ZEITZEUGEN - IM INTERVIEW: WILHELM VON HALLER

"Der Wohlstand nährt den Wohlstand"

Der Chef des Bankhauses Sal. Oppenheim über die Entfremdung zwischen Banken und Öffentlichkeit, über Vermögenserhalt, Kapitalverzehr und Solidarität

"Der Wohlstand nährt den Wohlstand"

– Herr von Haller, was hat Sie bewogen, Banker oder Bankier zu werden?Ich wollte Wirtschaft in ihrer ganzen Breite kennenlernen. Der Reiz des Bankgeschäfts liegt darin, dass man mit sehr unterschiedlichen Kunden bei sehr unterschiedlichen, häufig äußerst komplexen Themen zusammenarbeiten darf. In meinem Beruf wird es nie langweilig.- Sie hätten auch Wirtschaftsprüfer werden können, das wäre auch nicht langweilig. Sie haben ja Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Banken und Wirtschaftsprüfung studiert.Das ist richtig. Diese Kombination war übrigens sehr sinnvoll, wenn auch selten. Ich denke, im Bankgeschäft liegt eine große Gestaltungskraft. Nehmen Sie Entscheidungen über Investitionen von Unternehmen oder Nachfolgesituationen. Soll ich mein Unternehmen verkaufen oder es in eine Stiftung einbringen? Soll ich es mit einem fremden Managementteam versuchen? Wie gestalte ich den Aufsichtsrat? Solche Fragen sind in hohem Maße zukunftsorientiert. Ohne den Kollegen der Wirtschaftsprüferzunft zu nahe treten zu wollen: Mir erscheint das Bankgeschäft als die spannendere Tätigkeit.- Wir hatten gefragt, warum Sie Banker oder Bankier geworden sind. Was macht den Unterschied aus?Die Trennlinie verläuft für mich dort, wo es um die persönliche Beziehung zum Kunden geht. Für diese enge Beziehung steht seit dem späten 15. Jahrhundert hierzulande der “Bankier”. Der “Banker” ist viel jünger, jedenfalls im deutschen Sprachgebrauch, in den er erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus dem Englischen übernommen wurde. Aber egal, welchen Begriff man verwendet: In Zukunft muss unser Berufsstand wieder eine viel größere Nähe zum Kunden zum Ausdruck bringen.- Wie hieß der Beruf, als Sie anfingen, “Bankbeamter”?Das war damals in der Tat der Begriff in der Branche. Bankangestellter hätte mir besser gefallen.- Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre ersten Berufsjahre bei der BayernLB?Die Ausbildung war ganzheitlich, beginnend bei Themen wie Börse und Zahlungsverkehr über das Kredit- und das Auslandsgeschäft bis hin zu IT und Strategie. Das hat mir von Anfang an geholfen, die Gesamtzusammenhänge einer Bank besser zu erkennen und zu verstehen.- Sie sind dann vom öffentlich-rechtlichen Lager zur Deutschen Bank gewechselt. War das ein Kulturschock?Es war schon eine andere Welt. Weniger in der täglichen Kundenbetreuung, wohl aber in der Gestaltung des Geschäftsmodells und nicht zuletzt hinsichtlich der Eigentümerschaft. Bei der BayernLB war eine relativ starke Einflussnahme seitens des Freistaats als 50-prozentigem Eigentümer – neben den Sparkassen – auf unternehmerische Entscheidungen zu spüren. Mir persönlich hat es gut gefallen, dass auch bei der BayernLB – ähnlich, wie ich es später bei der Deutschen Bank erlebt habe – junge Menschen die Chance bekamen, Erfahrungen zu sammeln und früh Verantwortung zu übernehmen.- Was sind die entscheidenden Veränderungen im Bankgeschäft zwischen damals und heute?Die Welt ist in den vergangenen 20 Jahren viel komplexer geworden. Das gilt nicht nur für die Bankenwelt. Wir alle sind Teil dieser Entwicklung. Sie merken das allein schon im persönlichen Umfeld. Nehmen Sie als Beispiel ein Auto von damals und eines von heute. Die Bedienungsanleitung des VW Käfer umfasste einmal 25 Seiten. Heute müssen Sie bei einem modernen Auto von 300 oder 400 Seiten ausgehen. Man mag das beklagen, aber das Auto heute bietet ganz andere technische Möglichkeiten, wesentlich mehr Sicherheit und Komfort. Im Bankgeschäft ist es im Prinzip die gleiche Entwicklung. Sie hat überwiegend positive, aber unbestreitbar auch ein paar negative Effekte.