IM INTERVIEW: NINA-LUISA SIEDLER

"Deutschland könnte Marktstandard setzen"

Die Blockchain-Anwältin über Gesetzesänderungen in Deutschland und die Rolle des Staates im Aufbau dezentraler Netze

"Deutschland könnte Marktstandard setzen"

Die Blockchain verspricht Effizienzgewinne in Lieferketten und in der Finanzindustrie sowie neue Anlageprodukte. In Deutschland soll deshalb die Urkundenerfordernis zumindest für Schuldverschreibungen wegfallen. Die auf Blockchain spezialisierte Juristin Nina-Luisa Siedler findet die Stoßrichtung des Eckpunktepapiers des Finanz- und Justizministeriums zwar sinnvoll, wünscht aber mutigere Schritte, wie sie im Interview sagt. Frau Siedler, Anfang April ist mit Unterstützung der EU-Kommission die International Association for Trusted Blockchain Applications (Inatba) gegründet worden. Was soll dieser Industrieverband für vertrauenswürdige Blockchain-Anwendungen bringen?Die Inatba etabliert einen direkten Gesprächskanal zwischen der Privatindustrie und öffentlichen Institutionen weltweit. Auf Anregung der Europäischen Kommission haben sich über 100 Mitglieder in dem Verband zusammengeschlossen, von großen Playern wie klassischen Finanz- und IT-Konzernen bis zu Micro-Start-ups und einige Non-Profit-Organisationen wie der Bundesblock, IOTA und Thinkblocktank. Das ist ein außergewöhnlicher, sehr diversifizierter Kreis, der schnell weiter wächst. Ein Governmental Advisory Board unterstützt den Verband, darin sind neben der Europäischen Kommission auch die Weltbank, OECD, das UN-Welternährungsprogramm, die UN-Klimarahmenkonvention, Unicef, die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) vertreten. Was ist die Zielsetzung?Dieses Forum bringt erstmals die Vielfalt der Beteiligten an einen Tisch und fördert so die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten. Ziel ist die Förderung der Standardisierung, auf die auch die Regulatoren warten. Ein weiterer Schwerpunkt sind Governance-Modelle sowie die Entwicklung eines rechtskonformen Rahmens für Smart Contracts. Der Verband soll einen wesentlichen Input zu den anstehenden Diskussionen geben und entsprechende Positionspapiere vorlegen. Dies auf Basis unserer europäischen Werte, aber mit dem Anspruch, global Einfluss zu nehmen. Es gibt auch viele nationale Initiativen. Sind die damit obsolet geworden?Die nationale sowie internationale Ebene sind gleichermaßen relevant. In Deutschland beginnt gerade erst die Auseinandersetzung mit den dezentralen Systemen. Die Europäische Kommission hingegen ist vergleichsweise weit mit ihrer Blockchain-Strategie. So wurde die European Blockchain Partnership gegründet, um eine Blockchain-basierte Infrastruktur für behördliche Anwendungen aufzubauen, welche letztlich auch für Industrieanwendungen geöffnet werden soll. Dann wurde das Blockchain Observatory & Forum ins Leben gerufen, um sich besser mit der Blockchain-Community zu vernetzen. Inatba als Industrieverband ist die dritte Säule in diesem Plan, um gemeinsam die Entwicklung voranzutreiben. Die Europäische Marktaufsicht ESMA schlägt vor, den regulatorischen Begriff des Finanzinstruments auf Kryptoassets – namentlich Security Token – auszudehnen. Würde dies mehr Schwung bringen oder alles komplizierter machen?Security Token werden bereits als Finanzinstrumente erfasst. Alle Kryptoassets unter die Finanzmarktrichtlinie Mifid II fallen zu lassen, ginge allerdings zu weit. Verstehen Sie mich nicht falsch: Marktintegrität ist ein ganz wichtiges Thema, das angegangen werden muss. Im Moment ist diese leider gar nicht gegeben. Selbst die Kryptobörsen betreiben munter Insiderhandel. Was schlagen Sie vor?Unabhängig davon, was gehandelt wird, sollten alle liquiden Märkte bestimmten Mindestgrundsätzen der Marktintegrität unterliegen. Wir müssen allerdings zu einer angemessenen Regulierung gelangen: Für alle liquide handelbaren Instrumente sollten einheitliche