IM INTERVIEW: MATTHEW CHAMBERLAIN

"Deutschland ist für uns sehr wichtig"

Der CEO der Londoner Metallbörse über mögliche Brexit-Auswirkungen, neue Produkte und eine Expansion in Asien

"Deutschland ist für uns sehr wichtig"

– Herr Chamberlain, welche Rolle spielen deutsche Kunden für die London Metal Exchange?Unser größtes Geschäftsfeld besteht aus den Basismetallen wie Aluminium und Kupfer, aber wir haben auch ein Edelmetallgeschäft. Deutschland ist für uns ein sehr wichtiger Markt. Es gibt eine große Metallindustrie, und ein großer Teil davon nutzt die LME. Wir arbeiten viel mit dem Verband deutscher Metallhändler – VDM – zusammen. Es ist absolut entscheidend für uns, dass wir auch nach dem Brexit das Geschäft mit unseren Partnern in Deutschland aufrechterhalten. Die direkten Börsenmitglieder sind dabei die Banken wie Deutsche Bank oder Commerzbank. Diese ermöglichen eine Menge Geschäft, das über die LME läuft.- Was ist Ihre Erwartung hinsichtlich des Brexit?Wir bleiben optimistisch, dass es zu einer Einigung kommt. Es gibt absolut kein Bedürfnis, dass der Marktzugang durch den Brexit abgeschnitten wird. Wir sind mit der LME insofern in einer glücklichen Situation, als es keinen kontinentaleuropäischen Wettbewerber gibt, zu dem Geschäft verlagert werden könnte. Wir denken, es ist im besten Interesse der Europäischen Union, hier den Zugang zu erhalten.- Eine Einigung bedeutet in Ihrer Sicht, dass es zu einer Übergangsphase kommt?Das ist das wahrscheinlichste Resultat. Aber es ist wichtig, dass unsere Börsenmitglieder wissen, was im Fall eines Worst-Case-Szenarios geschehen würde. Es gibt drei Dinge, um unseren europäischen Kunden zu helfen, dass sie weiter mit uns handeln können. Erstens sollte die LME als Handelsplattform in unseren Kern-Ländern in der EU-27 anerkannt werden. Das ist Sache der nationalen Aufsichtsbehörden, in unserem Fall also der BaFin in Deutschland, der AMF in Frankreich, der AFM in den Niederlanden und der Central Bank of Ireland. Wir würden dann einen Anerkennungsantrag einreichen oder eine Ausnahmegenehmigung beantragen.- Sie sind in Gesprächen mit der BaFin?Ja, wir sind dankbar, wie offen die Aufseher sind. Wir nehmen nichts vorweg, aber wir tun alles, damit sie mit ihrer Entscheidung gut leben können. Auf einer zweiten Ebene haben wir es mit der europäischen Marktaufsicht ESMA zu tun. Da geht es um die Anerkennung als Clearing-Haus. Die Derivateverordnung Emir beschneidet allerdings die Möglichkeiten der Esma. Technisch gesehen kann die Marktaufsicht erst einen Antrag auf Drittländer-Anerkennung bearbeiten, nachdem Großbritannien die EU verlassen hat. Die Esma kann aber keine unmittelbare Entscheidung treffen, somit ist kein nahtloser Übergang möglich. Im schlechtesten Fall könnten wir am 29. März 2019 gezwungen sein, die Positionen von unseren kontinentaleuropäischen Kunden zu schließen, weil wir für sie nicht mehr legal Clearing-Dienstleistungen anbieten können.- Was dann?Unsere sechs Clearing-Mitglieder aus der EU-27 werden Notfallpläne ausgearbeitet haben. Entweder, dass über eine Tochtergesellschaft in Großbritannien gehandelt wird, oder über ein anderes unserer Clearing-Mitglieder auf einer Interimsbasis.- Kommt es zu erhöhten Margin- und Collateral-Anforderungen?Selbst wenn wir im Handel die Erlaubnis der BaFin erhalten sollten, oder wenn uns die ESMA das Clearing-Geschäft weiter erlaubt, könnte es sein, dass unsere Kontrakte anders beurteilt werden. Sie könnten statt als ETDs – also börsengehandelten Derivaten – als Over-the-Counter-Kontrakte von den Aufsehern eingestuft werden. Das würde bedeuten, dass Banken aus der EU-27 dann mehr Kapital gegenüber diesen Positionen stellen müssten. In einer idealen Welt brauchen wir also eine Handelsäquivalenz, eine Clearing-Äquivalenz und eine Einstufung unserer Produkte als Exchange Traded Derivatives. Dies wäre fantastisch.