Regulierung

Die BaFin braucht mehr Selbstbewusstsein

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat bislang schon einige Fehleinschätzungen und Versäumnisse der deutschen Finanzmarktaufsicht zutage gefördert. Dabei versucht er auch zu klären, wie es zu der Entscheidung kommen konnte, Wirecard...

Die BaFin braucht mehr Selbstbewusstsein

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat bislang schon einige Fehleinschätzungen und Versäumnisse der deutschen Finanzmarktaufsicht zutage gefördert. Dabei versucht er auch zu klären, wie es zu der Entscheidung kommen konnte, Wirecard durch ein Leerverkaufsverbot zu schützen und die Marktteilnehmer hierdurch in die Irre zu führen. Da parlamentarische Untersuchungsausschüsse das Regierungshandeln kontrollieren, steht bei den Ermittlungen die Frage im Raum, welchen Beitrag das Bundesfinanzministerium (BMF) hierzu geleistet hat. Auf dem Papier ist die Sache klar: Die BaFin untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des BMF gemäß §2 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG). Als Aufsichtsinstrument ist ausdrücklich ein „Erlaubnisvorbehalt“ unter anderem für bedeutsame Allgemeinverfügungen der BaFin vorgesehen. Für das Leerverkaufsverbot, das wohl als Allgemeinverfügung von beträchtlicher Bedeutung anzusehen ist, findet sich in den BaFin-Akten freilich keine ministerielle Erlaubnis. Die für Leerverkäufe zuständige BaFin-Referentin verneinte im Untersuchungsausschuss sogar die Kenntnis der Spitze des BMF vom geplanten Verbot. Erst im Nachgang dazu stellte Finanzstaatssekretär Schmidt via Twitter klar, dass der zuständige Staatssekretär Jörg Kukies sehr wohl vorab vom geplanten Leerverkaufsverbot Kenntnis erhalten hatte.

Während der Wirecard-Untersuchungsausschuss eine aktenkundige Dokumentation der Wahrnehmung der Fachaufsicht durch das BMF vermisst, sieht umgekehrt die ESMA in ihrem Wirecard-Untersuchungsbericht vom November 2020 in einer an den Aufsichtsgrundsätzen orientierten Kontrolle die Gefahr einer ungebührlichen politischen Einflussnahme auf die Aufsichtspraxis der BaFin. Der ESMA ist schon die Häufigkeit der BaFin-Berichte über geplante Aufsichtsmaßnahmen ein Dorn im Auge, vor allem aber der Umstand, dass das BMF bei fachlichen Differenzen das letzte Wort hat. Ob das aufsichtliche Vorgehen im Wirecard-Fall maßgeblich durch das Ministerium gesteuert wurde, konnte die ESMA schon deshalb nicht ermitteln, weil die Aufsichtsgrundsätze keine schriftliche Dokumentation der Kommunikation zwischen BaFin und BMF fordern und deshalb insbesondere der Inhalt von Telefonaten nicht bekannt ist.

Es ist offensichtlich, dass die ESMA in ihrer Wirecard-Untersuchung von dem Leitbild einer politisch unabhängigen, weisungsfreien Finanzaufsichtsbehörde ausgeht. Das deutsche Modell hierarchischer Steuerung von Fachbehörden durch ein politisch verantwortliches Ministerium entspricht den europäischen Vorstellungen sicherlich nicht. Deshalb ist es eine besondere Pointe, dass die bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse des Bundestages und der ESMA in einem Kritikpunkt übereinstimmen: Zwischen BaFin und BMF bestand im Wirecard-Fall eine schwer zu durchschauende Vermischung der Verantwortlichkeiten, die weder dem deutschen Modell der Fachaufsicht noch dem europäischen Modell einer unabhängigen Aufsichtsbehörde gerecht wird.