Minimumstandards gelten – unabhängig von ihrer technologischen Grundlage -, für Finanzinstrumente greifen darüber hinaus die strengeren Finanzmarktregularien. Diesen Ansatz fährt, zugegeben nur für Kryptotoken, beispielsweise Gibraltar. Frankreich dagegen bietet ein Opt-in: Ein Emittent kann freiwillig sein Kryptoinstrument mit einem Prospekt herausgeben. Dies ließe sich auch national umsetzen. Deutschland könnte hier im Schulterschluss mit Frankreich einen Marktstandard setzen. Einen globalen Standard in Kryptoassets dürfte es kaum geben?Ja, das wird schwer. Es gibt etwa mit den USA kaum eine gemeinsame Basis insbesondere zum Wertpapierbegriff. Das gegenseitige Verständnis unterschiedlicher Ansätze kann aber verbessert werden. Bei globalen Standards sehen wir das Bemühen, sich auf bestimmte Geldwäsche-Mindestanforderungen zu einigen. Ein gemeinsames Eckpunktepapier des Finanz- und des Justizministeriums will gewisse Dinge lokal regeln, da man nicht auf Europa warten will.Es gibt verschiedene nationale Regeln, die noch Wege versperren, wie insbesondere das Papiererfordernis bei Urkunden in Deutschland. Das zu ändern, ist das Hauptanliegen des Eckpunktepapiers. Damit wird eine sinnvolle Änderung angestrebt. Unklar ist aber noch die Reichweite. Angestrebt werden zentral geführte Register für die papierlosen, elektronischen Wertpapiere. Das allein wäre ein Verharren in den bestehenden Denkmustern. Ein staatliches oder durch lizenzierte Finanzdienstleister geführtes Register hebt noch nicht das Potenzial, das eine Blockchain ausmacht. Es deutete sich aber in der Anhörung zum Eckpunktepapier Anfang Mai an, dass die Bereitschaft besteht, für Wertpapierregister auf dezentralen Netzwerken eine Ausnahme zu machen. Hierfür müssen nun sinnvolle Mindestkriterien erarbeitet werden. Denn für eine erfolgreiche globale Positionierung ist die Anerkennung offener Netzwerke unerlässlich, um nicht in zunehmend an Bedeutung verlierenden lokalen Kontexten zu verharren. Sie haben in einer Stellungnahme an den Finanzausschuss des Bundestags erklärt, dass die großen Technologie- und Internetkonzerne in Europa faktisch Recht setzen. Muss der Staat nun entscheiden, was in der Blockchain sinnvoll ist und was nicht?Ich glaube, diese Frage geht weit über die Blockchain-Technologie hinaus. Wir haben in den letzten zwei Jahrzehnten Infrastrukturentwicklung vor allem durch private Unternehmen gesehen, die eine sehr starke Tendenz zur Monopolbildung haben, wie Google, Amazon oder Facebook. Wollen wir weiter unterstützen, dass die digitale Infrastruktur von morgen von gewinnorientierten Einzelunternehmen gebaut wird und wir de facto nicht mehr darum herumkommen, diese Infrastruktur nach den dort gesetzten Regeln zu nutzen? Oder wollen wir die Chance ergreifen, die zum Beispiel die Blockchain-Technologie bietet, Netzwerkinfrastruktur auf Non-Profit-Basis zu bilden, auf der dann auf der Anwendungsebene – auch – gewinnorientierte Angebote platziert werden können, ohne dass von einzelnen Privatunternehmen die grundlegenden Regeln einseitig vorgegeben werden? Liegt die technologische Glaubwürdigkeit tatsächlich beim Staat? Wer ist für die Registerführung verantwortlich?Idealerweise sollte der Staat unsere Infrastruktur zur Verfügung stellen, also auch die digitalen “Straßen”. Die Sicherstellung einer digitalen Infrastruktur ist zentrale Aufgabe staatlichen Handelns. Infrastruktur darf niemandem singulär “gehören”, sondern muss die Grundlage dafür bilden, dass sich wettbewerbliche Strukturen frei entwickeln können. Das bedeutet aber keineswegs die Verstaatlichung von Infrastruktureinrichtungen. Denn ich sehe nicht die Kapazität oder auch die Möglichkeit für Nationalstaaten, das globale Internet zur Verfügung zu stellen. Umso wichtiger ist, dass die grundlegende Infrastruktur nicht einseitig der Profitmaximierung einzelner Unternehmen dient. Das kann über