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Deutschlands Start-ups brauchen mehr Wagniskapitalinvestitionen

Börsen-Zeitung, 5.4.2019 Die Bedeutung von Start-ups für das deutsche Innovationssystem ist in jüngster Zeit etwas aus dem Blick geraten, weil in der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte eher über das Für und Wider einer industriepolitischen...

Deutschlands Start-ups brauchen mehr Wagniskapitalinvestitionen

Die Bedeutung von Start-ups für das deutsche Innovationssystem ist in jüngster Zeit etwas aus dem Blick geraten, weil in der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte eher über das Für und Wider einer industriepolitischen Unterstützung großer nationaler Champions diskutiert wird. Dabei bieten gerade Start-ups nicht nur innovative Produkte und Dienstleistungen an, sondern sind auch Trendscouts und setzen so wichtige Impulse für Innovationen auch in etablierten Unternehmen. Damit leisten sie sehr wichtige Beiträge zur Steigerung von Produktivität und Wirtschaftswachstum im Zeitalter der Digitalisierung. Lebendige Szene etabliertIn Deutschland hat sich inzwischen eine lebendige Start-up-Szene etabliert. Ihre weitere Entwicklung wird jedoch nach wie vor durch unzureichenden Zugang zu Wagniskapital ausgebremst. Zwar sind nach der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren die Wagniskapitalinvestitionen in Deutschland gestiegen – nicht zuletzt aber aufgrund des niedrigen Zinsniveaus. Und so war der Anteil der Wagniskapitalinvestitionen am nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland 2017 mit 0,035 % im Vergleich zu wichtigen anderen europäischen Ländern weiterhin gering. In Großbritannien, Schweden und Finnland beispielsweise ist der Anteil bis zu zweimal so hoch. Noch größer ist die Lücke im Vergleich zu den Vereinigten Staaten: Dort war 2017 der Anteil der Wagniskapitalinvestitionen am nationalen BIP mit 0,4 % mehr als zehnmal so hoch wie in Deutschland! Ankerinvestoren fehlenDie schwache Ausprägung des Wagniskapitalmarkts in Deutschland hat mehrere Ursachen. Nach wie vor fehlt es an Ankerinvestoren. In Ländern mit kapitalgedeckter Altersvorsorge übernehmen häufig Pensionsfonds die Funktion solcher Ankerinvestoren, die weiteren in- und ausländischen Investoren wichtige Signale liefern. In Deutschland mit seinem umlagefinanzierten Rentensystem mangelt es an solchen institutionellen Investoren. Hinzu kommt, dass es in Deutschland nur relativ wenige große Wagniskapitalfonds gibt. Institutionelle Anleger sind jedoch daran interessiert, pro Fonds ein gewisses Mindestvolumen anzulegen. Daher schrecken institutionelle Anleger vor kleinvolumigen Fonds häufig zurück. Als kritische Größe für einen Fonds werden etwa 100 Mill. Euro angesehen. Diese Größe wird von deutschen Wagniskapitalfonds nur selten erreicht. So bevorzugen beispielsweise Versicherungen für ihre Wagniskapitalinvestitionen die Märkte in den USA und in Asien, weil diese deutlich größer sind.In den vergangenen Jahren haben sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesländer einige Programme weiterentwickelt bzw. neu aufgelegt, die Anreize für private Anleger setzen, in Wagniskapitalfonds und Start-ups zu investieren. Seit Oktober 2018 ist zudem die KfW-Tochtergesellschaft KfW Capital operativ tätig. Diese soll das Finanzierungsangebot der KfW, die im Jahr 2015 erfreulicherweise auf den Wagniskapitalmarkt zurückgekehrt ist, im Bereich Wagniskapital bündeln und erweitern.Auch die Bundesregierung muss jedoch weitere Anreize setzen. Der derzeit von ihr mit der Versicherungswirtschaft geführte Dialog mit dem Ziel, Modelle für mehr Wagniskapitalinvestitionen in dieser Branche zu entwickeln, ist hierzu ein richtiger Ansatz.Ein interessantes Beispiel aus der Praxis für die Einbindung institutioneller Investoren in die Beteiligungskapitalfinanzierung von Start-ups könnte das dänische Programm Dansk Vækstkapital sein. Dansk Vækstkapital ist ein gemeinsames Projekt des dänischen Staats und der dänischen Pensionsfonds, das darauf abzielt, Beteiligungskapital für Start-ups sowie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit Wachstumspotenzial verfügbar zu machen. Das Programm besteht aus zwei voneinander unabhängigen Dachfonds (Dansk Vækstkapital I und Dansk Vækstkapital II), die in Small Cap Funds, Mid Cap Funds, Venture Capital Funds und Mezzanine Funds investieren. Beide Dachfonds weisen zwei Finanzierungssäulen auf. Zum einen leihen die Pensionskassen dem vom Staat eingesetzten, aber selbstständig agierenden Vækstfonden einen festgelegten Anteil des Investitionsvolumens und erhalten dafür eine feste Verzinsung. Vækstfonden investiert dieses Kapital dann in den Dachfonds. Zum anderen investieren die Pensionskassen die Mittel direkt in den Dachfonds. Ein solches Modell könnte möglicherweise auch für Deutschland interessant sein.Auch die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen beeinträchtigen die Finanzierungsmöglichkeiten von Start-ups über Wagniskapital. Ein Schritt in die richtige Richtung war die 2016 erfolgte Neuregelung der Verlustverrechnung. Aufbau und Verwaltung von Wagniskapitalfonds müssen jedoch attraktiver werden. Von Start-ups wird bemängelt, dass Verwaltungsleistungen von Fondsmanagerinnen und -managern in Deutschland – anders als in vielen anderen europäischen Ländern – nach wie vor umsatzsteuerpflichtig sind. Verlockungen in den USAFür die weitere Entwicklung der Start-up-Szene in Deutschland ist eine Erhöhung der Wagniskapitalinvestitionen essenziell. Sonst sehen sich viele Start-ups gezwungen, ihre Finanzierung in den Vereinigten Staaten zu suchen. Dort locken ohnehin ein größerer Binnenmarkt und lukrative Exit-Optionen, z. B. durch Verkauf der Start-ups an zahlungskräftige Unternehmen aus der Digitalbranche. Viel besser wäre es natürlich, die ausländischen Investoren dazu zu bewegen, in Deutschland zu investieren.Prof. Dr. Monika Schnitzer ist Lehrstuhlinhaberin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation.—-In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Monika SchnitzerFür die Entwicklung der Start-up-Szene in Deutschland muss die Bundesregierung weitere Anreize setzen. Vorbild könnte ein dänisches Programm sein.—–