Des Dramas letzter Akt
Von Bernd Neubacher, Frankfurt”Auch ein perfektes Chaos ist etwas Vollkommenes”, hat der französische Dichter Jean Genet gewusst. Wenn die Entwicklung des deutschen Bankensektors seit der Jahrtausendwende ein klassisches Drama ist, dann hat die Branche inzwischen vier Akte hinter sich gebracht. Im ersten Aufzug legten die Globalisierung des Kreditgewerbes und der Fortfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung bei Sparkassen und Landesbanken die Basis für den künftigen Konflikt. Im zweiten Akt verschärften die Jahre des Booms die Situation, bevor im dritten die Handlung mit dem Platzen der US-Immobilienblase und dem Kollaps von Lehman Brothers 2007 und 2008 ihren Höhepunkt erreichte. Im vierten Teil sorgte angesichts einer ausgewachsenen Finanz- und Staatsschuldenkrise die Losung “Whatever it takes” von Notenbankpräsident Mario Draghi für verlangsamende Momente. Im fünften Akt steht der klassischen Lehrmeinung zufolge nunmehr die Auflösung des Konflikts durch die Katastrophe bzw. den Untergang der Helden bevor oder aber ein Happy End.Wie man es auch wendet: Für die Branche hat das Endspiel begonnen. Erstes Indiz: Eine totale Verunsicherung greift um sich. Allerorten beginnen sich Koordinaten, auf die jahrzehntelang Verlass war, zu verschieben. Das gilt zum Beispiel mit Blick auf die Kunden und deren Gewohnheiten. Früher standen diese im Sektor vielleicht auch nicht immer ganz oben auf der Agenda. Damals gab es für Normalbürger aber auch kaum eine Alternative zu ihrer Sparkasse, Genossenschaftsbank oder Privatbank. Dies wird sich bald ändern. Im September wird es ernstZwar haben Fintechs schon bisher hier und dort an der Kundenbasis der Institute geknabbert. Ernst wird es aber Mitte September im neuen Jahr. Dann müssen Banken in der Europäischen Union infolge der Richtlinie PSD2 externen Zahlungsdienstleistern Zugang zu Daten von Kunden bereitstellen, wenn diese dies wünschen, und zwar auf dem gleichen Service-Niveau wie die Online-Banking-Plattform des kontoführenden Zahlungsdienstleisters. Damit sinkt die Hürde, sich anderen Anbietern im Zahlungsverkehr zuzuwenden. Früher galt der Satz “Wer den Zahlungsverkehr hat, hat den Kunden”. Der Umkehrschluss ist zulässig.Dabei deuten nicht wenige Anzeichen darauf hin, dass künftig nicht mehr nur Fintechs mit putzigen Namen und wenig Durchschlagskraft, sondern die Schwergewichte aus Silicon Valley, Seattle oder China den Banken das Leben schwer machen. Die Plattformen der Datenkraken können einen Sog entfalten, in dem dereinst womöglich der Kundenstamm mancher Bank verschwindet. Trügerische HoffnungDie Kreditwirtschaft hierzulande hat sich lange gerne der Hoffnung hingegeben, dass Big Tech sich hüten wird, jemals Bankdienste anzubieten, um sich nicht deren Regulierung unterwerfen zu müssen. Warum nur beklagen etwa die Sparkassen dann, dass Apple ihnen die Schnittstelle für den Zahlungsverkehr per Near-Field Communication (NFC) im iPhone vorenthalte, während Amazon ihnen die Sprachfunktion Alexas für Bankdienstleistungen verwehre?Während neue Wettbewerber die Kundenbasis bedrohen, bröckeln infolge der politischen Großwetterlage die Fundamente des Geschäfts. Der Brexit ist nur das augenfälligste Symptom der Auflösung eines lieb gewonnenen Marktumfelds. Seine Kehrseite zeigt sich im Äquivalenzstreit mit der Schweiz, in dem die EU dieselben Tendenzen zur Isolation an den Tag legt, die sie im Falle Großbritanniens wortreich beklagt. Derweil stellt Italiens Regierung den Zusammenhalt der Europäischen Union auf die Probe, und das erratische Verhalten des US-Präsidenten