einer Vielzahl von Instrumenten, angefangen über das Wettbewerbs- und Kartellrecht, erreicht werden. Und Blockchain-basierte Strukturen bieten eine gute Möglichkeit, wettbewerbsneutrale Strukturen für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Allerdings scheint die Bedeutung dieses Themas in Deutschland noch nicht erkannt zu sein. Wie sieht es mit der Verantwortung aus?Wichtig bei der Governance öffentlicher Netzwerke ist, dass alle Stakeholder-Gruppen berücksichtigt werden. Öffentliche Blockchains nutzen spieltheoretische Ansätze, um Anreize so zu setzen, dass das gewünschte Verhalten erreicht wird. Dies berücksichtigt aktuell vor allem die Betreiber von Knoten, die Nodes, um die verlässliche Aufrechterhaltung des Netzwerkes sicherzustellen. Die Interessen der Anwendungsanbieter – der Application Provider – sowie der Nutzer werden nur mittelbar berücksichtigt. Wir werden eine Brücke bauen müssen auf dem Weg von privaten zu offeneren Netzwerken. Wir brauchen also eine Struktur, die objektive Kriterien definiert für die Zulassung von Nodes und die sich eine Governance gibt, die verschiedene Interessengruppen bei der Entscheidungsfindung definiert – unter anderem zu Protokoll-Updates -, so dass die Verantwortung klarer zu greifen ist. Letztlich sind DLT-Netzwerke nichts anderes als Rechtemanagement-Systeme, worauf Shermin Voshmgir vom Forschungsinstitut für Kryptoökonomie in ihrem Buch zu Token Economy zu Recht hinweist. Was können objektive Zulassungskriterien für Nodes sein?Das kommt auf das Netzwerk an. Bei der Energy Web Foundation sind es die Mitglieder der Energieindustrie, bei Banken-Chains könnte ein Zulassungskriterium das Vorliegen bestimmter Erlaubnisse sein, denkbar ist auch eine Notar-Chain, die nur von zugelassenen Notaren betrieben wird. Bei der Interplanetary Database, einem Berliner Verein, kann jeder, der Mitglied ist, eine Node betreiben, aber die Mehrheit der Mitglieder muss immer aus dem Non-Profit-Bereich stammen. Wichtig ist, dass durch die Art und Weise, wie die objektiven Kriterien gesetzt werden, nicht die Entstehung von engen, privaten Clubs gefördert wird, sondern jeweils offen alle aufgenommen werden, die angemessen gesetzte, objektive Kriterien erfüllen. Dazu gibt es gute Vorüberlegungen aus dem Bereich des Wettbewerbsrechts, an die man anknüpfen könnte. Wie soll sich ein solches offenes Netzwerk finanzieren? Naheliegend wäre, eine Digitalabgabe von sämtlichen Internetnutzern oder von Anbietern zu erheben und daraus den Aufbau einer neuen Netzinfrastruktur zu finanzieren – wobei eine weitere Steuer die Frage fiskalischer Überbeanspruchung und der Mitsprache in der Mittelverwendung nach sich zieht. Was sind Ihre Überlegungen dazu?Das ist eine interessante Idee! Bislang finanzieren sich solche Netzwerke privat. Aber selbst auf privater Spendenbasis ist dies in Deutschland mühsam. Es gibt keine geeignete Gemeinnützigkeitskategorie für die nichtgewinnorientierte Zurverfügungstellung öffentlicher digitaler Infrastruktur für die Allgemeinheit – das wäre die Grundvoraussetzung dafür, dass sich solche Strukturen in Deutschland ansiedeln. Dieser Zustand ist sehr unbefriedigend und bedarf dringend einer Korrektur. Aktuell gibt es nur die Möglichkeit, eine Gemeinnützigkeit über den Umweg von Wissenschaft und Forschung zu erreichen, was eine unnötige formale Hürde darstellt. Ein öffentlicher Infrastrukturfonds, aus dem sich solche Bemühungen finanzieren könnten, würde Deutschland sicherlich deutlich voranbringen. Dieser könnte durchaus technologieneutral gemeinnützigen Infrastrukturaufbau fördern – es gibt so viele privat organisierte Initiativen zur Unterstützung lokaler Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum, denen es an Finanzierung mangelt. Zurück zum Wertpapierregister: Wer soll ein elektronisches Register betreiben können?Wenn es einen zentralen “Betreiber” gibt, sollte dieser