Deutsche Retailbanken haben ein Filialproblem

BCG-Studie sieht Massengeschäft vor gewaltigem Umbruch - Erdrückende Flächenkosten - Es droht ein "digitaler Schock"

Deutsche Retailbanken haben ein Filialproblem

bg Frankfurt – Gute Nachrichten sind dieser Tage rar im deutschen Retail Banking. Angesichts der verstärkten Nutzung digitaler Zugangskanäle geht die Boston Consulting Group (BCG) in ihrer aktuellen Studie “Retail Banking Revenue Pools” davon aus, dass die Wirtschaftlichkeit des klassischen Filialgeschäfts bis 2018 kaum noch gegeben ist. Denn die über Filialen durch Neukundengewinnung und Ausschöpfung von Bestandskunden generierten jährlichen Neuerträge gehen in Konkurrenz zum Direktbanking immer stärker zurück. Von 66 % im laufenden Jahr werden es 2018 nur noch 54 % sein, prophezeit BCG. Geringer DeckungsbeitragDamit würde sich das Gesamtvolumen der durch Filialgeschäft induzierten Erträge bis 2018 auf 14 Mrd. Euro reduzieren, was einem Rückgang von kumuliert 23 % über vier Jahre entspräche. Nach Abzug von Betriebs- und Risikokosten verbleibe 2014 ein Deckungsbeitrag von gerade einmal 0,5 Mrd. Euro, rechnet BCG vor. Bei unveränderter Kosten- und Risikostruktur würde im filialgebundenen Massengeschäft ein negativer Deckungsbeitrag von knapp 5 Mrd. Euro entstehen, bröckelt doch der Filialanteil am Neugeschäft ab. Fällt die Filialquote unter die Marke von 40 %, tritt laut BCG ein sogenanntes “Digital-Schock-Szenario” ein – die Erträge würden dann um rund ein Drittel niedriger liegen als 2014.Das würde “zwangsläufig zu einer beschleunigten Konsolidierung der Filialnetze führen”, so Reinhard Messenböck, Partner bei BCG und einer der beiden Autoren der Studie: “Aus unserer Sicht zeichnet sich das Ende des klassischen Filialgeschäfts ab.” Bis 2018 müssten selbst im Basisszenario 35 % bis 40 % der Flächenkosten eingespart werden, rechnet Messenböck vor. Von den heute 36 000 Filialen und Zweigstellen in Deutschland müssten 12 000 bis 15 000 geschlossen werden, um die Flächenkosten an das reduzierte Aufkommen anzupassen. Im Zielbild der BCG-Experten verbleiben 20 000 bis 25 000 Filialen, wobei nur noch in knapp jeder zweiten Zweigstelle klassische Beratung stattfinden werde.Angesichts dieser Dimension des drohenden Umbruchs müssten Filialbanken “sehr viel radikaler beim Umbau vorgehen”, empfiehlt BCG-Partner und Mitautor der Studie Til Klein. Das Bestehende zu optimieren reiche aber nicht. “Durch eine Optimierung des Ist-Zustandes mit den üblichen Verfahren ist in den allerwenigsten Fällen der Übergang zu digitalen Geschäftsmodellen zu schaffen. Zug um Zug umzubauen, dann staut es sich auf und es findet eine schlagartige Entladung statt – der Digitale Schock.”Messenböck kritisiert die Trägheit der Institute. “Die Entwicklung wird von Banken noch zu sehr aus dem Status quo heraus betrachtet. Einzelmaßnahmen wie die Abschlussfähigkeit des Online-Kredites zu verbessern – das ist Innovation in Trippelschritten.” Dabei haben die Kunden ihre Trägheit längst abgelegt und integrieren die Möglichkeiten des digitalen Banking immer schneller in ihren Alltag – was von den Banken verlangt, ihre Systeme für das digitale Direktbanking aufzurüsten. Stolpersteine in der ITDoch auch auf diesem Weg lauern Stolpersteine. “Alte Systeme in eine digitale Welt zu übertragen, das ist nahezu unmöglich”, sagt Klein. In vielen Fällen hätten Banken gar nicht die technischen Möglichkeiten, um die Anforderungen an eine voll auf das digitale Geschäftsmodell zugeschnittene IT-Architektur zu erfüllen. Besserung ab 2017Der seit 2008 anhaltende Abwärtstrend bei den operativen Erträgen der deutschen Retailbanken dürfte derweil in diesem Jahr die Talsohle erreichen. BCG rechnet mit einem leichten Zugewinn im Revenue Pool von 0,5 % auf dann 55,7 Mrd. Euro. 2013 waren die branchenweiten Erträge noch um 4 % geschrumpft. Bis 2018 soll der Ertragspool auf 57,3 Mrd. Euro anwachsen (siehe Grafik).Dabei erwartet BCG nachhaltige Wachstumsimpulse erst für die Zeit nach 2017. Auf der Kreditseite seien leicht positive Impulse in der Bau- und Konsumentenfinanzierung zu erwarten, heißt es in der Studie. Mit rund 16 Mrd. Euro entfiel knapp ein Drittel der gesamten Privatkundenerträge auf dieses Segment. Dem BCG-Modell zufolge wächst dieses Marktvolumen bis 2018 auf circa 17 Mrd. Euro, wobei fast 10 Mrd. Euro auf die Konsumentenfinanzierung entfallen.Bei Spar- und Anlageprodukten wird vor dem Hintergrund allgemeiner Margendegression ein jährlicher Zuwachs von lediglich 1,4 % erwartet. Für 2017/18 wird eine steigende Zinskurve antizipiert – bis dahin könnten sich die Banken bestenfalls über eine Stabilisierung ihrer Zinserträge freuen. Im Anlagegeschäft wird ein minimales Ertragswachstum von 0,4 % erwartet. Für die BCG-Experten ist dies “ein Silberstreif am Horizont” nach Ertragsrückgängen um durchschnittlich 4,7 % seit 2008. Strukturelle Verschiebungen in niedrigmargige Produkte wie Exchange Trade Funds (ETF) reduzierten weiterhin die Durchschnittsmarge auf den Bestand, erklärt BCG das auch durch Umschichtungen zwischen Produkten ausgelöste anhaltende Dilemma – trotz positiver Marktentwicklung bleibt für die Banken im Kundengeschäft nur wenig mehr hängen. In der SackgasseTrotz der Ertragserosion vergangener Jahre und der sich abzeichnenden beschleunigten Verlagerung von Erträgen in die digitalen Kanäle scheinen die Retailbanken noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt und bewegen sich auf ausgetretenen Pfaden. “Damit die Pläne der Banken aufgehen, müsste der Markt massiv wachsen – was nicht der Fall ist. Insofern versucht jeder, Marktanteile von anderen zu gewinnen. Das ist die Grundhypothese”, sagt Messenböck. In diesem Verteilungskampf verlagern sich die Aktivitäten zur Neukundengewinnung auf das Girokonto und damit weg vom Tagesgeld. Das werde sich fortsetzen, genau wie der Kampf um das Kreditgeschäft – “immer in der Hoffnung, der Konkurrenz das Wasser abzugraben. Insgesamt kann das nicht aufgehen.”