- Die US-Derivateaufsicht CFTC bemängelt, dass die Anerkennung der Gleichwertigkeit durch ESMA in Frage gestellt werden könnte. Wäre denn aus Ihrer Sicht die Anerkennung – und nicht etwa die Äquivalenz – die beste Lösung, um Planungssicherheit zu haben?Es gibt eine Diskussion auf der Ebene der Regulatoren, in welchem Umfang Drittländer-Anbieter anerkannt werden sollten. Ich glaube, wir fallen nicht in die Kategorie der systemisch wichtigen Clearing-Häuser. Metalle sind eine sehr kleine Assetklasse und haben bisher keine Finanzkrise verursacht. Wir würden es begrüßen, wenn es ein Setup gibt, in dem sich ESMA auf systemisch wichtige Adressen konzentriert. Wenn wir anerkannt sind, in welcher Form auch immer, werden wir die Aufsicht immer informiert haben und ihre Entscheidungen respektieren.- Erwarten Sie eine Ausweitung der Clearing-Pflicht auf Rohstoffkontrakte?Ich glaube nicht, dass Rohstoffkontrakte je zwangsweise gecleart werden müssen. Wir wollen aber auch nicht Regulierung als kommerzielles Instrument nutzen. Es gibt Regulierung, die uns mehr Geschäft bringt, aber es gibt auch Regulierung, die uns kostet. Es wäre ein gefährliches Spiel für eine Börse, Regulierung als Geschäftszweck zu nutzen.- Nun zu Ihrer Strategie. Sie wollen ein Multi-Asset-Clearing-Haus und eine Multi-Asset-Börse werden, zusammen mit dem Eigentümer Hong Kong Clearing & Exchanges. Wie weit ist diese Strategie bereits gediehen?Die Kosten, um ein Clearing-Haus und eine Börse zu betreiben, sind viel höher als früher. Wir wollen also so viel Produkte wie möglich auf die Plattform bringen, das Geschäft verbreitern und die Grenzkosten verringern. Lange Zeit, schon seit der Akquisition durch die HKEX im Jahr 2012, bestand die Frage, wie breit sich die LME positionieren soll. Finanz- und Aktienderivate wären eine Option. Wir wissen aber auch, dass es schwierig ist, Liquidität aufzubauen. So haben wir uns gefragt, wo wir ein “Recht zu gewinnen” haben.- Das heißt?Wir haben benachbarte Gebiete identifiziert, wo unsere bestehenden Kunden ein Interesse haben. Das sind Eisen und Stahl. Stahl ist ein zehnmal größerer Markt als der nichteisenhaltige Bereich. Wir haben also einen neuen cashgesettelten Schrott-Kontrakt gestartet. Er ist immer noch sehr klein im Verhältnis zum gesamten Marktvolumen, aber er hat Liquidität gewonnen.- Sie haben auch einen Gold-Future gestartet. Wie läuft der?Der Edelmetallhandel in Europa ist stark von Over-the-Counter-Transaktionen geprägt, mit einem Fixing in London. Wir haben eine Anzahl an Investmentbanken an uns herantreten sehen, die sagten, wegen der Regulierung und Kapitalkosten wollen sie einen börsengehandelten Edelmetallmarkt sponsern. Deswegen haben wir LME Precious gestartet, ein Konsortium mit Goldman Sachs, J.P. Morgan, Industrial and Commercial Bank of China und anderen, mit einer Gewinnbeteiligung und einer Beteiligung an der Corporate Governance. Börsen haben gelernt, dass es viel besser ist, einen Markt zu starten, wenn sie die Banken an ihrer Seite haben. Mit aktuell 4 000 Einheiten pro Tag ist der Umsatz noch klein, aber es handelt sich um den bisher erfolgreichsten Produktstart in so kurzer Zeit.- Geht es der LME nur ums Clearing oder auch um die Elektronifizierung des Rohstoffhandels insgesamt?Die Banken handeln mit ihren Kunden weiter bilateral, geben aber ihr eigenes Buch im Interdealer-Markt ins Clearing. Wir hoffen, dass die Kunden der Banken auch direkt elektronisch handeln. Das wäre der nächste Schritt. Momentan sind es aber vor allem die Banken. Die meisten Märkte sind ziemlich standardisiert, etwa im Zinsderivategeschäft. Die meisten Buyside-Adressen können direkt handeln. Bei den Märkten der LME ist dies anders. Wir haben eine Day-to-Day-Struktur, und unsere Kunden sichern das ab, was in ihrem Liefervertrag steht.