beaufsichtigt sein. Wenn ein Register dezentral geführt wird, so fehlt es an einem solchen Betreiber, der individuell beaufsichtigt werden könnte. Interessant ist in dem Zusammenhang ein Vorschlag der Schweiz, die für Service-Provider eine neue Erlaubniskategorie diskutiert, aber dezentrale Provider von Kryptobörsen davon ausdrücklich ausnimmt. Es ist wichtig, die Blockchain-Technologie nicht nur als neue Datenbanktechnologie privater Anbieter zu begreifen, sondern als potenziell öffentliche, digitale Infrastruktur. Bei der Anerkennung von Registern auf solch einer dezentralen Infrastruktur geht es also um die Zuverlässigkeit der Technologie und nicht um die des Betreibers. Hierfür sind sinnvolle Kriterien zu entwickeln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche Funktion jeweils das Register ausüben soll. Auch bei dezentral geführten Registern können sehr wohl Regeln eingeführt werden, wie Änderungen der Datenlage jeweils rechtsverbindlich reflektiert werden. Deutschland als Technologiestandort sollte deshalb den Ehrgeiz besitzen, auch offene Netzwerke zu analysieren und sinnvolle Vorgaben für ihre Anerkennung zu formulieren. In welche Richtung wird sich das in Deutschland entwickeln?Ich hoffe sehr, dass wir bis Ende dieses Jahres die Papiererfordernis für Wertpapiere abgeschafft haben. Hierzu scheint Einigkeit zu bestehen. Was ich mit Sorge sehe, ist die Frage des qualifizierten Registers. Ich befürchte, dass Deutschland den scheinbar sicheren und einfachen Weg gehen wird und dies auf zentral geführte Register einschränkt. Also auf bestehende Infrastrukturbetreiber zurückzugreifen?Danach sieht es aktuell aus: Registerführung nur durch beaufsichtigte Institute. Wir haben den nationalen Anbietermarkt bereits in anderen Bereichen entsprechend abgeschottet, indem wir bestimmte Token als Rechnungseinheit und damit als Finanzinstrumente qualifizieren und so einer nationalen Erlaubnispflicht unterwerfen. Global agierende Dienstleister sprechen den deutschen Markt daher nicht aktiv an, können aber von deutschen Nutzern im Rahmen der passiven Dienstleistungsfreiheit – also auf eigene Initiative – in Anspruch genommen werden. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Vorgehensweise keinen ausreichenden Einfluss auf die globale Entwicklung gewinnen. Der Markt wird sich weiterhin maßgeblich außerhalb Deutschlands entwickeln. Ich frage mich, was wir gewinnen, wenn wir den deutschen Markt so verschließen. Ich hielte es für sinnvoller, ihn geordnet zu öffnen und deutsche Dienstleister sich unter weniger restriktiven Bedingungen entwickeln zu lassen. Dazu wird man inhaltliche Anforderungen an das Register definieren müssen, die eben auch internationalen Maßstäben genügen, und dazu gehören auch dezentrale Register. Ist mehr über den Umweg Europa zu erwarten?Wahrscheinlich schon. Viele europäische Behörden zeigen sich zum Beispiel aufgeschlossen gegenüber Experimentierräumen – Sandboxes, was die deutsche Aufsicht, auch aufgrund ihrer Umlagefinanzierung durch die aktuell beaufsichtigten Institute, kategorisch ausschließt. Hier bedarf es einer Neuordnung. Und wir halten beim Thema Verbraucherschutz noch sehr an ordnungspolitischen Ansätzen fest, wie die Vorschläge für eine Beschränkung des direkten Erwerbs von elektronischen Wertpapieren auf institutionelle und qualifizierte Anleger und Zulassung von Privatanlegern nur bei Erwerb über einen zugelassenen und überwachten Intermediär oder Führung des Registers nur durch ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut zeigen. Wir sollten untersuchen, ob diese Maßnahmen tatsächlich in der Vergangenheit zu einem effektiven Verbraucherschutz im Sinne einer verbesserten, neutralen Aufklärung geführt haben, oder ob wir besser über Regeln nachdenken sollten, die den Selbstschutz von Verbrauchern durch Kenntnisvermittlung fördern.Das Interview führte Dietegen Müller.