Deutschlandchefin von Barclays rechnet noch 2023 mit M&A-Belebung
Barclays-Deutschlandchefin Ingrid Hengster über ein baldiges Ende der Flaute am M&A-Markt, die Rolle von Private Equity und die eigenen Ziele in Deutschland
Im Interview: Ingrid Hengster
„M&A zieht Ende 2023 wieder an“
Frau Hengster, Sie haben im vergangenen Jahr angekündigt, das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen in Kontinentaleuropa kräftig auszubauen. Jetzt ist Ihnen die Zinswende dazwischengekommen und mit ihr die Flaute. Müssen Sie die Teams jetzt wieder verkleinern?
Nein, davon sind wir weit entfernt. Wir haben im ersten Quartal eine ganze Reihe von Transaktionen begleiten können, darunter den Verkauf von Qualtrics durch SAP oder auch den Verkauf von Macquaries Anteil an Energie Steiermark. Wir haben das erste Quartal deutlich über Budget abgeschlossen.
Handelte es sich dabei nicht vor allem um Transaktionen, die schon länger in der Vorbereitung waren und jetzt zum Abschluss kamen?
Zum Teil natürlich schon. Aber parallel zu diesen Transaktionen begleiten wir auch eine Reihe von strategischen Geschäften und Transaktionen, die in der Abwicklung sind oder in der Vorbereitung. Wir haben eine starke Pipeline. Insofern bin ich weiterhin sehr zuversichtlich – und das bezieht sich nicht allein auf M&A, sondern auf unser Geschäft insgesamt.
Hat Barclays die Planung denn nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der überraschend schroffen Zinswende nach unten angepasst?
Nein. Unsere Planung war sogar eher ambitioniert. Unser Team hat sich sehr ins Zeug gelegt. Über alle Bankprodukte hinweg halten wir momentan etwa 5% des Marktes in Deutschland, ein Ziel, das wir uns eigentlich erst für 2025 gesteckt hatten. Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme. Aber wir haben einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht.
Wir haben einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht
Insgesamt sind die Transaktionsvolumina im Vorjahresvergleich eingebrochen.
Vielleicht ist die Situation bei uns besonders. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass zwei außerordentlich starke Jahre hinter uns liegen. Natürlich werden die Unternehmen und auch die Sponsoren etwas vorsichtiger. Aber es gibt einfach auch einige Themen, die heute angepackt werden müssen. Global tätige Unternehmen etwa müssen sich die Frage stellen, wie sie neue regionale Schwerpunkte setzen, wie sie mit ihren Lieferketten umgehen sollen und wo dafür Investitionen erforderlich sind.
Um die Abhängigkeit von Russland und China zu reduzieren?
Ja, zum Teil geht es auch darum, in andere Regionen zu investieren. Im Mittelpunkt steht aber das große Thema der grünen Transformation. Eigentlich geht es um die grüne und die digitale Transformation. Das ist eine tiefgreifende Veränderung, die viele Aktivitäten nach sich zieht. Unternehmen kaufen zu, bauen neue Standorte auf und beschäftigen sich mit dem Thema erneuerbare Energie. Denken Sie allein daran, was die hiesigen Energiekonzerne auch international unternehmen, um sich in diesem Bereich zu verstärken. Die Transformation fordert Unternehmen heraus, sich zu verändern. Das geht einher mit der Notwendigkeit zuzukaufen, in neue Projekte zu investieren, oder eben auch Teile zu verkaufen.
Von Investmentbankern hört man oft, dass es wegen der steigenden Zinsen für Käufer und Verkäufer schwieriger geworden ist, sich auf einen Preis zu verständigen.
Natürlich führt das angepasste Zinsniveau auch zu Veränderungen bei der Preisgestaltung, das muss ja einkalkuliert werden. Das führt dazu, dass die Prozesse länger dauern, dass man genauer hinschaut. Also die Euphorie, die etwa vor zwei Jahren noch herrschte, ist weg. Man schaut es sich genau an, bevor man eine positive Investitionsentscheidung trifft. Man überlegt genau: Wie kann ich mein Vorhaben auch wirklich mittel- und langfristig finanzieren? Und das gilt insbesondere auch für die Finanzsponsoren, die Private-Equity-Häuser. Sie sitzen ja immer noch auf gut gefüllten Fonds. Riesige Summen müssen und sollen investiert werden. Viele warten aber auf die richtigen Gelegenheiten.
Wie lange wird die Zurückhaltung noch anhalten?
