Derivatebranche stochert im Nebel

Die Auswirkungen der regulatorischen Umwälzungen können kaum abgeschätzt werden - CME verschiebt Börsenstart in London

Derivatebranche stochert im Nebel

Die umfassenden Veränderungen der Derivateregulierung sorgen in der Branche für Verunsicherung. Auf der BürgenstockDerivatekonferenz in Genf waren sich die Teilnehmer darin einig, dass sie zu einer Umgestaltung des Markts führen werden. Allerdings herrscht völlige Ungewissheit darüber, mit welchem Tempo und in welchem Ausmaß dies geschehen wird.Von Christopher Kalbhenn, GenfMehrfach haben Teilnehmer der Bürgenstock-Konferenz der Derivatebranche in Genf in der abgelaufenen Woche einen Blick in die Glaskugel gewagt, ohne dadurch irgendwelche verwertbaren Erkenntnisse zu erhalten. Ob Infrastrukturanbieter oder Intermediär: Die gesamte Branche stochert im Nebel, wenn es um die Frage geht, wie sich die von der Regulierungslawine ausgelöste Umwälzung letztlich auswirken wird. In den USA und Europa wird das zentrale Clearing (Verrechnung) von außerbörslichen Derivatetransaktionen zur Pflicht, in den Vereinigten Staaten, nach wie vor der mit Abstand größte Derivatemarkt, wurde zudem mit den Swap Execution Facilities ein neues regulatorisches Format geschaffen mit dem Ziel, einen möglichst großen Teil des außerbörslichen Handels auf diese organisierten und transparenten Plattformen zu ziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Kapitalanforderungen, die für Transaktionen auf den Plattformen festgelegt wurden, deutlich niedriger als die Anforderungen für außerbörsliche Geschäfte. Außerdem hoffen die Terminbörsen darauf, dass die neue Regulierung den Markt animieren wird, einen erklecklichen Teil ihrer Geschäfte gleich auf standardisierte, börsliche Derivate umzustellen. Damit bahnt sich eine erhebliche Umverteilung von Marktanteilen an.Nicht einfacher wird es für die Branche dadurch, dass die Regulatoren der USA und Europas nicht koordiniert vorgehen, was angesichts der globalen Natur des Geschäfts zu erheblichen Problemen führen kann. Schon ab dem 2. Oktober soll in den USA ein großer Teil des Markts über die Swap Execution Facilities laufen, und die Branche bestürmt die amerikanische Derivateaufsicht um Aufschub. Hintergrund ist die Furcht, dass Marktteilnehmer wegen der neuen Auflagen davor zurückschrecken könnten, mit US-Adressen Geschäfte zu machen. Für Aufsehen sorgte am Freitag zudem ein Pressebericht, demzufolge die US-Terminbörsenaufsicht Commodity Futures Trading Commission (CFTC) den Starttermin am Mittwoch erschwert. Der “Financial Times” zufolge besteht die CFTC darauf, dass sich jegliche Plattform, auch im Ausland, US-Regeln unterwerfen muss, falls sie mit einer US-Gegenpartei handelt. Marktanteile verlagertUnabhängig von einer eventuellen Verschiebung des Termins waren sich die Teilnehmer der Bürgenstock-Konferenz darin einig, dass die neue Regulierung zu einer Verlagerung von Marktanteilen zulasten des außerbörslichen und zugunsten der Swap Execution Facilities – fast 20 solcher Plattformen sind zur regulatorischen Freigabe angemeldet worden, darunter zuletzt durch den Chicagoer Terminbörsenbetreiber CME Group – und auch des Börsenhandels führen wird. Über das Tempo und Ausmaß der Bewegung hat die Branche aber nur ungefähre Vorstellungen. Immerhin kann im Clearing-Bereich bereits auf Zahlen zurückgegriffen werden. Vor wenigen Jahren noch bei null, beläuft sich das ausstehende Volumen der zentral geclearten außerbörslichen Derivate in dem rund 630 Bill. Dollar großen Markt derzeit auf 66 Bill. Dollar.John Wilson, Global Head of OTC Clearing, Prime Clearing Services, des Plattformanbieters Newedge, vertrat in einer Diskussionsrunde die Auffassung, dass es zu einem allmählichen, schrittweisen Verlagerungsprozess kommen wird. Die Marktteilnehmer würden zunächst abwarten und beobachten, wie sich die Dinge unter den neuen Vorzeichen entwickeln. Folgen werde die neue Marktstruktur auch dadurch haben, dass die Swap Execution Facilities Transparenz herstellten. Transaktionen könnten daher Auswirkungen auf den Markt haben. Dies werde möglicherweise dazu führen, dass Transaktionen in kleinere Tranchen aufgeteilt werden, um diesen Effekt zu vermindern.Jeffrey Howard, Managing Director, Global Co-Head of Prime Services Markets von RBS, äußerte die Erwartung, dass es in den kommenden Jahren zu einer deutlichen Verlagerung des Handels hin zu den Börsen kommen wird. Allerdings werde der Börsenhandel, dessen ausstehendes Volumen derzeit zwischen 25 und 30 Bill. Dollar liege, nicht die Dimensionen des mehr als 600 Bill. Dollar schweren außerbörslichen Markts erreichen. Zu erwarten sei aber eine allmähliche Konvergenz der Größenordnungen beider Bereiche. Auf die Frage, ob Marktteilnehmer zukünftig in stärkerem Maße Swap Futures statt Swaps nutzen werden, antwortete Pauk Swann, President und Managing Director der zur Intercontinental Exchange gehörenden ICE Clear Europe, dass dies von der Art des Marktteilnehmers abhänge sowie von seiner Bereitschaft, Basisrisiken (Absicherungslücken, die sich bei den standardisierten Future-Kontrakten im Unterschied zu den in den Spezifikationen detailliert aushandelbaren Swaps ergeben können) einzugehen.Meinungsunterschiede gab es bezüglich der Qualität der sich abzeichnenden Marktstrukturen. Howard erklärte, dass die Märkte durch die neue Regulierung langfristig sicherer und transparenter würden. Darüber hinaus werde der Handel für die Endnutzer billiger. Kehrseite dieser Entwicklung ist allerdings, dass dies zulasten der Ertragslage von Intermediären und Infrastrukturanbieter geht. Howard sagte voraus, dass es unter den Intermediären, Börsen etc. generell durch steigende Kosten u.a. aufgrund des erhöhten regulatorischen Aufwands und durch den Margendruck zu einer anhaltenden Konsolidierung kommen wird.Am Freitag gab der größte US-Derivatebörsenbetreiber CME Group bekannt, den Start seiner in London beheimateten CME Europe ein zweites Mal zu verschieben. In der Pressemitteilung wird auf technische Probleme im Zusammenhang mit der physischen Bereitstellung von Währungen hingewiesen.