- Anders als Autos werden Banken heute oft als etwas Bedrohliches empfunden. Da scheinen Dinge zu passieren, die selbst intelligente Menschen nicht mehr unbedingt verstehen.Ich stimme Ihnen zu. Die aktuellen Diskussionen zeigen eindeutig, dass Banken enorme Probleme haben, verstanden zu werden. Das gilt teilweise für die Kunden, vor allem aber für die breite Öffentlichkeit. Und was man nicht versteht, ist einem fremd. Damit baut man eine Distanz auf. Die gestiegene Komplexität ist sicher ein Grund dafür. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Botschaft im Bankgewerbe angekommen ist. Wir alle wollen wieder einfacher und verständlicher werden.- Lässt sich denn Komplexität zurückdrehen?Komplexität lässt sich leider nicht auf Knopfdruck abschalten. Und mit ihr sind natürlich auch erhebliche Vorteile verbunden. Das Beispiel des Autos zeigt das anschaulich: Angenommen, es ist Ihnen zu komplex, auf was wollen Sie verzichten? Das ABS, das ESP, den Airbag? Komplexität kann eben auch sehr nützlich sein. Was nun die Banken angeht, ist diese Vielschichtigkeit aber nur ein Teil des Problems. Wenn Banken als bedrohlich wahrgenommen werden, macht sich das nicht zuletzt an der Systemrelevanz fest. Diese kann aber nur allmählich zurückgeschnitten werden. Der Landesbankensektor ist ein Beispiel dafür. Über Veränderungen wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die Umsetzung erster Schritte sehen wir erst jetzt.- Wie ist das Problem der Systemrelevanz zu lösen?Wichtig ist, dass die Banken einerseits Verflechtungen transparent machen und andererseits klar die Bedürfnisse ihrer Kunden wieder in den Mittelpunkt stellen. Es verlangt ja niemand, dass der Strukturwandel von heute auf morgen geschieht. Diese Themen müssen wir glaubhaft vermitteln. Nur wenn uns das gelingt, wird sich das Verhältnis zwischen Banken und Öffentlichkeit wieder entspannen. Das ist auch dringend notwendig, zumal es eine Tendenz zur Verallgemeinerung gibt, die den Hunderttausenden in hohem Maße kompetenten und redlichen Mitarbeitern im Bankgewerbe nicht gerecht wird.- Auch das Verhältnis zwischen Banken und Kunden – Sie sprachen es an – ist vielfach gestört.Im Verhältnis Bank-Kunde waren vor 20 oder 30 Jahren Entscheidungen oft allein Einzelpersonen vorbehalten. Da konnten Bankmitarbeiter – ob Direktoren oder Vorstände – aus sich heraus Kreditentscheidungen treffen. Das gibt es nicht mehr. Heute entscheidet, wie es auch die Finanzaufsicht verlangt, der nicht kundenbezogene Bereich. Das bedeutet zwar mehr bürokratischen und zeitlichen Aufwand. Ich begrüße das dennoch, weil wir als Bank so eine weitaus qualifiziertere Diskussionsgrundlage erhalten und unserer Verantwortung besser gerecht werden. Dieser Prozess muss aber auch dem Kunden, der ja eine Erwartungshaltung hat, vermittelt werden, einschließlich unserer Entscheidungsparameter. Bisher erklären wir nicht genug, was wir tun und was wir nicht tun und warum wir beispielsweise bestimmte Kreditgeschäfte nicht eingehen können.