Als das BMF vor wenigen Wochen „mehr Biss für die Finanzmarktaufsicht“ ankündigte, wäre zu erwarten gewesen, dass hierbei auch eine Neuvermessung des Verhältnisses von BaFin und BMF auf der Agenda steht. Diese Hoffnung wurde allerdings bislang enttäuscht. Der auf den Weg gebrachte Entwurf eines Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) enthält auch in seiner jüngst durch die Regierungskoalition nachgebesserten Form nur marginale Änderungen der Aufsichtsstruktur.

Dabei gibt es über den Wirecard-Fall hinaus Anlass, das Verhältnis zwischen BaFin und BMF neu auszutarieren: Soweit die BaFin im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) die Bankenaufsicht ausübt, verlangt schon Art. 19 der SSM-Verordnung ihre Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Bankenunion die Verfassungsmäßigkeit der Entlassung der BaFin in die politische Unabhängigkeit bestätigt. In der Konsequenz ist eine Fachaufsicht nach §2 FinDAG für die Tätigkeit der BaFin im SSM ausgeschlossen. Es empfiehlt sich, diesen Ausschluss in der Vorschrift klarzustellen.

Sollte die Bundesanstalt nun über das europarechtlich geforderte Maß hinaus generell von einer Fachaufsicht des BMF befreit werden? Dafür spricht, dass es hinsichtlich der genauen Reichweite der unabhängigen und weisungsfreien SSM-Tätigkeit der BaFin gewiss eine Grauzone gibt, die Unklarheiten über die Reichweite der Fachaufsicht nach sich zieht. Auch liegt das Modell einer unabhängigen Aufsichtsbehörde im europäischen Trend.

Allerdings darf eine politische Unabhängigkeit nicht dazu führen, dass die BaFin zu einer unkon­trollierten „Vierten Staatsgewalt“ mutiert. Gefordert sind wirksame Kontrollmechanismen, die an die Stelle einer ministeriellen Fachaufsicht treten. Entscheidende Bedeutung kommt der parlamentarischen Kontrolle zu. Hierbei dürfte es nicht damit getan sein, zum Beispiel die BaFin-Leitung durch den Bundestag wählen zu lassen oder die Behörde zu einem jährlichen Tätigkeitsbericht zu verpflichten. Vielmehr müsste das Parlament den Willen und die fachliche Kompetenz aufbringen, das Aufsichtshandeln der BaFin kontinuierlich kritisch zu begleiten.

Die Entlassung der BaFin in die Unabhängigkeit wäre also ein höchst ambitioniertes Vorhaben. Dass sie nicht vom BMF vorgeschlagen wird, ist insofern nachvollziehbar, als sich das Ministerium dadurch seiner Einflussmöglichkeiten beraubte. Allerdings ist daran zu erinnern, dass die politische Steuerung ihr Gegenstück in der politischen Verantwortlichkeit findet: Es ist der Minister, der gegenüber dem Parlament den Kopf hinhält. Diese Verantwortungszurechnung scheitert, wenn die Fachaufsicht in einer Art und Weise gehandhabt wird, in der die von der BaFin zu treffenden Maßnahmen in einem informellen Kommunikationsprozess ohne Verschriftlichung in den Raum gestellt werden. Bezeichnend ist, dass die Aufsichtsgrundsätze des BMF die fachaufsichtliche „Weisung“ als das zentrale Aufsichtsinstrument noch nicht einmal nennen, geschweige denn in formalisierter Form ausgestalten. Der ebenfalls via Twitter gegebene Hinweis, das BMF verzichte „grundsätzlich auf Einzelweisungen bei aufsichtlichen Maßnahmen“, wirkt deshalb eher beunruhigend. Von einer starken BaFin-Leitung wäre zu erwarten, dass sie bei fachlichen Differenzen mit dem BMF eine schriftliche Weisung und damit eine dokumentierte Verantwortungsübernahme durch das Ministerium einfordert. Wenn das Ministerium die Entlassung der BaFin in den ministerialfreien Raum scheut, die Behörde aber stärken will, sollten die Aufsichtsgrundsätze so ausgestaltet und gehandhabt werden, dass das Selbstbewusstsein der Behörde auch gegenüber dem BMF zunimmt.