Wertpapierhandel

Der Reiz liegt in den Kickbacks

Mit Wertpapierhandel zum Nulltarif fordern Low-Cost- oder Neobroker die etablierten Online-Broker, aber auch klassische Börsen heraus. Dabei ist das System stark davon abhängig, inwieweit der angeschlossene Market-Maker mehr Ertrag generieren kann, als die Rückvergütungen an den Neobroker ausmachen.

Der Reiz liegt in den Kickbacks

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Morgens um 7:30 Uhr, wenn das Börsenhandelssystem Xetra noch schläft, beginnt auf der LS Exchange (LSX) der Wertpapierhandel, auf Gettex und Quotrix nur eine halbe Stunde später. Solange der wichtigste deutsche Referenzmarkt noch geschlossen ist, gehen an den anderen Handelsplattformen die Spreads, also die Spannen zwischen den Quotes auf der Geld- und Briefseite, oft stark auseinander – bei einer ohnehin hohen Volatilität. Dasselbe gilt etwa für US-Aktien, die vor der Öffnung der New York Stock Exchange um 14:30 Uhr MEZ gehandelt werden.

„Anleger, die um diese Zeiten auf derartigen Plattformen handeln wollen, sollten sich bewusst sein, dass sie dann Gefahr laufen, schlechtere Preise zu bekommen als zu den Haupthandelszeiten – erst recht, wenn es um marktenge Papiere geht“, sagt dazu Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DWS). Genau dieser Effekt aber ist Teil des Kalküls, ohne den das Geschäftsmodell der sogenannten Neobroker kaum funktionieren würde. Die Rede ist von Anbietern wie Justtrade, Gratisbroker, Smartbroker, Trade Republic oder Scalable Capital.

Kunde zahlt wenig bis nichts

Seit sich die Neobroker vor zwei Jahren Gettex, LSX oder Quotrix als Ausführungsplätze auserkoren haben, erleben diese elektronischen Handelssysteme der Börsen München, Hamburg und Düsseldorf ungeahnte Höhenflüge. Umso mehr in den Boomzeiten, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa kein Ende zu finden scheinen.

Der Clou an der Sache ist, dass bei allen Modellen mit Neobrokern explizite Kosten wie Börsenentgelt und Courtage für den Endkunden wegfallen. Möglich wird dies durch einen festen Market-Maker als Dritten im Bunde, der dem Neobroker für jede Börsenorder nach dem Prinzip „Payment for Orderflow“ eine Rückvergütung gewährt. Dank dieses sogenannten Kickbacks können die Neobroker dem Endkunden der Handel gegen eine sehr geringe Gebühr oder sogar zum Nulltarif anbieten.

„Die in der Branche üblichen Rückvergütungen werden für den Orderflow gezahlt, den der Broker an den Handelsplatz weitergibt“, sagt Christian Hecker, Gründer von Trade Republic, der Börsen-Zeitung. Dies kommt einer Revolutionierung der Handelskosten gleich, weshalb das Geschäftsmodell am Markt auch als Attacke auf die klassischen Börsen gewertet wird, wo eine Order schnell zehn Euro oder mehr kosten kann.

1,30 Euro pro Transaktion

Der Neobroker Trade Republic etwa, bei dem der Kunde den Handel komplett über eine App abwickelt, kassiert laut seinen Geschäftsbedingungen vom Market-Maker Lang & Schwarz bis zu drei Euro an Kickback-Zahlungen pro Kundenorder auf der LSX, im Schnitt einen einstelligen Cent-Betrag pro 100 Euro Investment. Die Kunden selbst bezahlen gerade mal einen Euro Gebühr. Mit durchschnittlich 1,30 Euro pro Transaktion beziffert Trade Republic seine Rückvergütungen.

Die Münchener Gratisbroker GmbH kassiert nach eigenen Angaben 2,75 Euro pro Trade von der als Market-Maker fungierenden Baader Bank auf Gettex als Rückvergütung. Für ETF-Orders sind es zwei Euro und für Fondsorders fünf Euro. „Die tatsächlichen Werte liegen dabei regelmäßig sehr weit unter den theoretisch möglichen, im Vertragswerk genannten, Maximal-Beträgen“, betont der CEO von Gratisbroker, Malte Rubruck.

Die Einschränkungen, die der Endkunde für günstige Konditionen in Kauf nehmen muss, bestehen in einer geringeren Produktauswahl, die sich an wenigen oder eben nur einem Börsenplatz handeln lassen (außer bei Smartbroker). Dasselbe gilt bei Zertifikaten oder ETFs, die man bei Neobrokern in der Regel von wenigen oder nur einem Emittenten handeln kann. Und auch hierfür gibt’s Kickbackzahlungen vom Emittenten. Die Rückvergütungen des Derivate-Emittenten HSBC an Gratisbroker etwa liegen bei durchschnittlich vier Euro pro Trade.