- Was hat sich außer der Komplexität noch verändert im Lauf der Jahrzehnte?Weltweit hat der Wohlstand deutlich zugenommen. Deshalb befasst sich die Öffentlichkeit viel intensiver mit Finanzthemen, vor allem mit der langfristigen Vermögensbildung mit Blick auf die Alterssicherung. Das begann vor 15 oder 20 Jahren, als klar wurde, dass die Rente vielleicht doch nicht so sicher ist. Eine dritte wesentliche Veränderung betrifft den extrem verschärften Wettbewerb. Ich erinnere mich gut daran, wie Ende der achtziger Jahre immer mehr ausländische Banken den deutschen Markt entdeckten. Darauf haben die etablierten deutschen Häuser oft nur mit Preiszugeständnissen reagiert, um ihre Marktanteile zu verteidigen. Die Folgen für unsere Margen sind bis heute spürbar.- Welche Rolle spielt die Regulierung?Damit sprechen Sie die vierte große Veränderung an. Die heutige Regulierung ist teils Folge, teils aber auch Ursache der hohen Komplexität unseres Geschäfts. Im Ergebnis ist auch die Kundenbeziehung, nicht zuletzt im Privatkundengeschäft, deutlich anspruchsvoller geworden, denken Sie nur an das Beratungsprotokoll. Die Mitarbeiter müssen sich deshalb viel stärker auf bestimmte Themen spezialisieren, um diese regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.- Gibt es nicht eine weitere Veränderung, nämlich im Charakter der Menschen? Konkret: Hat die Gier spürbar zugenommen, bei den Bankern wie bei den Anlegern?Unter Gier verstehe ich, dass der Verstand ausgeschaltet, rücksichtslos allein zum eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer gehandelt wird. Das ist meines Erachtens kein Massenphänomen, weder bei Banken noch bei Anlegern. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wer eine Lebensversicherung abschließt und heute bei einer Altersgrenze von 65 oder 67 Jahren damit rechnen darf, noch mindestens 20 Jahre lang seinen Lebensunterhalt vor allem aus angespartem Vermögen bestreiten zu müssen, ist an einer möglichst hohen Gesamtleistung bei Ablauf interessiert und macht davon auch die Wahl des Versicherers abhängig. Ist das Gier? Sicher nicht. Je länger die Lebenserwartung, desto mehr rückt das Thema Altersversorgung in den Fokus. Der Wohlstand nährt den Wohlstand. Das hat nach meinem Verständnis nichts mit Gier zu tun.- Was ist in Ihrer Branche schiefgelaufen in den vergangenen Jahrzehnten? Woran machen Sie die Fehlentwicklungen fest?Einige Punkte habe ich bereits angesprochen. Rückblickend kann man sicher die Deregulierungswelle, die allerdings politisch gewollt war und zweifellos auch positive Effekte hatte, als Fehlentwicklung bezeichnen. Nun versucht die Politik richtigerweise, Schritt für Schritt gegenzusteuern. Über die angemessene Dosierung und Geschwindigkeit muss man von Fall zu Fall diskutieren. Überzogene Gegenmaßnahmen können kontraproduktiv wirken.- Welche positiven Effekte der Deregulierung meinen Sie?Nehmen Sie die Entstehung der Private-Equity-Branche. Man kann nicht jahrelang einen Eigenkapitalmangel der deutschen Wirtschaft beklagen und dann diejenigen, die Abhilfe schaffen, pauschal an den Pranger stellen, weil es eben auch Übertreibungen gegeben hat. Sicher sind manche Eigenkapitalgeber sehr hart am Wind gesegelt. Aber grundsätzlich halte ich Unternehmensfinanzierung über Private Equity, solange die ökonomische Tragfähigkeit gegeben ist, für einen auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvollen Weg.- An den Übertreibungen haben auch Banken in Form sehr sportlicher Finanzierungen mitgewirkt.Das bestreite ich gar nicht. Sie haben aber nach meiner Überzeugung ebenso wie andere Akteure aus der Situation der Jahre 2005 und 2006 gelernt.