Der Spagat der Schufa
Ohne Informationen zur Kreditwürdigkeit, so unterstreicht die Schufa, wäre der Kreditmarkt ein anderer. Denn ein Darlehen an irgendeinen Menschen auf der Straße würde mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 12% ausfallen. Werden diejenigen aussortiert, die als Schuldner negativ in öffentlichen Verzeichnissen vermerkt sind, sinkt die Quote laut Schufa auf 7%. Negative Einträge, die darüber hinaus der Auskunftei bekannt sind, können die Ausfallrate auf etwa 4% drücken. Kommen dann noch diverse weitere „positive“ Merkmale hinzu – Angaben zu Girokonten, Dispokredit, Kreditkarten und Immobiliendarlehen – lässt sich das Risiko statistisch auf etwa 2% drücken. Die Kunden der Schufa, also Banken und Sparkassen, Händler, Telekommunikationsfirmen und Energieversorger, ziehen darüber hinaus selbst Daten zu den Kunden heran. „Geschäft möglich machen“ sei das Ziel der Gesellschaft, sagt Schufa-Chefin Tanja Birkholz.
Die „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“, die ihre Wurzeln im Jahr 1927 verortet, ist eine mächtige Institution. Sie verfügt über Daten zu 68 Millionen Menschen, also fast allen erwachsenen Bundesbürgern, sowie zu sechs Millionen Unternehmen. Pro Tag erteilt sie im Durchschnitt 510000 Auskünfte. Zwar fehlen der Schufa Angaben zu Einkommen und Geldvermögen. Der Vorteil der Auskunftei liegt aber in der umfassenden Sammlung von Daten, die sie von diversen Geldhäusern und Unternehmen zusammentragen kann. Mit ihrem Geschäftsmodell ist die Schufa nicht allein. So sammelt auch Crif Daten zu Privatpersonen ein, während Creditreform sich stärker auf Auskünfte zu Unternehmen spezialisiert hat.
An der Schufa kommt eine Privatperson kaum vorbei, die ein Darlehen braucht oder etwa größere Summen auf Rechnung bezahlt. Vom Urteil des Wiesbadener Unternehmens hängt viel ab. Ihr Modell ist ausgefeilt und erlaubt weitgehend zuverlässige Prognosen, aber es ist keineswegs perfekt.
Die Macht der Schufa äußert sich in ihrer Reputation: Die Organisation ist fast jedem bekannt, und die meisten Menschen haben eine neutrale Haltung zur Auskunftei. Aber eine Minderheit von 23% stuft die Schufa als negativ ein. Das ist angesichts der Wirkung einer schlechten Schufa-Note keine Überraschung. Wenn eine Person mit einem Zahlungsausfall gespeichert ist, machen viele Geldgeber einen Bogen um sie, auch wenn letztlich nicht die Schufa, sondern Banken und Unternehmen entscheiden.
Zwar liegt zu mehr als 90% der Personen kein Negativeintrag vor. Doch auch die „positiven“ Informationen können den Score negativ beeinflussen – zum Beispiel, wenn eine Person aktuell besonders viele Ratenkredite abbezahlt. Die Schufa als Möglichmacher? Das ist eine Frage der Perspektive.
Das Geschäft ist also sensibel. Zugleich ist es profitabel. Die Zahl der Anfragen wächst ebenso rasant wie Umsatz und Gewinn (siehe Grafik). Ein Treiber sind Zahlungen auf Rechnung im Online-Handel, aber auch die wachsende Bedeutung von Kreditplattformen. Sie binden mehrere Banken ein, die ihrerseits Anfragen stellen.
Finanzinvestor springt auf
Mit ihrem Erfolg fällt die Schufa auf: Befindet sich das Unternehmen bislang überwiegend in den Händen der deutschen Kreditwirtschaft, so steht nun der schwedische Finanzinvestor EQT davor, die Anteile von Deutscher Bank und Commerzbank von insgesamt 18,6% zu erwerben und auf diese Weise einen Minderheitsanteil zu erhalten. Eine Mehrheit am Unternehmen ist für EQT bisher aber außer Reichweite: Die Finanzgruppe der Kreditgenossenschaften erhöhte in diesem Jahr ihren Anteil an der Schufa und kommt gemeinsam mit den Sparkassen auf eine Mehrheit der Anteile.
