SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (10)

Dezentrale Systeme für die Marktinfrastruktur

Australische Börse ersetzt Post-Trade-Infrastruktur durch Distributed-Ledger-System - Schweizer SDX nutzt Blockchain

Dezentrale Systeme für die Marktinfrastruktur

Der Aufbau von Kapitalmarkt-Infrastruktur erfolgt in langen Zyklen, geht es doch um voluminöse und vernetzte Systeme. Und während in Deutschland ein Regelwerk für digitale Assets reift, haben andere Finanzplätze längst Blockchain-Systeme aufgebaut, die bald den Betrieb aufnehmen.Von Björn Godenrath, FrankfurtDie Wertpapierbranche begibt sich behutsam in eine technologische Transformation, die geprägt ist von einem Übergang in Systeme wie die Cloud und dezentrale Computing-Architekturen wie die als Oberbegriff für die Blockchain stehende Distributed Ledger Technology (DLT). Nach einer anfänglich zögerlichen Herangehensweise gingen die Finanzplätze weltweit zumindest verbal in die Offensive und kündigten forsch Maßnahmen zum DLT-Einsatz an – bis hin zum Versprechen nationaler Blockchains wie in Luxemburg.Doch während in Europa vor allem das Für und Wider abgewogen wurde und man im Gestrüpp des regulatorischen Dschungels gesetzlicher Vorgaben verharrt, haben vor allem Finanzplätze im Asien-Pazifik-Raum sowie in der Schweiz den Aufbau von DLT-Infrastruktur vorangetrieben. Am offensivsten ist dabei die australische Börse ASX vorgegangen, die schon mit Aufflammen des ersten Blockchain-Hypes vor gut vier Jahren ankündigte, ihre komplette Post-Trade-Infrastruktur durch ein DLT-System zu ersetzen. 34 Teilnehmer angeschlossen Impetus für den Schritt war die Tatsache, dass das in Betrieb befindliche 25 Jahre alte System modernisiert beziehungsweise ersetzt werden muss. Zwar wurde diese DLT-Initiative der ASX anfangs von vielen belächelt, aber Ende Juni konnte der Börsenbetreiber stolz vermelden, dass die neue Plattform zu weiten Teilen fertiggestellt ist und Marktteilnehmer das System ab Juli testen könnten. 89 % des Basisdienstes für Clearing und Settlement seien funktional in der Schnittstelle zum Kunden, der Customer Development Environment (CDE). Es seien nun 34 Marktteilnehmer aus dem Bereich Broker, Aktienregister und spezialisierte Software-Dienstleister an CDE angeschlossen, hieß es Anfang Juni.Die volle Funktionalität der DLT-Plattform soll im April 2021 hergestellt sein, im April 2022 nimmt das System den operativen Betrieb auf. Aufgrund der erhöhten Funktionalität wie direktes Settlement und DLT-Aktienregister drohen angrenzende Wertpapierdienstleister allerdings beim Einsatz von DLT-Systemen ihre Geschäfte als Mittelsmänner zu verlieren. In Australien hat deswegen bereits Computershare, die ein Aktienregister betreibt, Widerspruch zu Protokoll gegeben und fordert, dass das neue System nicht vor dem Frühjahr 2023 aufgeschaltet werden dürfe. Auch der Broker Chi-X befürchtet Nachteile.Solche Abwehrmaßnahmen sind aber zum Scheitern verurteilt – zumal die ASX auch solchen Teilnehmern Zugang zur neuen Plattform gewährt, die selbst keinen DLT-Knoten betreiben: Sie können über gängige Messaging-Formate wie ISO 20022 Zugang zum Ledger/Datenregister erhalten, den Registereintrag nimmt dann aber die ASX vor. Der Post-Trade-Bereich gilt als adäquat für DLT-Plattformen, weil es hier weniger auf Geschwindigkeit ankommt, sondern mehr auf integrierte Prozesse für die Verfügbarkeit von Wertpapieren.Am für seine Innovationsfreudigkeit bekannten Finanzplatz Singapur wurde eine ganze Reihe an DLT-Anwendungen entwickelt, eine erste für den Multiwährungszahlungsverkehr ist in Kürze einsatzbereit. Dieses ist Teil von “Projekt Ubin” und Sopnendu Mohanty, Chief Fintech Officer der Monetary Authority of Singapore (MAS), kann es gar nicht erwarten, dieses Programm zur Interbanken-Zahlungsabwicklung über Distributed Ledger Technology in Betrieb zu nehmen. Mit Abschluss der finalen, fünften Testphase sei der Nutzen von DLT in Zahlungsverkehr und Wertpapier-Settlement glasklar bewiesen, die Marktteilnehmer könnten nun die Funktionalitäten für die Schnittstellen definieren, so Mohanty kürzlich auf einem Branchentreffen. Damit wäre dann der Weg frei für die praktische Nutzung eines Prototyps, der für Settlement im Bereich Delivery-versus-Payment (DvP) bei Wertpapieren und Interbanken-Zahlungen über mehrere Währungspaare hinweg eingesetzt werden kann. “Wie immer bei der Entwicklung von Innovation gibt es eine Phase des Experimentierens und eine Phase der Kommerzialisierung”, blickt Mohanty voraus.In Singapur ist man mit dem Aufbau einer Blockchain-Infrastruktur aber generell schon ein gutes Stück weiter. Mohanty zufolge verfügt die Finanzbranche bereits über ausreichend DLT-Plattformen, um eine von der Notenbank emittierte digitale Zentralbankwährung (CBDC) in der Wholesale-Variante – beschränkt auf den Interbanken-Bereich – einzusetzen. Die technologischen Fragen seien weitgehend gelöst, so Mohanty auf einer Veranstaltung des Blockchain-Dienstleisters R3. Der hat mit seiner hauptsächlich auf DLT