Wir gehen momentan davon aus: M&A zieht Ende 2023 wieder an. Und es wird sich dann im kommenden Jahr verstärken. Natürlich unter der Voraussetzung, dass es bis dahin keine großen unvorhergesehenen Ereignisse gibt. Mein Bauchgefühl geht eher dahin, dass sich der Markt sogar schon nach der Sommerpause in Richtung Normalisierung bewegen könnte. Mir fällt auf, dass inzwischen mehr darüber gesprochen wird, dass sich der Markt einpendeln muss. Die Investoren stellen sich inzwischen darauf ein, dass die Zinsen dauerhaft auf einem höheren Niveau verharren werden. Die Niedrigzinsphase, aus der wir kommen, war ja historisch einmalig. Auch die Private-Equity-Häuser werden sich mit einem etwas höheren Zinsniveau arrangieren können. Sowohl sie als auch die Verkäufer fangen an, ihre Erwartungen danach auszurichten. Alle wissen, dass investiert werden muss. Die Investorengelder können nicht auf Dauer als Cash im Fonds liegen bleiben.
Sehen Sie einen Trend zu mehr kleineren Deals?
Ja. Natürlich ist der gegenwärtige Boom im Midmarkets-Segment dem Umstand geschuldet, dass Finanzierungen mit einem Volumen von bis zu 1 Mrd. Euro in einer Phase mit steigenden Zinsen und großer Unsicherheit leichter zu finanzieren sind als größere Transaktionen. Dahinter könnte aber auch ein zweiter Trend stecken, der mit den Veränderungen zusammenhängt, die viele mittelständische Unternehmen gerade durchlaufen.
Auch die Private-Equity-Häuser werden sich mit einem etwas höheren Zinsniveau arrangieren können
Sie meinen den Generationswechsel?
Ja, das hat ja zuletzt schon vermehrt zu Verkäufen geführt. Aber es gibt auch sehr viele Mittelständler, die ihr Geschäft zurzeit globalisieren und deshalb international zukaufen. Und dann ist da natürlich auch der Marktzugang in die USA, den viele Unternehmen suchen, nicht zuletzt in Folge des Inflation Reduction Acts. Und das sind keine Einbahnstraßen: Auch bei den ausländischen Investitionen in Deutschland bewegen wir uns fast auf dem Niveau des Rekordjahres 2021, was natürlich auch durch den Aufbau der vielen Halbleiter- und Batteriefabriken getrieben wird.
Zuletzt spielte die Musik aber gerade nicht im M&A-Bereich, in dem Sie wachsen wollen.
Und genau deshalb sind wir auch nicht in Moll gestimmt. Barclays ist ein sehr starkes Handels- und Kapitalmarkthaus, das darf man nicht vergessen. Und das Kapitalmarktgeschäft ist in den vergangenen Monaten hervorragend gelaufen. Bonds, ganz egal in welcher Form, inklusive ESG-Bonds, haben eine wichtige Rolle gespielt. Und in diesem Geschäft sind wir bereits stark. Wir waren zum Beispiel an der Kapitalerhöhung bei Tui in führender Rolle beteiligt und haben Convertibles platziert. In einer Phase wie dieser hilft uns natürlich die breite Aufstellung. Traditionell war Barclays immer ein sehr, sehr starkes Haus in den Kapitalmärkten – und auch sehr stark im Risikomanagement, also im Geschäft mit Zinsen und Währungen. Beides spielt im aktuellen Umfeld eine ganz große Rolle. Wir können unseren Kunden genau die richtige Antwort bieten, die sie in dieser Zeit brauchen. Die Expertise, die wir im M&A-Geschäft aufgebaut haben, kommt noch dazu. Hier haben wir uns bewusst spezialisiert auf die Bereiche Energie und Utilities, Öl und Gas, Chemie, Logistik und in gewissem Umfang Healthcare und IT. Wir versuchen, uns entlang dieser Industriegruppen, in denen viel Transformation stattfindet, zu positionieren.
Mein Eindruck ist, dass sich die Transformation sowohl auf der Unternehmensseite als auch bei der öffentlichen Hand gar nicht mehr wegdenken lässt.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Ihr Kundengeschäft? Kommt es oft vor, dass ein Deal vor allem davon getrieben wird, dass jemand seine grüne Quote hochschrauben will?
