GASTBEITRAG

Der Wettbewerb um die Order des Privatanlegers

Börsen-Zeitung, 10.12.2016 "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren." Dieses Zitat von Bertolt Brecht haben sich die Börsen Berlin, Düsseldorf, Hamburg/Hannover, München und Stuttgart, gemeinhin als Regionalbörsen...

Der Wettbewerb um die Order des Privatanlegers

“Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.” Dieses Zitat von Bertolt Brecht haben sich die Börsen Berlin, Düsseldorf, Hamburg/Hannover, München und Stuttgart, gemeinhin als Regionalbörsen bezeichnet, wohl zu eigen gemacht. Obschon seit mehr als zwei Jahrzehnten totgesagt und trotz stetig abnehmender Marktanteile sind die Regionalbörsen weiterhin präsent. Groß angelegte Kooperationen wie Nasdaq Deutschland, eigene Börsensysteme, Anteile an ausländischen Börsenneugründungen, Ausweitung der Handelszeiten oder innovative Ideen wie der börsliche Handel von Fonds oder strukturierten Produkten waren die Strategien, um weiter im Wettbewerb bestehen zu können.Heute muss man feststellen, dass diese Initiativen mit Ausnahme des Handels von strukturierten Produkten in Stuttgart den kontinuierlichen Bedeutungsverlust der anderen Regionalbörsen nicht aufhalten konnten. Die Einführung des Fondshandels und die Ausweitung der börslichen Handelszeiten konnten schnell vom Wettbewerb kopiert werden, so dass erhoffte nachhaltige First-Mover-Effekte nicht eintraten. Selbst die ambitionierte und auf dem Papier wirkungsmächtige Nasdaq-Deutschland-Initiative von Berlin und Bremen musste trotz vermeintlicher idealer Startbedingungen bereits nach vier Monaten eingestellt werden.Während die Regionalbörsen sich mehr oder weniger erfolgreich innerhalb ihres Koordinatensystems gegen die Übermacht des Xetra-Handels und des Parketts in Frankfurt stemmten, ist quasi im “Vorgarten” der Börsen ein weiterer Wettbewerber entstanden, der die Marktsituation für die Regionalbörsen nochmals verschärft hat. 2001 als außerbörslicher Handelsplatz in Berlin mit überschaubaren Investitionen gestartet und seit 2010 Börsenplatz, legt die Tradegate Exchange nun mit mittlerweile ca. 10 % Marktanteil an den gesamten börslichen Aktientransaktionen und mehr als 60 % am Aktienhandel ohne Xetra eine beeindruckende Bilanz vor. Veränderter FokusIm Kern basiert der Erfolg auf der Änderung des Fokus der Börse. Die Gewinnabsicht steht nicht mehr im Zentrum. Gewinne sollen zwar immer noch gemacht werden, aber zunächst müssen Aufträge an die Börse kommen. Deshalb werden alle Aufträge der Kunden in einem multilateralen Handel entgeltfrei und vollautomatisch ausgeführt und der ökonomische Gewinn allein durch eine Gebühr erzielt, die der Liquiditätsspender (Spezialist) transaktionsabhängig an die Börse entrichtet. Dieser Verzicht auf Entgelte und das Zur-Verfügung-Stellen von aktuellen kostenfreien Marktdaten plus längerem Handel war strukturell neu und insbesondere für Direktbanken eine willkommene Gelegenheit, über diese Plattform Kunden zu gewinnen. Das erstmals angebotene Netting reduzierte darüber hinaus interne Kosten in den Häusern und war ein weiterer Grund, Aufträge nach Berlin zu steuern.Das Tradegate-Exchange-Modell zu kopieren ist nun die nächste Strategie der Regionalbörsen, um der weiteren Marginalisierung im Aktienhandel entgegenzuwirken. Neben ihren traditionellen Handelsplätzen, die sich durch Transaktionsgebühren finanzieren, wird nun auch ein entgeltloser börslicher Handelsplatz angeboten. Gettex in München, Lang & Schwarz Exchange in Hamburg und schon seit längerer Zeit Quotrix in Düsseldorf. Es gibt also jetzt nicht weniger börsliche Handelsplätze in Deutschland, sondern mehr – und dies vor dem Hintergrund eines auf Sicht nicht größer werdenden Marktes von direkten Aktionären. Die betriebswirtschaftlich wünschenswerte Konsolidierung des Marktes bleibt damit weiterhin aus.Darüber hinaus entsteht für die Börsen nunmehr Konkurrenz im eigenen Haus – übrigens auch für die Deutsche Börse mit ihrem Handelsplatz Frankfurter Wertpapierbörse und ihrem Anteil von 75,01 % an der Tradegate Exchange. Dieses Dilemma soll sich durch die Unterscheidung in sogenannte Qualitätsführerbörsen und Preisführerbörsen, die sich komplementär