GASTBEITRAG

Deutschland muss bei ESG aufholen

Börsen-Zeitung, 13.3.2019 In Brüssel werden dieses Jahr entscheidende Weichen für die nachhaltige Ausrichtung der Finanzwirtschaft gestellt. Das Engagement, mit dem sich die deutsche Politik in diesen Prozess einbringt, entscheidet auch darüber, ob...

Deutschland muss bei ESG aufholen

In Brüssel werden dieses Jahr entscheidende Weichen für die nachhaltige Ausrichtung der Finanzwirtschaft gestellt. Das Engagement, mit dem sich die deutsche Politik in diesen Prozess einbringt, entscheidet auch darüber, ob Deutschland die Gestaltung nachhaltigen Wirtschaftens künftig anderen Ländern überlässt.Beim nachhaltigen Umbau der Wirtschaft spielt die Finanzwirtschaft eine Schlüsselrolle. Sie lenkt das Kapital idealerweise dorthin, wo es benötigt wird und wo es eine bestmögliche risikoadjustierte Rendite verspricht. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission im vergangenen Jahr einen Aktionsplan verabschiedet, der es Investoren erleichtern soll, Investitionen künftig verstärkt unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien vornehmen zu können. Dahinter steht auch die Erkenntnis, dass sich das Thema Sustainable Finance ohne regulatorische Anreize nicht schnell genug weiterentwickeln wird. Dies gilt insbesondere für Deutschland. Verglichen mit anderen europäischen Ländern erscheint das ESG-Engagement der Investoren hierzulande eher gebremst. Agenda mit vier PunktenDiesen Eindruck vermittelte bisher auch die deutsche Politik. Inzwischen scheint sie sich für ein aktiveres Vorgehen entschlossen zu haben. Erst kürzlich kündigte sie an, Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance entwickeln zu wollen. Die Agenda umfasst vier zentrale Maßnahmen: eine Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Emission grüner oder nachhaltiger Bundesanleihen, die Etablierung eines Dialog-Fachbeirats bei der Bundesregierung, den Erfahrungsaustausch bei der Kapitalanlage bundesnaher Einrichtungen und die Entwicklung einer Kommunikationsstrategie, um Sustainable Finance bei Verbrauchern und im Finanzsektor bekannter zu machen.Diese Schritte sind ohne Zweifel begrüßenswert. Denn angesichts der Initiativen anderer europäischer Finanzplätze erscheint eine aktivere Rolle der Bundesregierung dringend notwendig. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Paris. Dort treibt man das Thema der nachhaltigen Finanzwirtschaft seit einigen Jahren bereits auf verschiedenen Ebenen konsequent voran. In Artikel 173 seines Energiewendegesetzes etwa verpflichtet Frankreich Unternehmen und Finanzmarktakteure, Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen. Zusätzlich erwägt das Land die verpflichtende Umsetzung der Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) des Finanzstabilitätsrates. Will Deutschland den Vorsprung anderer Länder aufholen, kommt es jetzt darauf an, den Beschluss der Bundesregierung zügig und vor allem wirkungsvoll umzusetzen.Die deutsche Politik ist also gefragt. Gemeinsam mit der Kommission in Brüssel und mit dem Europäischen Parlament muss die Regierung, allen voran das Berliner Finanzministerium den europäischen Gesetzgebungsprozess noch mehr mitgestalten. In den kommenden Wochen wird in Brüssel intensiv an der konkreten Umsetzung des Aktionsplans – Finanzierung nachhaltigen Wachstums gearbeitet. Bereits Anfang März wurde zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten Einigkeit in einem wichtigen Punkt erzielt. Investoren und Vermögensverwalter, private und betriebliche Pensionskassen, Versicherungsfonds und Anlageberater sollen im Rahmen ihrer treuhänderischen Pflicht künftig ESG-Risiken und -Chancen in ihre Prozesse einbeziehen. Die Festlegung einheitlicher Regeln dafür und wie Anleger darüber informiert werden müssen stehen im Detail noch aus. Das ist ein sehr weitreichender Beschluss. Auch die derzeitige