019. Friederike Sattler. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019. ISBN 978-3-515-12291-7, 392 Seiten. 49 Euro. Von Thomas List, FrankfurtDie Liebesgeschichte ließ sich fast in einem Rutsch durchlesen, 255 Seiten, in ein paar Stunden. Die 301 Seiten reiner Text der vom Institut für Bank- und Finanzgeschichte im Auftrag des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (VDP) herausgegebenen Festschrift haben etwas länger gedauert – nicht nur, weil es 46 Seiten mehr waren (und alle Seiten viel enger bedruckt waren), sondern weil die Geschichte des Pfandbriefs denn doch nicht so romantisch ist. Am Anfang steht die FürsorgeImmerhin, am Anfang stand zumindest Fürsorge für die Landwirte, pardon: Großgrundbesitzer, die vor der Pleite standen. Schuld waren mehrere Kriege, vor allem in Schlesien, das über Jahrzehnte hart umkämpft war. Hilfe musste her, vor allem deshalb, weil die zumeist adligen Landbesitzer zu den Stützen des Staates gehörten – Preußens, denn wir schreiben das Jahr 1769. Friedrich der Große wollte sie nicht untergehen lassen und veranlasste mit der “Cabinets-Ordre” vom 29. August 1769 die Gründung der Schlesischen Landschaft, die dann Ende 1770 den ersten Pfandbrief herausgab. Der verbreitet sich, erst in Preußen, dann auch in anderen deutschen Ländern, übersteht weitere Kriege wie die Napoleonischen, dient nicht mehr nur zur Finanzierung der Landwirtschaft, sondern auch dem (städtischen) Wohnungsbau und wird schließlich zu einem beliebten Anlagemedium für Privatpersonen.Ende des 19. Jahrhunderts, als es nach zwei Gründungswellen schließlich 40 Hypothekenbanken waren, kamen neun von ihnen in Schwierigkeiten, eine ging in Konkurs. Um das Vertrauen wiederherzustellen, wurde 1899 ein einheitliches Hypothekenbankgesetz für das Deutsche Reich geschaffen, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat. Im 20. Jahrhundert hinterlassen zwei Weltkriege, Wirtschaftskrise und Nazidiktatur ihre tiefen Spuren auch beim Pfandbrief. 1914 verdrängt die öffentliche Hand als Schuldner praktisch alle anderen Marktteilnehmer, auch die Pfandbriefemittenten. Nach dem Krieg kommen dann bald die Hyperinflation, Währungsreform, die Hauszinssteuer. Letztere belastete die Hauseigentümer zwar nicht unerheblich – bis zu 20 % der Miete wurden abgeschöpft – doch kamen diese Mittel dem Wohnungsbau und damit via Kreditaufnahme auch den Hypothekenbanken zugute. Das Kreditgeschäft zog wieder stark an, was natürlich auch finanziert werden musste. Von 1924 bis 1931 entfielen 41 % aller festverzinslichen Neuemissionen auf Pfandbriefe. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg waren es nur 24 %.Dann zwang die Bankenkrise 1931/32 einige Institute zu Fusionen. Aber: “(…) gerade der Pfandbrief (hatte sich) in der Weltwirtschafts- und Bankenkrise als relativ krisenfest erwiesen”, wie Friederike Sattler, Historikerin an der Goethe-Universität Frankfurt und die Autorin der meisten Beiträge der Jubiläumsschrift, schreibt. Willige VollstreckerIn der Zeit des Nationalsozialismus erweisen sich auch die Verantwortlichen der Hypothekenbanken als willige Vollstrecker des Willens der Machthaber. Der Zweite Weltkrieg ließ das Kredit- und das Emissionsgeschäft schließlich zum Erliegen kommen. 