ergänzen sollen, auflösen. Der Anleger ist entweder bereit, für die Ausführungsqualität zu zahlen, oder fokussiert bei der Auswahl des Börsenplatzes in erster Linie auf die Gebührenersparnis. Doch hier gilt: Auch der entgeltfreie Börsenhandel muss vor den Hintergrund der regulatorischen Best-Execution-Anforderung entsprechende Ausführungsqualität bieten, um überhaupt als legitimer Handelsplatz für die Banken und den selbst bestimmenden Kunden in Betracht zu kommen. Qualität ist damit auch für Preisführerbörsen zentral, und Institute wie die DWP mit ihren kontinuierlichen Best-Execution-Messungen der Handelsplätze haben mehr zur Stärkung der Handelsqualität in Deutschland beigetragen als Marketingaussagen zu Quality Trading, Qualitätsführerschaft durch kursbestimmende Limitaufträge, Referenzbörsenprinzip etc. Ausgestaltung entscheidetJe mehr die Ausführungsqualität in den Häusern in allen Aspekten gemessen wird, umso entscheidender wird die konkrete Ausgestaltung des Handels. Findet der Handel wirklich in einer multilateralen Form dergestalt statt, dass Orders auch gegen andere Orders ausgeführt werden können und damit eine Preisverbesserung gegenüber dem Quote des Marketmakers prinzipiell möglich wird – oder ist es ein bilateraler Handel, bei dem stets gegen den Quote gehandelt wird? Wie ist die Stillhalteverpflichtung ausformuliert? Wie viel Spielraum wird dem Marketmaker von den Regularien gegeben, von einem Geschäft zurückzutreten? Gibt es weitgehende Ausnahmeregeln von der Quotierungspflicht für den Marketmaker vor und nach der Handelseröffnung am Referenzmarkt? Wie kommen die ersten Kurse zustande? Ist der Marketmaker verpflichtet, bei der Eröffnungsauktion alle Kauf- und Verkaufsorders zu berücksichtigen, oder kann er erst alle Käufe auf sein Buch nehmen und dann in einer zweiten Auktion die Verkaufsaufträge ausführen? Die getrennte Behandlung kann zu unvorteilhafteren Abrechnungskursen für die Kauf- oder Verkaufsseite führen. Bei dieser Analyse stellt man fest, dass das Kopieren des Vorreiters Tradegate Exchange anderen Preisführerbörsen häufig nur in Teilen gelingt.Vor dem Hintergrund des nicht wachsenden Marktes und der aktuellen Marktanteile darf man skeptisch sein, ob die neueste Me-too-Strategie der Regionalbörsen diesmal zu einer Trendumkehr führt. Setzt sich der bestehende Trend fort, so wird es zunehmend schwierig für Berlin, Düsseldorf, Hamburg/Hannover und München. Da die Börsen im Gegensatz zu den Bilanzen die GuV nicht veröffentlichen, kann man nur Vermutungen anstellen – aber es fällt bei den bestehenden Marktanteilen schwer zu glauben, dass obige Börsen operativ schwarze Zahlen schreiben. Jede Börse hat Systemkosten, die nur zu einem Teil variabel sind. Handelsüberwachungen und Zulassungsstellen sind auszustatten, Webauftritte zu pflegen, und Personal ist zu entlohnen.Erfüllt sich damit die 20 Jahre währende Prophezeiung der Handelsplatzkonsolidierung nun demnächst? Ein Blick in die Bilanzen zeigt, dass zum Teil erhebliche Reserven existieren, die auf Sicht ein Finanzergebnis garantieren sollten, das auch für die nächsten Jahre den Betrieb sichert. Aber Negativzinsen und operative Verluste sind Gift für das Eigenkapital, und sollten die Börsen aufgrund von zunehmender Bedeutungslosigkeit noch zusätzlich die Erträge aus der Kursvermarktung ganz oder teilweise verlieren, würde sich die Situation noch einmal deutlich verschärfen. Grundsätzliches UmdenkenDie Frage an die Vorstände, Aufsichts- und Börsenräte sollte also lauten, ob eine nüchterne Analyse der Marktkräfte und struktureller Randbedingungen nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken führen muss. Die Antwort wäre eindeutig. Unternehmerischen und politischen Willen vorausgesetzt, gibt es Lösungen, die mehr auf Out-of-the-Box-Denken und weniger auf Me-too-Strategien setzen. Die Geschichte der Regionalbörsen sollte am Ende des Tages nicht mit einem Aphorismus von Karl Valentin enden: “Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.”—-Metis Management Consulting ist eine auf die Finanzbranche spezialisierte Beratungsgesellschaft in München. —-Thomas Ruppelt, Partner Metis Management Consulting Berater von Börsen in Europa und in den USA