- Nach der Deregulierung kommt nun die Re-Regulierung. Mit welchen Folgen?Die zentrale Folge betrifft das Eigenkapital. Vor 20 oder 30 Jahren spielte Eigenkapital für Banken keine Rolle: Es war einfach da. Heute ist die ausreichende Ausstattung mit Eigenkapital als Puffer für Volatilitäten auf der Aktivseite der kritische Punkt, da verrate ich Ihnen kein Geheimnis. Den regulatorischen Ansatz, über höheres Eigenkapital die Stabilität im Sektor zu verbessern, halte ich für richtig. Damit wird auch eine überzeugende Antwort nicht nur auf die Frage nach dem Vertrauen der Öffentlichkeit, sondern ebenso auf die Frage nach dem Vertrauen des Kapitalmarkts in die Banken gegeben.- Ist dieses Thema auch im Tagesgeschäft präsent?Absolut! Das merken Sie bei jeder der Tausende Kreditentscheidungen, die unsere Branche täglich trifft. Jede dieser Entscheidungen wird heute wegen des Engpassfaktors Eigenkapital intensiv mit Blick auf die Tragfähigkeit des zugrunde liegenden Investments geprüft. Das führt zu einer fundamental anderen Risikokultur. Zum notwendigen Kulturwandel trägt aber auch der Umgang mit Reputationsrisiken bei. Von der Reputation einer Bank hängt das Vertrauen ab, dessen sie sich erfreut – oder nicht erfreut. Unsere Branche muss sich permanent prüfen: Ist es richtig, was wir tun, und entspricht es den Regeln? Noch vor zehn Jahren konnte sich kaum jemand etwas unter Compliance vorstellen. Heute gehört es zum täglichen Handeln jeder Bank, sich stets zu fragen: Ist es Compliance-konform?- Das scheint noch nicht bei allen zu funktionieren.Da mögen Sie recht haben. Aber jeder Wandel braucht seine Zeit. Glauben Sie mir: Der Stellenwert der Selbstkontrolle hat in den Banken enorm zugenommen. Das sind keine Lippenbekenntnisse. Alle wissen, was auf dem Spiel steht.- “Der Wohlstand nährt den Wohlstand”, sagten Sie. Wie gefährdet ist unser Wohlstand im Lichte der Staatsschuldenkrise? Und wie groß ist die Panik unter den Kunden?Die Kunden sind deutlich ruhiger, als . . .- Als die Journalisten?. . . als man annehmen könnte, wenn man täglich die Nachrichten verfolgt. Die Kunden sind Lichtjahre von einer Panik entfernt. Aber selbstverständlich sind die Diskussionen über die Frage “Was passiert mit dem Euro?” allgegenwärtig.- Was passiert mit dem Euro?Die Frage kann Ihnen niemand verbindlich beantworten. Man kann nur eine Meinung dazu haben.- Und wie ist Ihre?Ich schätze den politischen Willen, die Währungsunion zu erhalten, nach wie vor als sehr hoch ein. Der politische Wille, Haushaltsdisziplin zu üben, ist dagegen noch nicht überall gleichermaßen ausgeprägt. Insoweit denke ich, dass sich die Gangart und vielleicht auch die Auflagen noch verschärfen werden und auch verschärfen müssen. Aber was würde denn passieren, wenn ein Land austräte? Die Folgen sind doch nicht planbar. Daher wird man meines Erachtens davor zurückschrecken, solche Szenarien Realität werden zu lassen.- Alle reden von Inflation, von Währungsreform, von Haftungsunion – mit dem Tenor, wir müssen für die Schulden der anderen zahlen, und unsere Altersvorsorge ist perdu. Die Leute stürzen sich auf Immobilien, investieren in Gold. Sind das keine Anzeichen von Panik?Ich würde das als Vorsicht bezeichnen. Unsere Kunden investieren mit Bedacht, halten sehr viel Liquidität, manche gehen in Immobilien, aber andere gehen auch aus Immobilien raus. Edelmetalle haben in der Vermögensallokation schon ein relativ hohes Niveau erreicht. Aber Sie haben insoweit recht: Es gibt einen ganz erheblichen Beratungsbedarf. Dabei steht das Thema “Schuldenunion” im Vordergrund, verknüpft mit der Frage, ob Deutschland überfordert wird. Ein Bürge ist ja nur dann ein guter Bürge, wenn er dafür bürgen kann, was er zugesagt hat. Deshalb darf man einen guten Bürgen nicht überfordern.