„Die Ausschläge sind größer geworden“
„Die Ausschläge sind größer geworden“
Im Gespräch: Michael Speth
Der Risikovorstand der DZ Bank über die Häufung von Krisen und deren Ursachen
Die Wahrnehmung, dass sich die Abstände zwischen den Krisen verkürzen, hat nach Einschätzung des Risikovorstands der DZ Bank weniger mit der Art der Risiken zu tun als mit deren Verknüpfung. Die bekannten Risiken der Banken griffen auf andere Weise ineinander, als dies früher der Fall war.
Von Detlef Fechtner und Anna Sleegers, Frankfurt
Grundsätzlich hat sich nach Einschätzung von DZ-Bank-Vorstand Michael Speth kaum etwas an den verschiedenen Arten von Risiken verändert, mit denen Banken konfrontiert seien. Wohl aber an deren Eintrittshäufigkeit und Intensität.
Einige Unternehmensnachrichten hätten zuletzt starke Zins- und Spread-Schwankungen ausgelöst. „Die einzelnen Ausschläge sind größer geworden“, betont das für Kredit und Konzern-Risikocontrolling zuständige Vorstandsmitglied im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Das könne weitreichende Auswirkungen haben: „Dadurch werden Firmen unter Umständen in ihren Kapitalvorhaben eingeschränkt.“
Unveränderte Risikoarten
Es seien zwar immer noch dieselben Risiken, „die wir vorher auch hatten: Marktpreisrisiken, Kreditrisiken, Liquiditätsrisiken, Reputationsrisiken, operationale Risiken.“ Deutlich verändert habe sich indes das Ineinandergreifen dieser Risiken. Als Beispiel führt Speth den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine an, der eine Energiepreiskrise ausgelöst hat, was wiederum die Europäische Zentralbank (EZB) veranlasst habe, die Zinsen sehr schnell zu erhöhen.
Höheres Tempo
Die DZ Bank habe die Systematik der Messung nicht verändert. „Aber das Risikomanagement muss schneller sein – in der Abbildung, der Messung, der Steuerung und im Berichtswesen.“ Das sei eine „deutliche Veränderung“.
Spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben nach Darstellung des DZ-Bank-Vorstands „Cyberrisiken an Bedeutung gewonnen und sind Kernbestandteil unserer Risikosteuerung geworden. Wir sind bisher, Gott sei Dank, noch nicht stark getroffen worden.“
Angesprochen auf die Situation an den Immobilienmärkten, insbesondere nach der Insolvenz der Signa-Gruppe, fügt sich Speths Einschätzung an das an, was DZ-Hyp-Vorstandschefin Sabine Barthauer jüngst im Interview der Börsen-Zeitung erklärt hat. Barthauer hatte von zwei kleineren Finanzierungen in sehr überschaubarem Rahmen gesprochen. Speth sagt: „Was die Risikolage in unserem gewerblichen Immobilienbestand angeht, der vor allem bei der DZ Hyp liegt, sind wir bislang entspannt. Wir sehen bislang keine großen Ausfälle.“
Keine großen Ausfälle bei Immobilien
Das liege im Wesentlichen daran, dass die DZ Hyp in ihrem gewerblichen Immobilienfinanzierungsgeschäft auf den deutschen Heimatmarkt konzentriert sei und vor allem mit größeren, solventen Immobilienentwicklern zusammenarbeite. „Die Adressen, die zuletzt für Schlagzeilen gesorgt haben, sind zum Teil nicht in der Lage gewesen, in der Boomphase ihre Substanz so zu stärken, dass sie jetzt in krisenhaften Zeiten bei Bedarf Eigenkapital nachschießen können“, ergänzt er.
Konsequente Vergabepolitik
Die Hypothekentochter der DZ Bank profitiere heute davon, dass sie die sehr strengen Kreditgrundsätze immer beibehalten habe, unabhängig von der aktuellen „Wetterlage“. „Das sorgt jetzt dafür, dass wir von größeren Ausfällen verschont worden sind“, unterstreicht Speth.
In den USA seien Mietkapazitäten deutlich zurückgegangen, weil Unternehmen viel mehr Homeoffice angeboten haben und der Bedarf an Büroflächen deutlich gesunken sei. „In Deutschland ist diese Entwicklung nicht in demselben Ausmaß zu erkennen“, sagt Speth. Man beobachte zwar Rückgänge in den gewerblichen Mieten, aber die seien „nicht dramatisch“, zumal es immer noch Bedarf an gewerblichen Flächen gebe.