verstärkt auf globaler Ebene die Ungewissheit.Regulatorisch wird sich das Bankgeschäft ebenfalls verändern. Nach den Geldwäscheskandalen allein im abgelaufenen Jahr ist gewiss, dass das Netz der Compliance-Vorgaben noch deutlich dichter werden wird. Man könnte sagen: Die wenigen Kunden, die den Banken noch bleiben, sind den Instituten und deren Aufsehern immer weniger geheuer. Meint es die EU mit ihrem Aktionsplan Sustainable Finance ernst, werden die wohlklingenden Postulate aus Brüssel zudem über kurz oder lang in knallharte Vorgaben münden müssen. Nicht einmal die Form des Zinses steht für die Banken derzeit fest. Ab Ende 2019 werden weder Eonia noch Euribor den Vorgaben der EU mehr gerecht, und zumindest was länger laufende Ausreichungen angeht, ist Ersatz noch nicht gefunden. Mit jeder Umstellung aber drohen Reibungsverluste, Bewertungsprobleme und Rechtsunsicherheit. Das Chaos macht auch nicht halt vor dem Notenmonopol der Zentralbanken, wie der Aufstieg der aus jedem regulatorischen Rahmen fallenden Kryptowährungen zeigt.Noch ist für die Banken nicht alles verloren: Solange etwa die großen Banken dieser Welt mehr Köche beschäftigen als Kryptowährungsexperten, wie eine Auswertung der Linkedin-Profile in Großbritannien jüngst zutage förderte, hat der Sektor noch reichlich Spielraum, Unheil abzuwenden, indem er den Einsatz seiner Ressourcen verbessert.Überhaupt scheint der Kostendruck noch lange nicht hoch genug. Dies belegen gerade in der deutschen Kreditwirtschaft Beispiele großen Beharrungsvermögens immer dann, wenn Kooperationen in Bereichen scheitern, in denen Banken sich garantiert nicht vom Wettbewerb abheben können, sei es in der Wertpapierabwicklung, im Falle von Plänen, ein System für die Identifikation von Kunden (KYC) gemeinsam zu bauen, oder andernorts.Was müssen Banken tun, außer Kosten zu senken? Politisch und regulatorisch hinnehmen, was sie nicht ändern können, und operativ ändern, was sie ändern können, aber mit Bedacht. Wer nun einen unstillbaren Datenhunger entwickelt, um die Plattformanbieter auf deren Spielfeld zu schlagen, dürfte ebenso das Nachsehen haben wie Banken, die sich der neuen Realität verweigern – Plattform-Banking kennt einen Sieger, nicht mehrere. Ob ausgerechnet eines der herkömmlichen Kreditinstitute mit oft waghalsiger Spaghetti-IT, überschaubaren Analyseinstrumenten und ausbaufähiger Cybersicherheit auf dem Siegerpodest steht, wird ein vorsichtiger Bankvorstand vielleicht lieber nicht austesten. Im Umgang mit Daten wird Big Tech Banken immer voraus sein. Diese müssen daher abwägen, welche Daten sie jenseits von PSD2 teilen wollen.Große Banken könnten ihren Bestand dazu nutzen, um etwa dem Einzelhandel dynamische Preise bereitzustellen. Kleinere Banken haben anders als Big Tech die Nähe und noch immer das Vertrauen der Kunden. Volksbanken und Sparkassen demonstrieren, dass dies nach wie vor relativ hohe Preise und Margen ermöglicht. Dennoch werden gerade viele kleine Banken auf der Strecke bleiben. Dies ist eine Ironie von Markt und Regulierung. Denn zur Entstehung der Finanzkrise, von der sich eine Linie über die Staatsschuldenkrise bis zum Populismus und zur momentanen Krise der Demokratie in Europa ziehen lässt, hatten diese Banken wie die später zur Kasse gebetenen Steuerzahler kaum etwas beigetragen. Doch so läuft das Geschäft.Ob das Drama für die breite Masse im Sektor in der Katastrophe und nicht im Happy End münden wird? Bis der Vorhang fällt, tun Banken gut daran, es mit Nobelpreisträger Bob Dylan zu halten: “Ich akzeptiere das Chaos. Ich bin mir nicht sicher, ob es mich akzeptiert.”