IM GESPRÄCH: CHRISTIAN SPIELER

Deutsche Citigroup bremst die Maschinen-Euphorie

Markets-Chef: Gibt es Stress, rufen die Leute plötzlich wieder im Wertpapierhandel an - Debatte um Einsatz künstlicher Intelligenz "overhyped"

Deutsche Citigroup bremst die Maschinen-Euphorie

Citigroup setzt im Wertpapierhandel zunehmend auf Big Data, will die mancherorts zu beobachtende Begeisterung für eine Automatisierung aber nicht teilen. In wenig liquiden oder kaum standardisierten Märkten fühlten sich “die Leute mit Maschinen nicht wohl”, sagt Manager Christian Spieler der Börsen-Zeitung. Von Bernd Neubacher, FrankfurtCitigroup tritt angesichts der mancherorts zu beobachtenden Begeisterung für eine Automatisierung des Wertpapierhandelsgeschäfts auf die Bremse. Er glaube nicht an einen unbegrenzten Siegeszug der Maschinen im Handelsgeschäft, erklärt Christian Spieler, Managing Director der Citigroup Global Markets Europe AG, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Bank setzt vielmehr auf Menschen und Maschinen. “Die Maschinen kommen, ja. Aber es ist eine Illusion anzunehmen, dass in wenigen Jahren im Handel nur noch Maschinen miteinander kommunizieren werden”, erklärt der Manager. Im Rahmen liquider Märkte und standardisierter Produkte wie im Falle des Euro-Dollar-Devisengeschäfts oder des Handels mit Anleihen der G 10-Staaten ist das Geschäfts bereits sehr elektronisch geworden, wie der Manager berichtet. In diesen Geschäftsbereichen dürften Händler weiter durch Maschinen ersetzt werden.Je stärker aber die Markttiefe abnehme, desto weiter entferne sich der Handel vom elektronischen Geschäft, zum Beispiel bei Transaktionen mit Anleihen aus Schwellenländern oder exotischen Währungen. “Wenn ein Markt nicht liquide oder standardisiert ist, fühlen sich die Leute mit Maschinen nicht wohl”, erklärt Spieler. Zudem funktioniere das Geschäft über Maschinen selbst in liquiden Märkten nur, solange das Umfeld stimme: “Wenn ein Markt in Stress gerät, ebbt der Flow über die Maschinen ab, und plötzlich rufen die Leute wieder übers Telefon an. Kein Assetmanager und keine Bank wird dann, wenn es schwierig wird, kritische Entscheidungen einer Maschine überlassen.” Markttiefe hat abgenommenDies sei selbst im Markt für italienische Staatsanleihen zu beobachten gewesen, der angesichts von Verunsicherung hinsichtlich der Entwicklung im südeuropäischen Land nach der Wahl im März, wenn auch nur kurzfristig, tatsächlich eingefroren sei. Ohnehin habe generell die Markttiefe in kritischen Situationen dramatisch abgenommen. Spieler erklärt dies nicht zuletzt damit, dass Banken sich angesichts höherer Kapitalanforderungen aus dem Marketmaking zurückgezogen haben: “Auch die Maschine wird die alte Markttiefe in solchen Situationen nicht wieder herstellen”, sagt er.Der Manager nimmt damit eine etwas andere Haltung ein als etwa Ex-Deutsche-Bank-Chef John Cryan. Der hatte im Interview der Börsen-Zeitung zum Jahreswechsel erklärt: “Der Wandel in unserer Branche insgesamt ist radikal, darauf haben wir uns eingestellt. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir heute weniger Händler als vor zwei Jahren haben würden und dass wir in zwei Jahren weniger Händler haben werden als heute. BlackRock zum Beispiel, der größte Investor weltweit, nutzt heutzutage eigentlich keine Händler mehr. Die Gesellschaft hat ein Orderanforderungssystem namens RFQ.”Für die Citigroup ist Spielers Befund ein zweischneidiges Schwert: Grundsätzlich eröffnet ihr der Einsatz von Maschinen die Möglichkeit, Kosten zu senken. Zugleich aber muss sie eine gewisse Personalbasis vorhalten, um bei Bedarf auch ein sprunghaft steigendes Aufkommen an Kundenanfragen bewältigen zu können. Nicht zuletzt bietet der persönliche Kontakt mit Kunden gerade in schwierigen Marktphasen Chancen, Kunden zu binden und letztlich höhere Erträge zu generieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass vor allem in kundenfernen Bereichen Stellen zur Disposition stehen.Ebenso hat die in diesem Jahr zu beobachtende Rückkehr der Volatilität in den Markt für ihn zwei Seiten. Die Maxime, dass Kursschwankungen grundsätzlich gut seien für Broker, relativiert Spieler. Er unterscheidet vielmehr zwischen willkommener und unwillkommener Volatilität. Die eine rührt daher, dass sich im Markt sukzessive eine Meinung bildet und Anleger entsprechend kaufen oder verkaufen, die andere hingegen lässt die Notierungen Sprünge vollführen, auf die sich niemand einstellen und mit denen niemand arbeiten kann: “Wenn der Markt springt, kann das einen großen Gewinn, aber auch einen großen Verlust bedeuten.” Dieses Gefühl mangelnder Kalkulierbarkeit erzeuge seinerseits ein Unsicherheitsgefühl.Citi Deutschland, die Corporate & Investmentbank