Erstellung eines einheitlichen Klassifikationssystems spielt eine wichtige Rolle. Denn die Verlagerung von Kapitalflüssen hin zu nachhaltigeren Wirtschaftstätigkeiten muss durch ein gemeinsames Verständnis des Begriffs “nachhaltig” untermauert werden.Vor diesem Hintergrund ist es von großer Wichtigkeit, den politischen Prozess in Brüssel durch konstruktive Mitgestaltung von deutscher Seite aus pro-aktiv weiterzuentwickeln und dies auch sichtbar zu machen. Dafür gibt es gute Gründe: Der Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft bedeutet tiefgreifenden Wandel sowohl für die Real- als auch für die Finanzwirtschaft. Geschäftsmodelle und damit die Chancen und Risiken von Unternehmen am Markt verändern sich bereits grundlegend, genauso wie die von Investoren. Die Spielregeln für diesen Wandel werden nun festgelegt. Die Gestaltung von Nachhaltigkeit und Sustainable Finance ist damit ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland. Der Rahmen muss stimmenAufgabe der Politik ist es nun, im sich vollziehenden Wandel klare Orientierung zu geben und ihn unter Einbeziehung der relevanten Interessen voranzutreiben. Es geht darum, die politischen Rahmenbedingungen zu formulieren und klar an Wirtschaft und Finanzsektor zu kommunizieren. Beide Bereiche müssen eine verlässliche Einschätzung darüber vornehmen können, wo und wie die Bun-desregierung den Transformationsprozess aktiv vorantreibt, neue Industrien oder Technologien fördert und alten gegebenenfalls die Unterstützung entzieht. Es geht um Investitionssicherheit sowohl für die Real- als auch für die Finanzwirtschaft. Der Finanzsektor muss zur erfolgreichen Mitgestaltung der Transformation gleichermaßen angehalten wie unterstützt werden. Dafür braucht es zeitgemäße Chancen- und Risikoeinschätzungen und entsprechende Zukunftsszenarien. Die proaktive Gestaltung des Wandels durch die Politik eröffnet die Möglichkeit, innovatives Unternehmertum am Wirtschaftsstandort Deutschland gezielt zu fördern, neue Geschäftsfelder zu erschließen, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Zukunftsfähige Finanzmärkte brauchen Klarheit: Darüber, wie treuhänderische Pflichten und ESG zusammenhängen, dass finanziell bedeutsame ESG-Faktoren systematisch integriert werden müssen; in Risikomanagement und Anlageentscheidung von Kapitalsammelstellen, Investoren, Vermögensverwaltern und -beratern und einschließlich Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen und mit Langfrist-Perspektive. All dies hilft Investoren und belohnt Innovation, wenn diese Rahmenwerke gut gemacht und von praktischem Nutzen sind.Neben der aktiven Rolle in Brüssel kann die Berliner Politik mittel- bis langfristig verschiedene weitere Dinge umsetzen: Vor allem indem sie Sustainable Finance dort praktiziert, wo sie selbst Verantwortung trägt. Zum Beispiel bei Rückstellungen und Sondervermögen, bei der Altersvorsorge für Beamte und Angestellte der öffentlichen Hand oder bei der Mittelverwendung von Institutionen öffentlichen Rechts. Im Bereich der Finanzregulierung und Finanzaufsicht kann sie zudem entsprechende Vorgaben machen und die Zusammenarbeit von BaFin und Bundesbank mit den europäischen und internationalen Pendants regeln oder anregen.Auch die parlamentarische Arbeit kann noch deutlich intensiviert werden. Zwar haben wir hier zuletzt etwas Bewegung gesehen; es ist jetzt aber notwendig, das Thema entschieden fortzusetzen und Sustainable Finance integriert zu bearbeiten. Es ist von strategischer Bedeutung, Nachhaltigkeit nicht bloß als losgelöste Sonderaktivität zu betrachten. Die aktuell vorgelegten Vorschläge der Bundesregierung weisen in die richtige Richtung. Es bleibt zu wünschen, dass die darin geplanten Maßnahmen nun zügig in Angriff genommen und durch weitere ergänzt werden.—-Dustin Neuneyer, Head of Germany & Austria bei PRI (Principles for Responsible Investment)