Der Einstieg eines Finanzinvestors unterstreicht den privatwirtschaftlichen Charakter der Schufa – und schürt potenziell Misstrauen. Zu Jahresbeginn hatte EQT-Partner Matthias Wittkowski daher nicht nur einen dreistelligen Millionenbetrag für Investitionen in die Schufa in Aussicht gestellt, sondern auch erklärt, mit Daten- und Verbraucherschutzexperten ein Konzept für die Schufa entwickelt zu haben.
Die seit Juli 2020 amtierende Schufa-Chefin Birkholz, die sich zum Eignerkreis nicht näher äußert, zeigt ebenfalls ein Gespür für die Kontroverse, die der Organisation in ihrer Doppelrolle als einflussreiche Bonitätswächterin und gewinnorientiertes Unternehmen droht. Sie hat der Schufa mehr Transparenz verordnet, um zumindest den Vorwurf der Beliebigkeit in der Bewertung zu entkräften. Weil vielen Menschen nicht klar ist, wie ein Schufa-Score funktioniert, können sie seit einer Woche in einen Beispielrechner („Score-Simulator“) testen, wie sich Konto, Kreditkarte, Immobilienkredit, Umzug und Kauf auf Rechnung auswirken.
So macht die Schufa deutlich, dass ein frisch aufgenommener Ratenkredit den errechneten Score zunächst verschlechtert, nach einiger Zeit aber stärkt, wenn ein Nutzer die Raten zuverlässig zahlt. Ein Immobiliendarlehen, obwohl typischerweise Hunderttausende Euro schwer, reduziert statistisch die Ausfallwahrscheinlichkeit von weiteren Geschäften, weil zuvor eine Bank den Kunden genau geprüft hat und das Darlehen somit eine Art Gütesiegel darstellt. Eine ausgefallene Zahlungsverpflichtung aber, also ein „Negativmerkmal“, zieht die Bewertung im Beispielrechner kräftig nach unten.
Datenschützer prüfen Score
Einen Einblick in die Rechenmethodik erlaubt der neue Simulator allerdings nicht, das Ergebnis wird lediglich in fünf Stufen präsentiert und nicht in der sonst üblichen genauen Prozentzahl. Rückendeckung erhält die Schufa vom Bundesgerichtshof, der eine Offenlegungspflicht zu der sogenannten Score-Formel verneint (Az. VI ZR 156/13). Wäre die Formel im Detail bekannt, wäre der Score manipulierbar, wie die Schufa argumentiert. Auf Nachfrage muss sie Privatleute allerdings informieren, welche personenbezogenen Daten sie gespeichert hat.
Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, also die Datenschutzbehörde des Landes unter Leitung von Alexander Roßnagel, prüft das Rechenverfahren der Schufa. So nahm die Stelle im Jahr 2020 eine Umstellung der Methodik ab. Das Verfahren habe sich wissenschaftlich weiterentwickelt, die Änderung sei positiv, urteilte die Datenschutzstelle.
Auch zeigen sich die hessischen Datenschützer mit dem Verhalten der Schufa zufrieden. So stimme die Gesellschaft neue Prozesse zur Verarbeitung von Daten mit den Datenschützern ab, obwohl die Schufa dazu nicht verpflichtet sei, wie die Behörde erklärt. Trotz zahlreicher Beschwerden seien Datenschutzverstöße „außerordentlich selten“ und häufig auf einzelne Fehler zurückzuführen. Auf Hinweis korrigiere die Schufa die Fehler „umgehend“.
Manchmal lenkt Schufa ein
Das Wort der Datenschützer hat für die Schufa Gewicht. So speichert sie mittlerweile in der Regel nicht mehr, ob eine Person einen Handyvertrag führt, nachdem die Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern diese Praxis im September 2021 erneut abgelehnt hatte. Das Interesse der Kunden, selbst über die Daten zu bestimmen, überwiegt in diesem Fall demnach. Für die Schufa ist das ein Verlust, weil gerade bei jungen Menschen neben Angaben zum Handyvertrag oft kaum Daten vorliegen.