Durch diesen Mechanismus der Rückvergütungen, die von der EU kritisch gesehen werden und in Großbritannien sowie den Niederlanden gänzlich verboten sind, sind in dem Modell implizite Interessenkonflikte angelegt. Schließlich dürfen die Kickbacks laut Rechtsprechung bei der Weiterleitung der Order durch den Neobroker an ein Market-Maker-Modell keine Rolle spielen. Kein Wunder also, wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf die noch jungen Geschäftsmodelle ein waches Auge hat.

„Auch wenn Rückvergütungen nicht verboten sind, dürfen diese nicht zu Fehlanreizen bei der Ausführung von Kundenaufträgen führen“, macht BaFin-Sprecherin Anja Schuchhardt klar. Daher müsse der Neobroker dafür sorgen, latente Interessenkonflikte zu vermeiden oder diesen durch organisatorische Vorkehrungen so zu begegnen, dass eine Beeinträchtigung der Kundeninteressen vermieden wird, etwa bei der Preisfeststellung des Market-Makers. Außerdem zählen hierzu die Offenlegung von Kickbacks und Kosten. „Die BaFin geht Auffälligkeiten bei Neobrokern nach, etwa wenn diese nicht transparent über Rückvergütungen oder Kosten informieren“, so die Sprecherin. Ansonsten unterliegen Neobroker und Market-Maker ohnehin der laufenden Aufsicht durch die BaFin.

Mit den Neobrokern sind damit parallel zu den arrivierten Börsen neue, für den Privatanleger günstigere Handelsplätze entstanden, die alle den Segen der öffentlich-rechtlichen Börsen haben, weshalb sie auch von der jeweiligen Handelsüberwachung kontrolliert werden. Die Transaktionen, die auf den Parallel-Plattformen zustande kommen, gelten daher als börslich und fließen in die Orderbuchstatistik der Handelsplätze ein. Dafür bekommen die Börsen ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Gebühren für die Zulassung als Market-Maker und für Wertpapiere sowie ein marktübliches Entgelt für die Systemnutzung.

Preise wie außerbörslich

„Ein Ziel bei der Ausgestaltung von Gettex war es, Anlegern ein faires Angebot zu unterbreiten, über eine echte Börse zu außerbörslichen Konditionen zu handeln, bei Zertifikaten genauso wie bei allen anderen Wertpapieren“, erläutert Robert Ertl, Vorstand der Bayerischen Börse. Zugespitzt gesagt, sind also börslich überwachte Handelsplätze entstanden, an denen die Trades zu günstigeren Preisen erfolgen, wie sie sonst nur außerbörslich gelten.

Damit verbindet sich bei den Börsen auch die Hoffnung, wenigstens einen Teil des an außerbörsliche Plattformen verloren gegangenen Geschäfts wieder zurückzuholen. Rückvergütungen aber fließen seitens der Börsen keine, weder in die eine noch in die andere Richtung, wie Thomas Ledermann, Geschäftsführer der Börse Hamburg und Vorstand der BÖAG, versichert. Grundsätzlich könnten zwar mehrere Market-Maker einen Handelsplatz bedienen. „Wir sehen bei der LSX hierfür aber keine Notwendigkeit“, so Ledermann.

Nebenhandelsplätze im Fokus

Klar ist, dass das Modell dauerhaft nur dann florieren kann, wenn alle Beteiligten eine befriedigende Marge erzielen. Insbesondere für den Market-Maker geht es darum, zusätzlich zu den Kickbacks, die er dem Neobroker bezahlt, noch einen zufriedenstellenden Ertrag zu generieren. Die hohe Kunst des Market Making bestehe eben darin, in die Quotes ein adäquates Risiko einzupreisen – besonders wenn die entsprechenden Referenzmärkte ge­schlossen seien –, um unterm Strich noch was zu verdienen, sagt dazu Nico Baader, CEO der Baader Bank in München (siehe dazu nebenstehendes Interview), die als Market-Maker auf Gettex fungiert.

Gestandene Börsianer gehen davon aus, dass sich das Modell nur aufgrund größerer Spreads in den Nebenhandelszeiten rechnet, sowie insbesondere durch das Geschäft mit marktengen Nebenwerten. Allein mit liquiden Blue Chips, die in der Regel sehr enge Spreads aufweisen, würde demnach das Geschäftsmodell nur schwer funktionieren.