1945 lief das Geschäft naturgemäß erst wieder langsam an. Der Wohnungsbau stand im Zentrum. Erst 1958 erreichte der Pfandbriefumlauf wieder den Wert von 1938, allerdings bei einer deutlich geringeren Zahl an Hypothekenbanken. Besonders stark wuchs das Geschäft mit der öffentlichen Hand. Der Umlauf von Kommunalobligationen übertraf Anfang der siebziger Jahre erstmals den der Pfandbriefe.In den siebziger Jahren schritt auch der Strukturwandel bei den privaten Hypothekenbanken voran. Ihre Zahl schrumpfte und sie wurden fast alle in Bankkonzerne eingebunden, so dass Finanzierungen aus einer Hand möglich wurden, die die Hypothekenbanken alleine ja aufgrund des Hypothekenbankgesetzes nicht darstellen durften. 1975 gab es noch 19 reine und drei gemischte Hypothekenbanken. Dazu kamen 24 öffentlich-rechtliche Bodenkreditinstitute, von denen heute nicht einmal mehr eine Hand voll existieren. Internationale BedeutungUnd dann kommt ab Seite 212 Europa. Bisher war der Pfandbrief zumindest auf der Aktivseite (nicht aber bei den Investoren) eine fast nur deutsche Angelegenheit. Ab Mitte/Ende der achtziger Jahre ging es um eine Harmonisierung des europäischen Pfandbriefrechts, was unter anderem das Konkursvorrecht betraf. Ab 1990 konnten die deutschen Hypothekenbanken dann in allen EU-Mitgliedstaaten wie im Inland tätig werden. Im Inland boomten die Kommunalobligationen unter dem neuen Namen “Öffentliche Pfandbriefe” und ab 1995 bzw. 1999 verhalfen die Jumbo-Pfandbriefe dann dem Pfandbrief auch international endgültig zum Durchbruch. Vorläufiger Schlusspunkt der Ausführungen Sattlers sind die Großfusion zur (neuen) Eurohypo und die Aufgabe des Spezialbankprinzips mit der Einführung des Pfandbriefgesetzes am 19. Juli 2005.Für Fritz Engelhard, Covered-Bond-Analyst bei der Barclays Bank Ireland in Frankfurt, ist in seiner Betrachtung der Jahre ab 2005 bis in die Gegenwart die Aufgabe des Spezialbankenprinzips eine Folge der europäischen Integration, wobei er als eigentlichen Katalysator die fortschreitende Konzentration auf gemischte Hypothekenbanken (Eurohypo, Hypo Real Estate HRE) ansah. Denn damit gerieten die reinen Hypothekenbanken immer weiter ins Hintertreffen. Anschaulich schildert Engelhard die Finanzmarktkrise, Schieflage und Rettung der HRE und die Folgen für den Pfandbriefmarkt. Die Harmonisierung der Covered Bonds auf EU-Ebene hält er für richtig, da sie sich an den hohen Sicherheitsstandards des deutschen Pfandbriefs orientiert. Engelhard wagt abschließend die Prognose, dass “der Pfandbrief als Qualitätsprodukt einen festen Platz im europäischen Recht bekommt”.Im Epilog warnen beide Autoren angesichts einer möglichen Richtlinie für European Secured Notes (ESN) und grünen bzw. ESG-Pfandbriefen vor einer Verwässerung des hohen Qualitätsstandards des Pfandbriefs. Sattler und Engelhard gehen aber davon aus, dass der Pfandbrief “voraussichtlich auch mit diesen neuen Herausforderungen gut zurechtkommen wird”. Das hat sich mit der Anfang 2019 erreichten Einigung zwischen EU-Parlament und Kommission über die Mindestanforderungen für Covered Bonds und die Einführung eines Qualitätssiegels “Europäische gedeckte Schuldverschreibung” bestätigt. Ein langer WegZugegeben, es ist ein langer Weg, bis man auf Seite 301 angekommen ist. Aber er lohnt sich für alle, die sich für vor allem deutsche Wirtschafts- und Finanzgeschichte interessieren und erfahren wollen, wie ein deutsches Finanzinstrument alle Irr- und Wirrnisse der deutschen und europäischen Geschichte überstehen und zu einem auch international bedeutsamen Finanzierungs- und Anlagemedium werden konnte. Der Schreibstil ist eingängig, der Text wird alle paar Seiten durch Fotos, Grafiken und Tabellen aufgelockert. So, und jetzt wieder was fürs Herz.