Die bequemen Zeiten sind vorbei

Die Rahmenbedingungen im Retail Banking sind deutlich schwieriger geworden

Die bequemen Zeiten sind vorbei

Jürgen LieberknechtVorstand Privatkunden bei der TARGOBANKDie Bankenbranche ist von tiefgreifenden und anhaltenden Veränderungen im Marktumfeld geprägt. Das Niedrigzinsumfeld, der steigende Wettbewerb und Preisdruck, die Digitalisierung und eine geringere Kundenloyalität fordern die gesamte Branche. Die niedrigen Margen und sinkende Provisionen drücken die Erträge, hinzu kommen Regulierungsvorgaben, die für mehr Bürokratie und steigende Kosten sorgen. Die deutsche Wirtschaft konnte zwar trotz anhaltender Belastungen aus der europäischen Finanzkrise und der weiterhin bestehenden geopolitischen Risiken ihren moderaten Wachstums­trend fortsetzen. Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass die Ertragsrückgänge vieler Bankinstitute in den traditionellen Geschäftsbereichen nicht eine vorübergehende Erscheinung sind, sondern mittel- und langfristig als Herausforderung bestehen bleiben. Das muss in der strategischen Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle eines jeden Finanzdienstleisters stets im Fokus bleiben. Die Banken sind gefordert, in diesem Umfeld ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die verschiedenen Stakeholder, die mitunter sehr heterogene Erwartungen haben, zufriedenzustellen. Der Veränderungsdruck nimmt weiter zu, und es steht für alle fest: Die bequemen Zeiten sind vorbei.Verändertes Kundenverhalten: Neben diesen Faktoren wird das Retail Banking heute aber auch maßgeblich durch die Selbstbestimmtheit der Kunden beeinflusst. Sie möchten jederzeit selbst darüber entscheiden, wann und wie sie ihre Bankgeschäfte erledigen. Ob persönlich in der Filiale, telefonisch im Service Center, online am Computer oder mobil über das Smartphone. Die Trennung zwischen Offline- und Online-Welt löst sich mehr und mehr auf. Der Kunde erwartet, dass er beispielsweise tagsüber einfach in die Filiale gehen oder am Abend online oder mobil einen Kredit abschließen kann – sofortige Kreditentscheidung und schnelle Verfügbarkeit des Geldes werden vorausgesetzt. Wurden im Jahr 2009 laut Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (siehe Grafik) 11 % der Bankprodukte online abgeschlossen, waren es 2016 bereits 35 %, Tendenz weiterhin steigend. Bei den Ratenkrediten hat sich der Anteil der Online-Abschlüsse im gleichen Zeitraum sogar mehr als vervierfacht. Hinzu kommt, dass der Kunde heute viel besser informiert ist – er erwartet von seiner Bank nicht nur eine maximale Transparenz, sondern auch einen sehr guten Service und hochwertige Produkte. Ist das nicht gegeben, besteht die Gefahr, den Kunden zu verlieren – die früher übliche lebenslange Loyalität zur Hausbank über alle Produkte und Lebensphasen hinweg ist längst Geschichte. Letztendlich wird das Kundenerlebnis in den Unternehmen darüber entscheiden, wer im Kreditgeschäft, mit Kreditkarten, Girokonten oder bei der Anlageberatung weiterhin Kunden mit attraktiven Angeboten für sich gewinnen kann und trotzdem dabei Geld verdient. Aus dem Rennen um die Zukunft des Retail Banking werden diejenigen Unternehmen gestärkt hervorgehen, die flexible Geschäftsmodelle bieten und für ihren Kunden einfache Produkte und Zugangswege mit innovativen Funktionen kombinieren. Sprich: ein nahtloses Angebot von Bankdienstleistungen und Produkten, das sogenannte Omnikanal-Banking. Für uns bedeutet Omnikanal, den Kunden wesentliche Angebote und Leistungen über alle Kanäle ohne Medienbruch und in Echtzeit anzubieten. Wir verknüpfen so die Vorteile einer Direktbank mit der persönlichen Beratung in Filialen oder über unser mobiles Berater-Team beim Kunden zu Hause. