Die Bankfiliale als Inkubator der Regionalwirtschaft

NCR-Berater sieht künftig viele Aufgaben für Zweigstellen - Mitarbeiter brauchen aber Technologiewissen

Die Bankfiliale als Inkubator der Regionalwirtschaft

fir Frankfurt – Die Bankfiliale als Gründerzentrum, um jungen Unternehmen und Produktinnovationen zum Durchbruch zu verhelfen: Diese Aufgabe könnte Filialen verstärkt zukommen und ihnen angesichts eines seit Jahrzehnten zu beobachtenden Zweigstellenschwunds die Daseinsberechtigung sichern, glaubt Jörg Floegel, Leiter Professional Services für Deutschland, Österreich und die Schweiz von NCR. Der US-Technologiedienstleister bietet Omnichannel-Lösungen und hat auch Geldautomaten im Repertoire. “Eine Rolle, die die Filiale der Zukunft übernehmen kann, ist, eine Art Inkubator für die Region zu werden”, sagt Floegel im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Geschäft entgangenAls Beispiel nennt er eine Uni-Ausgründung, die für ihre Geschäftsidee eine Finanzierung suchte – einen 3-D-Drucker für schmückendes Beiwerk auf Kuchen und Torten. Da ihr Banken diese verwehrten, beschafften sich die Gründer das Geld schließlich via Crowdfunding. “Hätten die Bankberater erkannt, welches technologische Potenzial sich dahinter verbirgt, hätten sie dieses Unternehmen vielleicht als Kunden gewinnen können”, gibt Floegel zu bedenken. Deshalb sei es unabdingbar, in Filialen das Spektrum des Wissens zu erweitern. Mitarbeiter wie Kunden müssten für technologische Entwicklungen sensibilisiert werden. “Sie brauchen auch Leute, die Kunden oder potenzielle Kunden in neuesten Banktechnologien schulen, die aufgeschlossen sind gegenüber neuen Technologien und ihre Kunden dahingehend begleiten.” Eine solche Sensibilisierung versucht NCR unter anderem mit gemeinsamen Projekten wie mit der Kreissparkasse Göppingen zu bewerkstelligen. In einer Filiale hat NCR eine virtuelle Welt errichtet, in der neben dem 3-D-Lebensmitteldrucker Virtual-Reality-Brillen und andere technische Spielereien Platz finden (vgl. BZ vom 12.10.2016). “Was die Kreissparkasse Göppingen macht, ist ein Paradebeispiel”, sagt Floegel. “Die Bank lädt unter anderem Firmenkunden ein, um in diesem Demonstrationsraum ihre Lösungen und Produkte zu präsentieren und so das Netzwerk zwischen Verbrauchern, Unternehmenskunden und Bank zu stärken.”Doch nicht nur derlei Präsentations- und Netzwerkfunktionen sprächen für die Filiale, sagt Floegel. Denn ein Pfund, mit dem Banken noch wuchern könnten, sei das Vertrauen, das ihnen Menschen entgegenbrächten. Die wichtigen Abschlüsse im Leben, die Hausfinanzierung etwa, würden nun einmal gerne von Angesicht zu Angesicht gemacht. Noch kann er sich deshalb nicht vorstellen, dass ein Bankkunde einem ihm eines Tages möglicherweise gegenübersitzenden Androiden ebenso viel Vertrauen entgegenbringt wie einem Berater aus Fleisch und Blut. Damit Filialen angenommen würden, müsse daneben auch die Verpackung stimmen, sagt Floegel. So bestehe die Herausforderung darin, diese so zu gestalten, dass bestehende bzw. potenzielle Kunden gerne dorthin kommen, um ihren Bankgeschäften und möglicherweise auch anderen Tätigkeiten nachzugehen und sich von den Bankmitarbeitern kompetent – auch und gerade mit Blick auf die digitalen Möglichkeiten – beraten zu lassen. Einfache Tätigkeiten wie Überweisungen oder Kontostandsabfragen ließen sich online bequem und einfach erledigen, doch wenn es um komplexere Dinge gehe, sei der Bankberater nach wie vor erste Wahl. Und kleinere Filialen könnten ihr Portfolio erweitern, indem sie beispielsweise Videotechnologien einbinden. So sei es möglich, mit nur wenigen Mitarbeitern vor Ort spezialisierte Beratungen anzubieten, indem Fachexperten für Finanzierung oder Anlagestrategien zugeschaltet werden. Dennoch würden gerade ländliche Außenstellen, die kaum besucht werden, der Restrukturierung zum Opfer fallen. Wo sich die Zahl der Filialen hierzulande letztlich einpendelt, sei ungewiss. Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Hans-Walter Peters, kann sich jedenfalls vorstellen, dass es in fünf Jahren ein Fünftel bis ein Viertel weniger sein werden als jetzt, wie er kürzlich bekundete. Nach den jüngsten verfügbaren Daten der Deutschen Bundesbank gab es Ende 2016 in Deutschland 32 000 Filialen und damit fast 6 % weniger als im Jahr zuvor. 1995, als der Abwärtstrend begann, waren es noch ungefähr 68 000 gewesen. Doch trotz dieses Schwunds geht Floegel nicht davon aus, dass ein flächendeckendes Filialsterben bevorsteht. Dass Finanzcheck.de als bislang reines Online-Vergleichsportal laut “Finanz-Szene.de” nun eine Niederlassung in Hamburg eröffnet hat, um persönliche Beratung leisten zu können, sei zwar nicht als Umschwung zu werten, entfalte aber auch eine gewisse Signalwirkung. Fintechs mit dem Anspruch, Finanzierungsgeschäft anbieten zu wollen, würden am Ende nicht umhinkommen, Präsenz zu zeigen. Zweifel an Online pur Virtuellen Banken ohne Filialbetrieb begegnet der NCR-Berater jedenfalls mit Skepsis: Reine Online-Beratung erweise sich als extrem unpersönlich. “Das ist nicht das, was man unter Banking versteht – da geht man dann doch besser in eine echte Bank”, sagt Floegel. Das möge aber in zehn Jahren anders aussehen und schließe nicht aus, dass mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Virtual Reality neben dem Aktiengeschäft beispielsweise auch die Baufinanzierungsberatung gestärkt wird. “Ein Einfamilienhaus ist ja keine Raketentechnik. Die Eingangsvariablen sind einigermaßen überschaubar, und Rechenleistung gibt es ja auch schon genug.” Künstliche Intelligenz wird laut Floegel eine bedeutende Rolle bei der Analyse großer Datenmengen spielen, sich aber vorerst weitgehend auf das Back Office beschränken, etwa in der Geldwäsche- oder Kreditwürdigkeitsprüfung. Helfen könne es darüber hinaus beim Erstkontakt, etwa, um über einen Chatbot zu klassifizieren, was ein Kunde möchte. Aber auch hier werde am Ende wieder ein Mensch in Erscheinung treten. “Vielleicht bekommen Sie erst einmal standardisierte Antworten, aber irgendwann muss dann an echte Menschen übergeben werden.”