SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (6)

Deutsche Börse fit für den Wettbewerb

Marktkapitalisierung steigt in der Coronakrise auf Rekordhoch - Feuerkraft für Übernahmen relativ gering

Deutsche Börse fit für den Wettbewerb

Die Deutsche Börse ist zwar längst nicht mehr Branchenprimus, aber dennoch im globalen Wettbewerb gut aufgestellt. Das zeigt sich auch an der rekordhohen Marktkapitalisierung des Unternehmens. Mit seiner für November angekündigten neuen Strategie könnte es verstärkt auf Akquisitionen setzen.Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtAuf den ersten Blick könnte leicht der Eindruck entstehen, dass sich mit der Deutschen Börse eines der wichtigsten Assets des Finanzplatzes Deutschland auf dem absteigenden Ast befindet. Denn das Unternehmen ist mittlerweile weit entfernt von seinem Status der ersten Dekade dieses Jahrtausends, in der es sowohl nach Geschäftsumfang als auch nach eigener Börsenbewertung meilenweit vor allen anderen Marktbetreibern der Welt in Führung lag. Mittlerweile ist es, wird etwa seine eigene Marktkapitalisierung zugrunde gelegt, nur noch die Nummer 5 der Branche. Kein AbstiegTatsächlich verbirgt sich hinter dem Abrutschen im globalen Börsenranking jedoch kein echter Abstieg. Ihre ehemals führenden Positionen verdankte die Deutsche Börse vor allem zwei Faktoren. Der erste ist der Aufstieg ihres Terminmarkts DTB, der nach der Fusion mit der Schweizer Soffex in der Eurex aufgegangen ist. Sie schaffte es, als Newcomer innerhalb von wenigen Jahren zur nach Handelsumsatz größten Terminbörse der Welt aufzusteigen, was der Deutschen Börse zu einem enormen Einnahmenschub verhalf.Dieser Erfolg steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zweiten Faktor, dem bahnbrechenden und trendsetzenden Computer-Terminhandel und ihrer Netzwerktechnologie, die die standortunabhängige Teilnahme am Eurex- sowie auch am Xetra-Handel ermöglichte. Weitere Vorteile waren ein im Vergleich zu anderen großen Börsenbetreibern diversifizierteres Geschäftsportfolio, ihr vertikal integriertes Geschäftsmodell, das den gesamten Wertpapiertransaktionsprozess vom Handel über das Clearing bis zum Settlement aus einer Hand und damit optimal abgestimmt anbietet, ihr im Branchenvergleich frühes IPO und, im Unterschied zu den genossenschaftlich organisierten großen Terminbörsen, der Betrieb der DTB beziehungsweise der Eurex als gewinnorientiertes Unternehmen. Standards gesetztDamit hat die Deutsche Börse in vielfältiger Hinsicht Standards in der globalen Börsenbranche gesetzt. Die Konkurrenz hat mittlerweile nachgezogen, so dass das Unternehmen Vorsprünge und Alleinstellungsmerkmale verloren hat – ohne selbst nachzulassen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Elektronischer bzw. standortunabhängiger Börsenhandel sind heute weltweit eine Selbstverständlichkeit, alle großen Börsenbetreiber sind mittlerweile börsennotiert, womit auch die genossenschaftliche Struktur der übrigen großen Terminbörsen Geschichte ist, und Börsen wie nicht zuletzt die London Stock Exchange (LSE) haben ihr Geschäftsportfolio ebenfalls diversifiziert.Hinzu kommt, dass andere Börsen den Frankfurter Marktbetreiber durch M&A-Transaktionen überholt haben. So ist die Chicagoer Terminbörse CME Branchenprimus geworden, weil sie den Chicago Board of Trade und mit der New York Mercantile Exchange auch noch die größte Rohstoffterminbörse der Welt übernommen hat. Die LSE hat die Deutsche Börse dank des