Deutsche Fintechs auf dem aufsteigenden Ast

Studie des Bundesfinanzministeriums sieht viele Marktchancen - Neue Technologien sollen Finanzierung von Unternehmen in Europa anschieben

Deutsche Fintechs auf dem aufsteigenden Ast

Deutschland erlebt derzeit einen Aufschwung der Fintechs. Das Bundesministerium der Finanzen geht davon aus, dass sich das stramme Wachstum fortsetzt. Gleichzeitig warnt es davor, dass bei breiter Anwendung automatisierter Verfahren die Risiken im Finanzsektor steigen.bg Frankfurt – Der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), Jens Spahn, hat auf der Konferenz “hub16” am Dienstag in Berlin bekräftigt, dass der Fintech-Standort Deutschland in den Regionen weiter gefördert, gleichzeitig aber auch ein zentrales Drehkreuz etabliert werden soll. Spahn stellte auch die Studie des Ministeriums zum deutschen Fintech-Markt vor, die einen Wachstumsschub in Aussicht stellt. Für 2015 wird dabei als Ausgangsbasis das Marktvolumen deutscher Fintechs in Finanzierung und Vermögensmanagement auf 2,2 Mrd. Euro beziffert. Das Potenzial ist aber groß, denn auf die beiden Felder entfällt ein Marktvolumen von insgesamt 1,7 Bill. Euro in 2015 , davon 380 Mrd. Euro auf Finanzierungen.Im Basisszenario gehen die Forscher davon aus, dass die Fintechs, also junge Technologiefirmen im Finanzsektor, in Deutschland bis 2020 ein Marktvolumen von 58 Mrd. Euro in den beiden Segmenten auf sich vereinen können. Bis 2025 wären den Prognosen zufolge 97 Mrd. Euro möglich, bis 2035 könnte das Volumen auf bis zu 148 Mrd. Euro anschwellen. Um zu diese Zahlen zu kommen, haben die Forscher unter anderem die zukünftige Größe der adressierbaren Märkte geschätzt und zugleich kalkuliert, wie stark die neuen Technologien den Markt durchdringen können. Fintech, Proptech, InsurtechWie belastbar diese Prognosen sind, lässt sich schwer beurteilen. Das BMF geht davon aus, dass sich die lebhafte Entwicklung des Sektors fortsetzen wird. Per Ende 2015 wurden 433 Fintech-Unternehmen mit einer Geschäftstätigkeit in Deutschland identifiziert, davon 346 mit einer aktiven Geschäftstätigkeit. Die meisten Start-ups sind im Zahlungsverkehr tätig (siehe Grafik).Mit ihren Zahlen bleibt die Studie hinter anderen Schätzungen zurück, was sich aus unterschiedlichen Abgrenzungen ergeben kann. So kommt die Beratungsfirma Barkow Consulting mit dem verlängerten Betrachtungszeitraum bis Ende September 2016 auf 544 aktive Fintechs in Deutschland – allein in diesem Jahr kamen weitere 49 Neugründungen in die “Fintech Moneymap”.Spahn räumte auf der Konferenz auch ein, dass es inzwischen mehr als 500 Fintechs gebe. Außerdem ist bei Barkow Consulting das Segment der Proptechs, also digitale Dienste für die Immobilienbranche, die umfangreichste Kategorie mit 145 Start-ups. In der Studie der Bundesregierung kommen Proptechs überhaupt nicht vor. Zudem wird der Kategorie der Insurtechs, also digitale Dienste in der Versicherungsbranche, keine Analyse gegönnt. Die Studie beschränkt sich somit auf die Segmente Finanzierung und Vermögensmanagement. Dabei können die Annahmen nicht immer überzeugen: So schätzen die Autoren, dass derzeit rund 1,2 Millionen Deutsche PFM-Systeme (PFM = Personal Finance Management) nutzen. Die Basis für die Schätzung in diesem sehr dynamischen Markt ist aber eine Befragung von 2014.Innerhalb Europas liegt der deutsche Fintech-Markt der Studie zufolge nach Großbritannien auf dem zweiten Platz. Das Ministerium geht davon aus, dass Teile der Londoner Fintech-Szene nach Kontinentaleuropa abwandern könnten. Unpassend erscheint, dass die Studie als Beweis für diese These darauf verweist, dass sich die Bank WB21 und sechs weitere Fintechs bereits entschieden hätten, ihr operatives Geschäft von London nach Berlin zu verlagern. An dem angeblichen Milliardenwert des Start-ups sind aber mittlerweile Zweifel aufgekommen.Dabei lässt sich durchaus schon feststellen, dass Deutschland als Fintech-Standort von der nachlassenden Attraktivität Londons profitiert. Während global das Volumen der Wagniskapital-Investitionen zurückgeht, erlebte Deutschland zuletzt einen Zuwachs. Für das BMF mit Staatssekretär Jens Spahn als Fintech-Beauftragtem der Bundesregierung ist es wichtig, dass die Fintechs auch zur Erfüllung strategischer finanzpolitischer Ziele beitragen.Im Ministerium hofft man, Fintechs könnten helfen, die Finanzierungslücken kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) in Europa zu verringern. Denn mit der geplanten Kapitalmarktunion versucht die Europäische Kommission nicht nur, kleinen Firmen den Zugang zu Kapitalmarkt zu erleichtern, sondern auch die Investitionsflüsse innerhalb Europas zu steigern. Dazu könnten Fintechs zum Beispiel mit ihren Kreditmarktplätzen beitragen. Marktrisiken im BlickGleichzeitig hat das BMF auch ein Auge auf mögliche Risiken für die Finanzmarktstabilität geworfen. Im Monatsbericht des Ministeriums heißt es im Kapitel “Digitalisierung des Finanzmarktes in Deutschland”, dass mit flächendeckender Anwendung automatisierter Verfahren die operationellen Risiken steigen. Zudem sei nicht auszuschließen, “dass durch den Einsatz neuer Technik regulatorische Schlupflöcher entstehen, die schnell geschlossen werden müssen, um keine regulatorische Arbitrage zu ermöglichen und den Verbraucher bestmöglich zu schützen”.Gleichzeitig will das BMF sicherstellen, dass durch Regulierung “der Entwicklung neuer Technologien keine unnötigen Hürden in den Weg gestellt werden”. Regulatoren weltweit sind derzeit bemüht, der Innovationstätigkeit im Fintech-Segment keine übergroßen Steine in den Weg zu legen. Das BMF sieht “Deutschland auf dem Weg zur Fintech-Nation” – so der Untertitel des Kapitels.