Ein besonderes Augenmerk des Risikovorstands gilt dem Thema Liquidität. „Liquidität war 2023 ein Schlüsselthema.“ Die DZ Bank habe ihm im Risikomanagement besondere Beachtung geschenkt, sei es im Umfeld der Credit Suisse oder infolge des Inflationsanstiegs und der restriktiven Geldpolitik.
Schlüsselthema Liquidität
„Liquidität ist teurer geworden“, so der Risikovorstand. Entsprechend habe die DZ Bank ihre Refinanzierungssätze anpassen müssen, „so wie die anderen Marktteilnehmer auch“.
Branchenbetrachtung gefragt
Es sei erforderlich, dass die Banken im Risikomanagement „intensiver die Anfälligkeit und Betroffenheit einzelner Branchen anschauen“, unterstreicht Speth. Das verlange auch die Europäische Zentralbank. Die DZ Bank werde daher den Blick stärker in die Zukunft richten und beispielsweise analysieren, inwieweit Unternehmen und einzelne Branchen von Fremdfinanzierung mit deutlich erhöhten Zinskosten abhängig seien. Die Schnelligkeit der Zinswende habe viele Marktteilnehmer überrascht: „Alle hatten sich an billige Liquidität gewöhnt.“ Die Zinswende habe daher Spuren bei den Bewertungen hinterlassen, auch in den Eigenanlagen der Genossenschaftsbanken.
Für einige Banken sei es schmerzhaft gewesen, ihre Bestände abwerten zu müssen. Aber langfristig überwiegen die positiven Auswirkungen der steigenden Zinsen, zeigt sich Speth für die genossenschaftlichen Banken überzeugt.
„Wir rechnen wieder mit Zuschreibungen auf die Wertpapierbestände, wenngleich vorerst wohl nicht in dem Ausmaß wie von einigen erwartet“, so das DZ-Bank-Vorstandsmitglied. Diese Zuschreibungen fielen von Primärbank zu Primärbank sehr unterschiedlich aus – je nach handelsrechtlicher Kategorisierung der Wertpapiere.
Geringere Zuschreibungen als erwartet
Mit Blick auf künstliche Intelligenz unterstreicht Speth die Chancen: „Generative KI kann zum Game-Changer werden.“ Entscheidend sei es, herauszufinden, wo und wie diese gezielt eingesetzt werden könne und wo dies weniger sinnvoll sei. „KI darf nicht zum Autopilot werden“, meint Speth.
Auf die Frage nach dem Umgang mit Schieflagen erinnert Speth daran, dass der Bundesverband der Raiffeisen- und Volksbanken über eine Sicherungseinrichtung verfüge. Sie decke sich über Beiträge, die von ihren Mitgliedern erhoben werden, also von den genossenschaftlichen Instituten.
„Es gibt zwei Töpfe: erstens die private Sicherungseinrichtung und zweitens die BVR-ISG, die eingerichtet wurde, um die EU-einheitlichen Vorgaben für die Einlagensicherung zu erfüllen“, erläutert er. Bis Mitte dieses Jahres müssten die Institute darin 0,8% der gedeckten Einlagen vorhalten. Die BVR-ISG werde zu diesem Zeitpunkt aus den Beiträgen der BVR-Mitgliedsinstitute und Transfers der privaten Sicherungseinrichtung vollständig gefüllt sein – und beide Töpfe stünden zur Verfügung, falls Problemfälle im Verbund aufträten.
KI nicht als Autopilot
Die DZ Bank teste den Einsatz von generativer KI im Risikomanagement bereits. Elektronische Kreditanalysen aus strukturierten Bilanzdaten seien bereits heute möglich, was jedoch eher unter den Begriff Automatisierung falle.
Analyse unstrukturierter Daten
Ein enormer Fortschritt wäre, wenn aus unstrukturierten Daten Kreditanalysen erstellt werden könnten, die dann nur noch eine Plausibilisierung durchlaufen müssten. „Bis wir so weit sind, generative KI-Anwendungen auch im Risikomanagement tatsächlich einzusetzen, wird es noch etwas dauern“, ergänzt der Risikovorstand jedoch.