Unsere Sustainability-Agenda ist die Klammer, die unsere Kapitalmarkt-, Handels- und Beratungsaktivitäten zusammenhält. Wir wollen Unternehmen und die Gesellschaft bei der grünen Transformation unterstützen. Natürlich muss man dabei realistisch bleiben, der Hebel lässt sich nicht immer von einem Tag auf den anderen umlegen. Aber mein Eindruck ist, dass sich die Transformation sowohl auf der Unternehmensseite als auch bei der öffentlichen Hand gar nicht mehr wegdenken lässt. Das zeigt sich zum Beispiel bei der seit Jahren kontinuierlich steigenden Zahl von ESG-Bonds, ein Geschäft übrigens, in dem wir im ersten Quartal die Nummer zwei im deutschsprachigen Raum waren. Wir werden in Nachhaltigkeitsfragen immer mehr zum Berater für Unternehmen. Das Thema Sustainability spielt mittlerweile eine zentrale Rolle auf allen Ebenen bei unseren Kunden, die proaktiv das Gespräch mit uns suchen.
Worum geht es in diesen Gesprächen?
Die Kunden fragen sich zum Beispiel, wie sie ihre Produktpalette anpassen müssen, um von der Theorie in die praktische Umsetzung zu kommen. Und wie das bei den Investoren ankommt, bei den Banken. Was kann ich noch finanzieren oder was bekomme ich dann vielleicht nicht finanziert? Ich würde fast sagen, dass es bei fast bei jedem Kundengespräch auch um das Thema ESG geht. Auch die Finanzinvestoren bewegen sich in diese Richtung, sowohl Private-Equity- als auch Venture-Capital-Investoren.
Wie ist die Stimmung im Venture-Capital-Geschäft?
Es fällt auf, dass sich die grünen Einhörner insgesamt ganz gut gehalten haben im deutschsprachigen Raum, auch wenn sich das Klima für Venture Capital sowohl beim Fundraising als auch bei den Investments etwas eingetrübt hat. Die Zahl der grünen Einhörner in Deutschland ist im vergangenen und in diesem Jahr gegen den allgemeinen Trend sogar noch etwas gestiegen. Die grüne Transformation hat uns alle erfasst. Dass dabei viel diskutiert und gerungen wird, ist für so eine Phase gar nicht so ungewöhnlich.
Was bedeutet das für die Politik Ihres Hauses?
Das große Thema ist natürlich die Finanzierung und die Frage, wie wir unser Portfolio in welchem Zeitraum anpassen. Wir möchten bis 2050 klimaneutral werden. Und wir haben uns Leitlinien für einzelne Branchen gegeben, in denen festgehalten ist, bis zu welchem Zeitpunkt wir was nicht mehr finanzieren wollen und wie wir unsere Kunden darauf vorbereiten können. Das geht zum Teil so weit, dass wir bestimmte Käufe und Verkäufe, aber auch grüne Projekte gezielt begleiten wollen. In gewissem Umfang setzen wir dafür auch eigenes Kapital ein, auch wenn wir kein Venture-Capital-Haus sind.
In welchem Umfang?
Wir haben beschlossen, bis Ende 2027 insgesamt 500 Mill. Pfund eigene Mittel aus dem Sustainable Impact Portfolio in Start-ups zu investieren, von denen wir denken, dass sie erfolgreich zur klimaneutralen Wirtschaft beitragen können. Das ist für uns ein wichtiger Puzzlestein. Wir haben aber natürlich auch das Interesse, dass die Unternehmen, die wir aussuchen, zu größeren Kunden heranwachsen und wir sie vielleicht später bei Finanzierungsrunden begleiten können, also bei einer Exit-Geschichte, bei einem Börsengang oder im Corporate Banking. Da gibt es ja viele Facetten.
Die fetten Jahre im Investment Banking sind vorerst vorbei. Angesichts der steigenden Zinsen sind die Marktteilnehmer vorsichtig geworden. Trotzdem ist es Barclays laut Deutschland-Chefin Ingrid Hengster gelungen, das erste Quartal in dem noch jungen Geschäftsbereich über der eigenen Planung abzuschließen.
Die Fragen stellten Detlef Fechtner und Anna Sleegers.
Zur Person
Ingrid Hengster ist seit 2022 CEO von Barclays Germany und Global Chairman Investment Banking der britischen Großbank. Die gebürtige Linzerin, die in Salzburg in Jura promovierte, gehört zu den bekanntesten Gesichtern am Finanzplatz. Vor ihrem Wechsel zu Barclays gehörte die 62-Jährige sieben Jahre lang dem Vorstand der KfW an, zu der sie auf Vorschlag der FDP kam, auch wenn sie selbst keiner politischen Partei angehört. Angetreten, um mehr private Mittel für die Förderpolitik zu gewinnen, baute sie später das Risikokapitalgeschäft der Förderbank auf. Ein Thema, das ihr, wie sie sagt, bis heute ein Herzensanliegen ist.