- Was bedeutet das konkret?Angenommen, ein deutscher Kunde kauft bei einer Kupferhütte eine bestimmte Menge an Kupfer. Dann wird er vereinbaren, dass er den durchschnittlichen Tagespreis bezahlt, der an der LME innerhalb eines vereinbarten, bestimmten Lieferzeitraums gestellt wird, etwa zwischen dem 5. Juni und 5. August. Eine solch spezifische Lieferung kann nie in einer standardisierten, liquiden Form handelbar gemacht werden. Wir hängen also sehr stark von unseren Mitgliedern ab, die als Mittler dazwischentreten müssen. Sie übernehmen die Swaps mit den Kunden, aber gehen zur LME, um dort ihre Risiken abzusichern. Wir sind viel stärker von unseren Mitgliedern abhängig als andere Marktbetreiber. Darum haben wir so viel Zeit investiert, sicherzustellen, dass unsere Mitglieder mit der Art und Weise, wie wir uns weiterentwickeln, auch zufrieden sind. Wir können kein direktes Anbindungsmodell umsetzen, wir sind immer auf die Mitgliedsbanken angewiesen.- 2015 hat die LME ihre Gebühren erhöht, die im Markt nicht gut angekommen ist.Solche Dinge gelingen selten beim ersten Mal. Es gab einige Gebührenänderungen besonders in Carries mit kurzer Dauer, wo es um Risikobegrenzung für die Dauer von ein oder zwei Tagen geht. Da haben wir die Gebühren zu stark angehoben.- Wie ist die Beziehung zum Eigentümer HKEX?Wir sind komplett in Besitz der HKEX, aber unterhalten ein eigenes Geschäft in London. HKEX hat einen konkurrenzlos guten Zugang zum chinesischen Festlandmarkt. Und es ist ein Best-in-Class-Börsenbetreiber. Wir haben gerade unser neues Multicast-Marktdatensystem gestartet, LME Source, das auf Hongkonger Technologie basiert. Das ist ein großartiges Beispiel, wo wir Ressourcen in Hongkong nutzen konnten, um sie den Händlern in London zugutekommen zu lassen. Wir beabsichtigen da in puncto Technologie noch eine ganze Reihe mehr zu machen. Alles, was das Marketing für Festland-China anbelangt, machen wir aus Hongkong heraus. HKEX vermarkte ihre Produkte und die LME-Produkte. Wir möchten in Zukunft unsere Märkte verbinden. Hongkong ist richtig erfolgreich in der Anbindung an Aktienmärkte, so an den Schanghai Stock Connect und Schenzhen Stock Connect. Wir werden sehen, was wir hier erreichen, um unseren Markt in London mit dem in Hongkong und in Festlandchina zu verbinden. Wir sind bisher stark auf London fokussiert gewesen und haben vielleicht nicht so viel in Bezug auf Hongkong gemacht, wie wir hätten machen können. Aber es wird sicher eine der großen Aufgaben in den kommenden Jahren sein, diese Gruppensynergien zu heben.- Wie sieht es mit der Liberalisierung in China aus? LME setzt hier nur auf Metallkontrakte?Ja, es gibt die Shanghai Futures Exchange, die Basismetallkontrakte handelt, die sehr ähnlich den unsrigen sind. Diese beiden Sets an Liquidität verstärken sich derzeit gegenseitig, würde ich sagen. Wir sehen in Schanghai weniger einen Wettbewerber denn eine verstärkende Kraft für das Londoner Geschäft. Wir bedienen verschiedene Kundengruppe. Die chinesischen Derivatebörsen öffnen nun ihre Kontrakte im Bereich Öl, Eisenerz und dem Plastikvorprodukt PTA. Es wird interessant zu sehen sein, ob sie auch ihre Basismetallkontrakte liberalisieren. Kupfer wäre naheliegend, da es ein Anlageprodukt ist und es drei globale Handelszentren gibt, in New York mit Comex und Nymex, in Schanghai und unseren. Generell glauben wir, dass die Öffnung von chinesischen Rohstoffkontrakten die Liquidität erhöhen und Arbitragemöglichkeiten bieten würde. Aber wir müssen darauf achten, dass wir unseren bevorzugten Zugang zu China durch die HKEX nutzen, damit wir so viel wie möglich profitieren.