- Was raten Sie einem verunsicherten Kunden, der seine Ersparnisse für die Altersversorgung in Gefahr sieht?Immer noch das Gleiche, was Simon von Oppenheim vor 160 Jahren in einem Brief an seinen Bruder geschrieben hat: Nie alle Eier in einen Korb legen. Harry Markowitz hat dann 1990 den Wirtschaftsnobelpreis für diese Theorie der Asset Allocation bekommen. Vielleicht hatte er eine Lehre bei Sal. Oppenheim gemacht. Spaß beiseite: Das zentrale Thema in praktisch jedem Kundengespräch ist heute die Vermögensallokation, zumal – anders als früher – sehr viele Assetklassen miteinander korrelieren. Und es gibt keine heilen Welten mehr. Das sind die großen Herausforderungen bei der Wahl der richtigen Anlagestrategie.- Was erwarten Ihre Kunden in diesen Zeiten?Vermögenserhalt, Vermögenserhalt, Vermögenserhalt. Das ist für etwa 80 % unserer privaten Kunden ganz klar die erste Präferenz.- Vor dem Hintergrund der Finanz- und der Schuldenkrise wird vermehrt über eine stärkere Belastung von Vermögen diskutiert. Das träfe die allermeisten Kunden Ihres Hauses. Was halten Sie von solchen Ideen?Wir haben es in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland stets geschafft, den sozialen Frieden zu erhalten. Dies ist auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern. Insofern habe ich nichts gegen eine Solidaritätsdebatte. Solidarität heißt aber auch: Verständnis wecken, Motivation schaffen. Alles, was zu rigoros ist, auch verbal, schreckt ab und bewirkt das Gegenteil: Entsolidarisierung. Diejenigen, die diese Diskussion führen, müssen bedenken: Ein Großteil unseres Wohlstands steckt in Unternehmen. Die Arbeitsplätze dort sichern vielen Menschen ihren Lebensunterhalt. Wir sollten auf jeden Fall Schwarz-Weiß-Debatten vermeiden, die dazu führen können, dass unternehmerische Entscheidungen nicht mehr in Deutschland getroffen werden. Zu wohlverstandener Solidarität würde nach meinem Dafürhalten im Übrigen auch gehören, dass die öffentliche Hand ihr Ausgabeverhalten anpasst.- Wie definieren Sie “solidarisch”, und wo fängt “zu rigoros” an?Ich plädiere für Augenmaß. Der Körperschaftsteuersatz darf nicht prohibitiv sein. Das Erbschaftsteuergesetz muss vor allem dem unternehmerischen Vermögen die Möglichkeit lassen, auch künftig zu investieren und weiterhin innovativ zu sein. Man sollte nicht vergessen, dass vorhandenes Vermögen bereits versteuert wurde. Die Früchte des Vermögens werden dann erneut besteuert. Auch das ist ein kritischer Punkt. Denn beim heutigen Renditeniveau führt jede weitere Belastung des Vermögens zu realem Kapitalverzehr. Die Politik ist gefordert, die Motivation aufrechtzuerhalten, damit man gerne in Deutschland investiert. Wir haben doch mehr als genug schlechte Erfahrungen machen müssen in Form massiver Kapitalabflüsse aufgrund von Steuerdiskussionen.- Darf eine Steuer oder Abgabe überhaupt an die Substanz gehen?Schon der negative Realzins geht ja an die Substanz. Kapital trägt heute in Deutschland faktisch keine Zinsen mehr. Darin sehe ich durchaus einen nennenswerten Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen. Eigentlich müsste die Politik den Haushalt um ihre ersparten Zinsen kürzen. Sollte Deutschland nun obendrein noch eine Substanzbesteuerung einführen, würden sich die Unternehmen mit Sicherheit für andere Investitionsstandorte entscheiden.—-Das Interview führten Annette Becker und Bernd Wittkowski.