beruhenden Plattform Corda das zentrale technologische Element dafür entwickelt und schwimmt als dickster Hecht im Blockchan-Teich: Eine Mehrzahl der Zentralbanken hat R3 und Accenture als Partner an Bord, um die eigenen Systeme für eine CBDC fit zu machen. Programmierbare TokenDabei geht es in der reifen Variante darum, die Währung als programmierbaren Token über die Datenleitungen zu schicken und dann in den (dezentralen) Registern zu verwahren. Diese Dateien/Token gelten als programmierbar, weil sie nicht nur den ganzen Datensatz mit Wertpapierkennziffern für das standardisierte Messaging (ISIN, LEI) beinhalten, sondern auch mit Hilfe von integrierten Smart Contracts Folgehandlungen automatisiert auslösen können. Damit wird dann nicht nur Geldwert, sondern auch vermehrt Geldinformation übertragen – mit dem Vorteil, dass Geld/Wertpapiere leichter bewegt werden können für die Sicherheitenstellung. Das wiederum senkt die Liquiditätserfordernisse im Wertpapier-Geld-Kreislauf.Dafür müssten aber auch die Zahlungssysteme in der Anbindung DLT-fähig sein, gießt Mohanty ein wenig Wasser in den Wein. Sprich, die Echtzeit-Abwicklungssysteme der Notenbanken müssen DLT-fähig sein: Die Bank of England hat gerade Accenture mit der Renovierung der großen Settlement-Maschine RTGS beauftragt. Accenture betreute schon Kanadas DLT-Projekt Jasper und ist jetzt auch beim EZB-DLT-Projekt EuroChain dabei sowie den CBDC-Entwürfen von Schwedens Reichsbank und der Banque de France.Accenture geht es unter anderem darum, die Interoperabilität der Systeme herzustellen, so dass alle Marktteilnehmer funktional angebunden sind. Diese Funktionalität kann über das Token-Design hergestellt werden, sodass diese auf verschiedenen DLT-Plattformen automatisch eingesetzt werden können, also interoperabel sind. Dafür braucht es eine sogenannte Taxonomie zur Klassifizierung von Token: “Wenn man die Taxonomie richtig hinkriegt, dann folgt der Rest automatisch”, sagt Mohanty.Dieser Taxonomie der Token widmet sich die Finanzindustrie bereits. In Berlin und Frankfurt werkelt die ITSA (International Token Standardization Association) unter Federführung von Professor Philip Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Goethe-Universität, an einem ganzheitlichen Konzept der Identifizierung und Klassifizierung von Token. Diese regelbasierte Einordnung dient der Verwendung von Token über verschiedene DLT-Systeme hinweg. In Anlehnung an die vom Kapitalmarkt bekannte Wertpapiernummer ISIN hat die ITSA die International Token Identification Number (ITIN) entworfen, um einen Standard zu schaffen. Unterschieden wird zwischen Security Token, Utility Token und der Anwendung einer möglichen digitalen Zentralbankwährung als “Machine CBDC”, die als Micropayment-Token im Bereich von automatisierten Maschine-zu-Maschine-Transaktionen eingesetzt werden können. Neben der ITSA haben sich weitere Allianzen zur Token-Standardisierung gebildet wie die Token Taxonomy Initiative (TTI), der unter anderem Accenture, Microsoft, R3 und IBM angehören. Anbindung zum PaymentZum Kreis der DLT-Pioniere gehört auch die Schweizer Notenbank. Die testet einen CBDC-Wholesale-Prototyp, wobei der Token entweder direkt auf den Markt kommt oder über eine Blockchain, wofür dann die DLT-Plattform mit dem nationalen Settlement-System RTGS interoperabel gestaltet werden muss. Dabei haben die Schweizer Experten zufolge einen Vorteil gegenüber anderen Ländern, haben sie doch ihre beiden Systeme SECOM (Instant Payment) und SIC (Interbanken-Payment) schon so gut aufeinander abgestimmt, dass beide auf denselben Cash Pool zugreifen, heißt es.Betreiberin der SECOM-Payment-Maschine ist im Auftrag der Notenbank die Börse Six. Diese baut parallel zur bestehenden Infrastruktur die Six Digital Exchange (SDX) als Handelsplatz für digitale Assets auf. Das soll dann eine Next-Generation-Plattform sein für Handel, Token-Emission, Settlement sowie Verwahrung von digitalen Assets – natürlich weitgehend auf DLT-Basis im (dann dezentralen) Wertpapierregister, das in Verbindung zum zentralen Orderbuch einer klassischen Börse funktionieren soll. Dabei hat die Six den Vorteil, dass sie als Betreiberin der SECOM die Integration auf der Payment-Seite selbst vornehmen kann. Die SDX strebt ihren operativen Start für das Schlussquartal 2020 an und könnte damit sogar noch vor der ASX den Betrieb aufnehmen – sofern die Marktteilnehmer bis dahin eigene DLT-Knoten haben und in der Lage sind, den Zugriff auf ihre Token mit den eigenen Private Keys zu sichern. Als erster europäischer Börsenplatz in öffentlicher Trägerschaft war die Börse Stuttgart mit ihrem Handelsplatz für digitale Vermögenswerte BSDEX vor knapp einem Jahr live gegangen. Zuletzt erschienen: Gastbeitrag: Krisen taugen nicht für Experimente (19. August) “Es ist die Stunde des Kapitalmarktes” (18. August) Rom will bei Börsenverkauf in Mailand mitreden (15. August) Deutsche Börse fit für den Wettbewerb (13. August) Gastbeitrag: Amsterdam muss systemische Instabilitäten fürchten (12. August)