der Citigroup in Deutschland, beschäftigt eigenen Angaben zufolge im Markets-Geschäft rund 70 Mitarbeiter im Front Office, dem Bereich Trading & Sales. Dazu zählten auch einzelne Kollegen, die von London aus die Teams in Frankfurt unterstützten, heißt es. Im Middle und Back Office greife man auf lokale, größtenteils aber auf internationale Ressourcen aus dem Citi-Netzwerk zurück. Die Mitarbeiterzahlen in diesem Bereich seien seit der Finanzkrise insgesamt zurückgegangen, seit einigen Jahren aber relativ stabil, wird mitgeteilt. Ein Ausblick auf die weitere Entwicklung sei “schwierig, weil dabei viele Faktoren eine Rolle spielen”. Konzern wertet Tochter aufEiner dieser Faktoren ist, dass die deutsche Citigroup-Tochter, deren Sparte Markets and Securities Services Spieler leitet, im Konzern deutlich aufgewertet wird. Denn Mitte Juni wurde bekannt, dass die US-Großbank in Frankfurt ihre im Zuge des Brexit notwendig werdende EU-Wertpapierhandelsbank ansiedeln wird.Die Deutschland-Tochter der US-Bank hat daher in Citigroup Global Markets Europe AG umfirmiert. Derzeit beschäftigt das Institut in Frankfurt insgesamt rund 350 Leute. Ihren Stab und ihre Risikofunktionen will sie nun deutlich verstärken. Den Erwartungen zufolge werden im Zuge des Brexit 100 bis 150 Citi-group-Mitarbeiter in die EU gehen, von denen indes nicht alle nach Frankfurt kommen dürften.Die Debatte um den Einsatz künstlicher Intelligenz (AI) im Handelsgeschäft bezeichnet Spieler unterdessen als “overhyped”. Begründung: Dieser Einsatz finde schlicht nicht statt. Meist gehe es allein um eine Nutzung von Algorithmen.Im Falle isolierter, komplexer Probleme, etwa in den Spielen Schach oder Go, könne AI “unheimlich viel leisten”, konzediert Spieler. Im Handel aber werde sie den Menschen nicht ablösen: “Artificial Intelligence im wissenschaftlichen Sinne von ,deep learning` oder ,deep neural networks` findet im Handel nicht statt, und bis das passiert, wird es auch noch lange dauern.”Sehr wohl nutzt Citigroup allerdings bereits die Möglichkeiten von Big Data: “Wir arbeiten sehr intensiv mit Big-Data-Analysen und Algorithmen, weil da in der Tat sehr viel herauszulesen ist.” Dies gelte in erster Linie für die Betrugsprävention und die Analyse von Unregelmäßigkeiten im Verhalten von Handelstischen, betreffe aber auch Informationen zu Handelsstrategien.So zeigten einzelne Kundengruppen ein bestimmtes Handelsverhalten: “Wenn man das analysiert, kann man den Kunden gezielt ansprechen”, sagt Spieler: “Wir nutzen Informationen, die vorhanden sind, die aber wegen ihres Umfangs und ihrer Komplexität ein Mensch nicht sehen kann, wohl aber der Computer.” Dies verbessere die Analyse und die Aufbereitung von Informationen und damit die Qualität von Diskussionen. So setzt die Bank Algorithmen ein, um es etwa einem Sales-Mitarbeiter zu ermöglichen, einen Kunden, der ein Wertpapier handeln will, umgehend auf Alternativen mit einem besseren Rendite-Risiko-Profil hinzuweisen. Einblick in OrderströmeIm Markets-Geschäft von Citi sind seinen Angaben zufolge weltweit rund 10 000 Leute allein in der Technologie beschäftigt, mehr als im Kundengeschäft. Die Größe und die globale Ausrichtung der Bank, die in über 160 Ländern der Erde Geschäft betreibe, in über 100 Ländern eine Banklizenz habe und in über 80 Ländern mit Mitarbeitern vor Ort präsent sei, sowie der Einblick in große Orderströme brächten dabei einen Informationsvorteil mit sich, wirbt Spieler für seinen Arbeitgeber. Die US-Bank vereint sämtliche internen Flows in einem Central Risk Book, gegen welches Händler der Bank Transaktionen ausführen können, wie er erläutert.Die von Spieler geleitete Sparte Markets and Securities Services hat ihren Ertrag in den vergangenen Jahren nach seinen Angaben im Schnitt jeweils prozentual zweistellig gesteigert. Im Jahresabschluss 2017 der Citigroup Global Markets Deutschland AG heißt es: “In einzelnen Geschäftsfeldern war es möglich, nicht nur die Marktposition, sondern auch Umsätze und Erträge im Vergleich zum Vorjahresniveau leicht zu steigern.” Im Aktien-, Zertifikate- und Optionsscheinhandel legten Umsatz und Ertrag im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren demnach “erheblich” zu.In einem generell “schwierigen Marktumfeld für das Devisengeschäft und aufgrund von Spread-Kompression und steigenden Geschäftsaktivitäten über Handelsplattformen” habe sich das Ergebnis im Vergleich zum Kalenderjahr 2016 verringert, heißt es: “Dies ist auch durch das Ausbleiben von episodischen Transaktionen in 2017 begründet.” An Provisionen holte die Sparte 73 Mill. Euro herein. Den Ausbau von Marktanteil führt Spieler darauf zurück, dass die Bank vor allem ihre existierenden Kunden effektiver betreut.