- Denken Sie darüber nach, die Handelszeiten in London auszudehnen?Wir beginnen um ein Uhr morgens und handeln bis sieben Uhr abends. Wir sehen viel Handelsaktivitäten in der asiatischen Handelszeit. Das Handelsende um sieben Uhr liegt daran, dass unsere Systeme genügend Zeit über Nacht brauchen, um die Transaktionen zu verarbeiten. Idealerweise würden wir länger geöffnet haben, weil wir um 14 Uhr New Yorker Zeit bereits schließen und New York ein sehr bedeutender Handelsplatz ist.- Was ist ansonsten wichtig?Wir haben ein globales Netzwerk an Lagerhäusern, auch in Korea, Taiwan. Wir waren nie in Festlandchina und würden sehr gern dort unsere Lagerhallen in Schanghai aufbauen, aber die chinesische Aufsicht möchte dies derzeit noch nicht. Wir akzeptieren völlig, dass sich China in der für das Land richtigen Geschwindigkeit öffnet.- Welche Trends sehen Sie in ihren Märkten?Wir unterteilen unser Geschäft in physische Transaktionen und in Makro- und Hedgefonds-Geschäfte sowie algorithmische Trader. Wir haben immer die physischen Märkte priorisiert, weil dies ein sehr stabiles Geschäft ist. Es wächst im Umfang des allgemeinen Wirtschaftswachstums und hat sich auch über Konjunkturzyklen hinweg als sehr stabiles Geschäft erwiesen. Weil wir eine fokussierte Börse sind, müssen wir dieses Geschäft prioritär behandeln, denn es bezahlt uns unsere Rechnungen. Dazu gehört der Ringhandel und das Day-to-Day-Geschäft, das die Bedürfnisse des physischen Handels erfüllt. Dann gibt es die fundamentalen Finanzinvestoren, also die Marko-Fonds, die immer vor allem an Kupfer interessiert sind, vor allem als eine Annäherung an die Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Das Ende des Rohstoff-Superzyklus hat zu einer Umverteilung von Anlagegeldern geführt, aber seit Ende 2017 sehen wir eine Rückkehr von Fonds, die auf Rohstoffe setzen. Seit dem zweiten Quartal dominieren Themen wie Sanktionen und Handelskonflikte. Die dadurch ausgelöste Volatilität ist gut für die Volumenentwicklung. Aber sie haben zu einer etwas stärkeren Zurückhaltung seitens der Makro-Fonds geführt.- Welche Rolle spielen Handelskonflikte?Aluminium hat immer sehr stark auf Makro-Bedingungen reagiert. Das war 2008 so, als sich riesige Aluminium-Mengen in unseren Lagerhallen stapelten. Dieses Jahr ist es etwas anders. Da haben sich Alu-Mengen gestapelt, weil wir im Zuge der US-Sanktionen gegen bestimmte russische Aktionäre, darunter Rusal, erklärt hatten, vor dem 6. April produziertes Aluminium noch anzunehmen. Denn es ist außerhalb der USA nicht illegal, solches Aluminium zu halten. Aber wegen der großen Zahl an US-Banken bei LME und weil es sich um einen auf Dollar lautenden Markt handelt, haben wir entschieden, global neue Mengen von Rusal nicht mehr an unseren Markt zu lassen. Ich denke, dass wir hier die richtige Balance gefunden und Liquidität erhalten haben.- Welche Auswirkungen hätte eine Eskalation des Handelskonflikts?Er sorgt für Volatilität, insgesamt dürften die Auswirkungen sich aber für uns in Grenzen halten. Der Markt wird dann einfach Anpassungen an den regionalen Preisaufschlägen auf unsere globalen Preise vornehmen, das würde etwa eine Prämie für US-Produkte bedeuten. Die LME existiert seit über 140 Jahren, und dies waren nicht nur Jahre mit freiem Handel.- Wie geht die LME mit Fragen des Umweltschutzes, sozialen Themen und guter Unternehmensführung – kurz ESG – um? Diese Themen sind gerade im Rohstoffbereich mit negativen Schlagzeilen belegt.Wir folgen den Richtlinien der Industrieländergruppe OECD für verantwortungsvolle Lieferketten in Mineralien und arbeiten daran, dass alle unsere Lieferunternehmen entsprechend zertifiziert sind. Es ist im Übrigen so, dass Produkte, die etwa aus nicht verantwortungsvollem Abbau stammen, im Preis günstiger sind und entsprechend das Preisgefüge für den gesamten Markt verschlechtern. Deswegen ist es auch im Interesse der Marktqualität, dass nur zertifizierte Anbieter zugelassen werden.—-Das Interview führte Dietegen Müller.