Erwerbs u. a. des London Clearing House und des noch abzuschließenden Zusammenschlusses mit Refinitiv überholt. Dagegen blickt die Deutsche Börse auf eine Serie gescheiterter Fusionsversuche mit LSE, Euronext und Nyse Euronext zurück.Allerdings kommt es nicht nur auf Größe an, sondern mehr noch auf den Inhalt, und in dieser Hinsicht ist die Deutsche Börse nach wie vor im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt. So verfügt sie nach wie vor über im Vergleich zur Konkurrenz überlegene technologische Fähigkeiten, durch die sie nach wie vor Alleinstellungsmerkmale besitzt. Unter anderem konnte sie als erster Marktbetreiber ihren Kunden ein Risikomanagement in Echtzeit anbieten.Das Unternehmen verfügt über mehrere globale Standbeine, darunter den Verwahrer und Abwickler Clearstream und die Eurex. Eurex bietet die maßgeblichen Aktien- und Anleihederivate für den Euroraum an. Marktteilnehmer, die schnell und effizient eine Position in der Region eingehen oder absichern wollen, kommen an der Eurex nicht vorbei.Hinzu kommt unter anderem das stark wachsende Energiederivategeschäft der European Energy Exchange (EEX), das mittlerweile ebenfalls globale Reichweite hat. 2017 erwarb sie die amerikanische Energieterminbörse Nodal Exchange, die mittlerweile Marktführer am US-Stromterminmarkt ist, und seit neuestem bietet sie Clearingdienstleistungen für den japanischen Stromterminmarkt an. Durch den Erwerb der Axioma im Jahr 2018, die mit dem bestehenden Indexgeschäft zur Qontigo zusammengefasst wurde, verfügt die Deutsche Börse nun über einen Index- und Analysedienstleistungsanbieter mit Präsenz in Europa und Nordamerika. Strategie kommt gut anDie Strategie des Unternehmens, gezielt in strukturelle Wachstumsgeschäftsfelder zu investieren – zu erwähnen sind hier noch das Clearing außerbörslicher Zinsderivate, der Devisenhandel und das Fondsservice-Geschäft -, und dabei organisches Wachstum mit Akquisitionen zu kombinieren, kommt bei den Investoren gut an. Inmitten der Coronakrise ist die Bewertung des Unternehmens auf zuvor noch nie gesehene Höhen von in der Spitze mehr als 30 Mrd. Euro geklettert. Legt man das Urteil der Investoren zugrunde, muss sich der Finanzplatz keine allzu großen Sorgen über die Zukunft der Deutschen Börse machen. Neue MittelfriststrategieMit Spannung wartet der Markt nun auf die neue Mittelfriststrategie “Compass 2023”, die das Unternehmen im November vorstellen wird. Der Vorstandsvorsitzende Theodor Weimer hat durchblicken lassen, dass die Deutsche Börse verstärkt auf Akquisitionen setzen wird. In dieser Hinsicht sind dem Unternehmen allerdings im Vergleich zur Konkurrenz Grenzen gesetzt. Es muss wegen des Bankgeschäfts der Clearstream ihre Bonitätsnote halten, kann sich also nur in begrenztem Umfang für Übernahmen verschulden.Nach eigenen Angaben stehen der Deutschen Börse über 2 Mrd. Euro an freien Mitteln zur Verfügung. Damit kann sie auch nicht annähernd mit anderen Marktbetreibern mithalten. So ist etwa der Zusammenschluss der LSE mit Refinitiv eine 27 Mrd. Dollar schwere Transaktion, und auch die kürzlich vom US-Börsenbetreiber Intercontinental Exchange angekündigte Übernahme des auf Hypotheken spezialisierten Softwarehauses Ellie Mae übertrifft mit 11 Mrd. Dollar die Möglichkeiten der Deutschen Börse deutlich. Zuletzt erschienen: Amsterdam muss systemische Instabilitäten fürchten (12. August) Singapur setzt voll auf Fintech-Karte (11. August) Eurex Clearing kann punkten (8. August)