In anderen strittigen Fragen beharrt das Unternehmen aber auf seiner Position. Beispiel Restschuldbefreiung im Privatinsolvenzverfahren: So können ehemalige Schuldner wieder einen Neustart antreten – wenn da nicht die Auskunfteien wären. Die Schufa speichert den Abschluss des Verfahrens noch für branchenübliche drei Jahre. Die Löschungsfrist folgt aus einem „Code of Conduct“, auf den sich die deutschen Auskunfteien in Abstimmung mit Datenschützern verständigt haben. Doch für den Abschluss eines Privatinsolvenzverfahrens und die Restschuldbefreiung ist die dreijährige Frist umstritten. Das Oberlandesgericht Schleswig hält nur eine Speicherdauer von sechs Monaten für zulässig, solange die Information auch als öffentliche Insolvenzbekanntmachung vorliegt (Az. 17 U 5/22). Allerdings bestätigen einige Gerichte Fälle der bisherigen Praxis, so dass die Rechtslage unklar ist.
Kostenlos passt nicht ins Bild
In der Vermarktung ihrer Informationsdienste an Privatleute zeigt sich das wirtschaftliche Interesse der Schufa besonders deutlich. Ähnlich wie auch andere Organisationen ist sie verpflichtet, den Schufa-Score auf Nachfrage kostenlos mitzuteilen. Auf der Internetseite „meineschufa.de“ rückt diese Dienstleistung aber in den Hintergrund.
Eine „Schufa-Bonitätsauskunft“ wird für 29,95 Euro vermarktet, die Abfrage-Abonnements von „kompakt“ über „plus“ bis „premium“ sind für 3,95 Euro, 4,95 Euro und 6,95 Euro im Monat zu haben. Die gesetzlich vorgeschriebene „kostenlose Datenkopie“ findet sich unten auf der Seite. Die Schufa suggeriert, dass dieses Papier unzureichend sei. „Keine tagesaktuelle Berechnung Ihrer Bonitätsscores“ und „nicht geeignet zur Weitergabe an Dritte“ lautet die Aussage, während daneben ein kostenpflichtiges „Zertifikat“ angeboten wird. Unter Verbraucherschützern stößt diese Abwertung der vorgeschriebenen Information auf Kritik. Abonnements mit Privatpersonen sind ein Wachstumstreiber der Schufa, eine kostenlose Auskunft stört offenbar das Geschäftsmodell.
Künftig will die Schufa die Masse der Privatleute über eine App stärker einbinden. Im Jahr 2024 soll das Programm fertig sein und Nutzern einen direkten Einblick in den individuellen Score ermöglichen und vorrechnen, wie sich bestimmte Informationen auf die Bewertung auswirken. Damit dürften weitere Daten mit Zustimmung der Nutzer bei der Schufa eingehen. Birkholz unterstreicht den Wunsch des Unternehmens, mit Zustimmung der Betroffenen weitere Daten speichern zu können. Dazu zähle etwa die erfolgreiche Tilgung eines Darlehens, die mit Zustimmung der Kunden auch länger als drei Jahre vermerkt werden darf, oder aber die Information über den Handyvertrag.
Aus den Reihen der Verbraucherzentralen kommt Kritik an einer freiwilligen Meldung: Viele Menschen hätten vermutlich Angst vor einem schlechten Schufa-Score und dürften der Auskunftei daher weitere Daten mitteilen, sagt Stephanie Heise, Bereichsleiterin Verbraucherfinanzen und Mitglied der Geschäftsleitung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Sie können aber nicht sicher sein, ob diese den Score tatsächlich verbessern.“
Mitunter führt Kritik dazu, dass die Auskunftei zurückrudert: So analysiert die Münchener Schufa-Tochter Finapi Daten und Bewegungen auf Bankkonten, sofern der Nutzer wie erforderlich zustimmt. Im Pilotprojekt „Checknow“ testete die Schufa zeitweilig auch, wie die Daten in eine Bonitätsbewertung einfließen könnten. Doch nach öffentlicher Kritik lenkte das Unternehmen ein. Die Datenschätze der Auskunftei und der Münchener Tochter sind getrennt, wie die Schufa erklärt. Die Abwägung, wie weit eine Auswertung gehen darf, ist schwierig – gut, dass die Schufa nicht allein entscheidet.