AUF DEM WEG IN DIE KAPITALMARKTUNION

Der US-Kapitalmarkt bietet Integration mit kleinen Mängeln

Im weltgrößten Markt spielen Bankkredite eine geringere Rolle bei der Finanzierung - Fiskalpolitisch gibt es weiterhin große Differenzen zwischen den Staaten

Der US-Kapitalmarkt bietet Integration mit kleinen Mängeln

Von Sebastian Schmid, New YorkDie Kommission der Europäischen Union hat mit der Kapitalmarktunion vor allem einen großen Konkurrenten im Blick – die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wirtschaftskraft der EU fällt trotz der schwächeren Entwicklung in den vergangenen Jahren noch immer etwas größer aus. Der Kapitalmarkt ist derweil nicht einmal halb so groß. Die Europäer machen dafür eine Vielzahl von Ursachen verantwortlich.Als wesentlicher Grund wird die traditionell stärkere Rolle der Bankkredite in der Unternehmensfinanzierung ausgemacht. So holen sich mittelgroße Gesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika etwa fünfmal so viel Finanzmittel wie ihre Wettbewerber in der EU. Das Volumen der Privatplatzierungen ist in den USA etwa dreimal so hoch, ebenso das Anleihemarktvolumen. Im Hochzinsbereich übertrifft der US-Markt den europäischen um den Faktor 2,5. Zudem ist die regionale Risikostreuung durch staatenübergreifende Investitionen in den USA geringer. In Europa sind viele Investitionen noch immer an ein Land gebunden. Das sorgt auch dafür, dass die Risiken der dortigen Steuerzahler erhöht sind, wenn es zu Pleiten kommt. Eine weitere Schwäche des europäischen Kapitalmarkts ist die im Vergleich zu den USA unzureichende Investorenbasis.Dass alle oder zumindest ein Großteil der festgestellten Mängel mit einer erfolgreichen Kapitalmarktunion beseitigt werden können, darf indes bezweifelt werden. Bestimmte systemimmanente Vorteile bestehen in den USA unabhängig von der Kapitalmarktunion. So ist die oft geneidete Stärke der Venture-Capital-Szene mehreren Faktoren geschuldet. Zum einen sind US-Anleger verglichen etwa mit vielen deutschen Investoren schon von Grund auf risikofreudiger und damit eher bereit, einen höheren Anteil ihrer Mittel zur Start-up-Finanzierung einzusetzen – ganz unabhängig von sonstigen Rahmenbedingungen. Zudem gibt es mehr Self-made-Milliardäre, die den Grundstein ihres Reichtums dem Wagniskapital anderer Geldgeber verdanken und damit selbst eher geneigt sind, Wagniskapital bereit zu stellen.Dass Europa kein einheitlicher Wagniskapitalmarkt ist, muss derweil nicht unbedingt ein Problem sein. Während der Venture-Capital-Markt in Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder Skandinavien recht gut entwickelt ist, sieht es in Deutschland, der Schweiz, Spanien, Italien oder Portugal deutlich schlechter aus. In einer Kapitalmarktunion stellt sich dies als wenig problematisch heraus – eben weil Staatsgrenzen überschreitende Investitionen in einem integrierten Kapitalmarkt attraktiver sind. Auch in den USA wird Venture Capital keineswegs mit der Gießkanne über alle Staaten gleich verteilt. Die meisten Start-up-Finanzierer sitzen in der Technologiehochburg im Silicon Valley (Kalifornien) oder im und um das Finanzzentrum New York City, wo auch der Großteil der Start-ups ansässig wird. Mehr Exit-OptionenAuf wesentliche Fragen vor der Investition ergeben sich für US-Venture-Capital-Firmen allerdings bessere Antworten. Der weltgrößte Aktienmarkt bietet hervorragende Exit-Optionen – egal, in welchem Bundesstaat das Start-up ansässig ist. Einen vergleichbaren Markt für junge europäische Firmen gibt es trotz mehrerer Anläufe bislang meist nicht einmal auf nationaler Ebene – von einer europäischen Option ganz zu schweigen. Auf dem alten Kontinent bleibt meist nur der Exit über Verkauf oder Fusion (M & A). Das Problem hier ist indes nicht so leicht zu beseitigen. Selbst wenn ein aufnahmefähiger Markt geschaffen wird, müssten auch Firmen entsprechender Qualität über Jahre auf den Markt drängen, um diesen am Leben zu erhalten. Boom-Zeiten von Start-up-Märkten gab es auf nationaler Ebene immer wieder. Nach einigen Pleiten und Misserfolgen sind diese aber stets an sich selbst gescheitert.Ob eine Verringerung der Kapitalmarktfragmentierung das Problem löst, darf schon deshalb bezweifelt werden, weil auch die gerne als Vorbild geltenden Vereinigten Staaten von Amerika durchaus noch viel Fragmentierung aufweisen. So nennt die EU-Kommission etwa die Unterschiede in der Besteuerung als Problem. Dabei variieren die Steuergesetze in den Vereinigten Staaten von Staat zu Staat ebenfalls beträchtlich.Selbst Nachbarn wie die Neuenglandstaaten im Nordosten der USA divergieren teils deutlich voneinander. So verzichtet etwa New Hampshire komplett auf eine Kapitalertragsteuer, während Maine satte 8 % verlangt – zusätzlich zur Steuer der Bundesebene. In einigen Staaten wie Oregon oder Kalifornien fällt der Zuschlag sogar prozentual zweistellig aus. Auch die Ausnahmeregelungen, Abschreibungs- und Berechnungsmethoden unterscheiden sich von Staat zu Staat. Von Einheitlichkeit kann daher keine Rede sein.Einige empirische Studien zu den Vereinigten Staaten wollen zeigen, dass die integrierten Kapitalmärkte immerhin knapp 40 % der konjunkturellen Schwankungen zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten abfedern. Im Fall einer vollen Finanzmarktintegration werden die Ressourcen der Banken auf die produktivsten Investitionschancen im gesamten Markt verteilt – “ohne Reibungsverluste bei grenzüberschreitenden Finanzierungen”, heißt es in einem Bericht der Europäischen Zentralbank. In den USA ist dies ungeachtet aller kleineren Integrationsmängel längst gegeben. In Europa indes noch lange nicht.