Der schwierige Ausstieg der britischen Bankenretter
Von Carsten Steevens, LondonVerkaufen oder (noch) nicht verkaufen, das ist hier die Frage. Die britische Regierung denkt über die Reprivatisierung jener beiden Großbanken nach, denen die Steuerzahler des Inselstaats auf dem Höhepunkt der Finanzkrise vor gut vier Jahren unfreiwilligerweise mit Kapitalhilfen von insgesamt 66 Mrd. Pfund zur Seite eilen mussten. Weil die Aktienkurse der Royal Bank of Scotland (RBS) und der Lloyds Banking Group in den vergangenen zwölf Monaten kräftig zulegten – Lloyds ist mit einer Steigerung um 135% in diesem Zeitraum sogar stärkster Blue-Chip-Wert –, hat die Ausstiegsdebatte in diesem Frühjahr eine bislang nicht gekannte Dynamik angenommen. Sogar der britische Premier David Cameron schaltete sich mit dem Hinweis ein, “offen für alle Ideen” zu sein. Zwar betonte er auch die noch notwendige vollständige Gesundung der Banken. Doch zeigen die Bemerkungen, dass der Verkauf der Bankbeteiligungen auf der politischen Agenda inzwischen weit nach vorn gerückt ist.Dabei erscheint es auf den ersten Blick seltsam, dass vor allem die konservative Partei um Regierungschef Cameron, aber auch die beiden zu 82% bzw. 39% verstaatlichten Kreditinstitute selbst zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich Druck aufbauen. Zwar hat die Aktie der größten Privatkundenbank des Landes, Lloyds, am Freitag vergangener Woche mit 61 Pence jene “Break-even”-Marke erreicht, die der Regierung nach Verrechnung von 2,5 Mrd. Pfund aus der impliziten Inanspruchnahme des staatlichen Versicherungsschutzes für toxische Wertpapiere durch Lloyds keinen Verlust mehr bescheren würde.Doch trifft der Hinweis Camerons zu: Beide Häuser sind mit Umbau und Bilanzbereinigung noch nicht durch. Erst in den vergangenen Monaten platzte beispielsweise bei beiden Banken ein von der EU-Kommission bis Jahresende verlangter Filialverkauf. Die RBS dürfte 2013 den sechsten Jahresfehlbetrag in Folge verbuchen, Lloyds stellte auf der Hauptversammlung vor wenigen Tagen immerhin den ersten Jahresgewinn seit 2010 in Aussicht. Wahlen im BlickDie Unruhe ist vor allem mit Blick auf die RBS erstaunlich, weil der Eindruck entsteht, als orientiere sich die Regierung mit Blick auf rasche Privatisierungserlöse eher an politischen Zielen wie der Sanierung des Staatshaushalts oder an der Steigerung der Erfolgsaussichten bei den im Frühjahr 2015 erwarteten Unterhauswahlen als an einem Verkauf der Beteiligungen ohne Verluste für den Steuerzahler. Die RBS, deren Chairman gerade für sein Haus die Hoffnung ausdrückte, Mitte nächsten Jahres bereit zu sein für den Start der Reprivatisierung, wies für das erste Quartal zwar dank des Ausbleibens neuer Sonderbelastungen durch Rückstellungen zur Erstattung ungeeigneter Produkte oder durch Strafen wie im Libor-Skandal einen Gewinn aus. Doch der operative Gewinn der Bank, die 2008 mit 24 Mrd. Pfund für den größten Jahresverlust der britischen Unternehmensgeschichte sorgte, fiel im Kerngeschäft wegen Schwächen im schrumpfenden Investment Banking deutlich geringer aus als erwartet.Diese Zahlen lassen in Verbindung mit der Ankündigung der britischen Notenbank über einen Kapitalbedarf britischer Banken von insgesamt 25 Mrd. Pfund bis Jahresende vermuten, dass der Zeitwert der RBS-Aktie derzeit deutlich unterhalb der Marke von 504 Pence liegt – dem durchschnittlichen Einstandspreis, zu dem die Labour-Vorgängerregierung die Beteiligung erwarb. Bei einem Preis von gestern 34 Pence ist fraglich, ob der Buchwert bis 2015 erreicht sein kann. VerlustrisikenDie Regierung steht vor drei Fragen: Sie muss erstens abschätzen, über welches Steigerungspotenzial die RBS-Aktie verfügt und ob und wann der Buchwert der Beteiligung erreicht werden kann. Dies werde sich erst richtig nach Abschluss der Restrukturierung erweisen, warnte der an der Bankenrettung beteiligte ehemalige britische Finanzminister Alistair Darling gerade in der “Financial Times” vor einem allzu eiligen Start des Verkaufs.Zweitens spielt eine Rolle, wann die Bank hinreichend genesen ist, um die Kreditvergabe an Unternehmen zu steigern und das Wirtschaftswachstum im Land zu unterstützen. Drittens – und hier wird am ehesten deutlich, warum die Ausstiegsdebatte in Fahrt gekommen ist – muss die Regierung kalkulieren, ob und inwiefern Verlustrisiken bei einer noch längerfristigen Beteiligung zunehmen könnten. Eine Veräußerung in mehreren Etappen mit einem baldigen Start, um die Attraktivität der Aktie für Investoren genauer zu erfassen, könnte sinnvoll sein.Aber auch bei Lloyds erscheint das richtige “Timing” schwierig: Die Regierung könnte dort eher als bei RBS ohne Verluste aussteigen, doch birgt ein früher Verkauf die Gefahr, leichtfertig absehbare Kurssteigerungschancen ausgelassen zu haben. Angesichts dieses Dilemmas erinnerte der “Economist” an den Verkauf von nahezu der Hälfte der britischen Goldreserven in den Jahren 1999 bis 2002. Der damalige Schatzkanzler Gordon Brown verkaufte für durchschnittlich 275 Dollar je Unze – am Ende einer zwei Jahrzehnte dauernden Talfahrt des Goldpreises. Im Laufe der nächsten Dekade kletterte das Edelmetall über 1800 Dollar.