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch neue Kommunikationskanäle wie etwa Videolegitimation oder Online-Chats, Geldanlageberatung im Internet per “Anlage-Roboter” und natürlich auch das gesamte Feld des kontaktlosen Bezahlens. Dieses wird vor allem aus Kundensicht enorm an Bedeutung gewinnen. Der Marktstart von Paydirekt, die Zunahme von Mobile Payment und kontaktlosem Bezahlen per NFC-Chip oder die Fortentwicklung von Echtzeitzahlsystemen, sogenannten Instant Payments, sind Stichworte, die den Markt weiter verändern werden. Verändertes Wettbewerbsumfeld: Die neue Konkurrenz durch Fintechs sorgt für zusätzliche Dynamik und eine erhöhte Innovationsgeschwindigkeit im Markt. Wir sehen die Fintechs nicht als Bedrohung. Sie stoßen Innovationen an und bieten die Chance für etablierte Institute, nachzuziehen – etwa in der internen IT-Entwicklung oder indem sie sich die Kreativität und Schnelligkeit der Fintechs im Rahmen von Kooperationen zunutze machen, anstatt sich von ihnen komplett abzuschotten. Dabei muss allerdings das Credo lauten: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Neben der Funktionalität und der Kundenakzeptanz steht hier vor allem der Datenschutz im Fokus. Und auch die technische Individualisierbarkeit und Flexibilität der Lösungen spielen eine große Rolle. Für Banken liegt die Kunst darin, auszuwählen, welche Tools und Features dem Kunden tatsächlich einen Mehrwert bieten. Es geht also nicht darum, jeden Trend aufzugreifen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern überall da sinnvoll, wo sich Vorteile für Kunden und die Bank ergeben.Insofern glauben wir, dass die Bank der Zukunft mehr sein muss als ein Technologieunternehmen mit Banklizenz. Komplexe Bankgeschäfte werden auch künftig von der persönlichen Interaktion von Kunde und Berater geprägt sein – im Privat- wie im Firmenkundenbereich. Jedoch liegt die Schwierigkeit für Banken darin, je nach Geschäftsmodell ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Online- und Offline-Geschäft zu finden.Konzentration auf das Kerngeschäft bei gleichzeitiger Diversifizierung: Neben einer konsistenten Digitalstrategie sollten sich die Banken im aktuellen Wettbewerbsumfeld auch wieder auf ihre unternehmenseigenen Stärken besinnen und Differenzierungsmerkmale deutlicher herausarbeiten. Die TARGOBANK fokussiert sich vor diesem Hintergrund auf ihr Kerngeschäft Finanzierung, das mit Abstand die meisten Erträge erwirtschaftet. Hier wollen wir unsere Wettbewerbsvorteile verteidigen und unsere Position ausbauen – zum Beispiel durch elastischere Konditionen. Zudem haben wir unser Produktportfolio im Kreditbereich erweitert und neue Kundensegmente adressiert. Unser strategischer Ansatz ist es, uns unabhängiger vom Zinsüberschuss zu machen, da die Wettbewerbssituation wie auch die Zinspolitik der EZB unmittelbar auf diesen durchschlägt. Deshalb bauen wir auch den Provisionsbereich etwa im Wertpapier-, Einlagen- und Vermittlungsgeschäft aus. Unter Beachtung verschärfter regulatorischer und gesetzlicher Anforderungen arbeitet die Bank kontinuierlich daran, bestehende Provisionserträge zu sichern und wegfallende Entgelte so zu kompensieren, dass sie von Kunden als adäquate Bepreisung einer Leistung akzeptiert und im Wettbewerbsumfeld gut positioniert sind. Neue Kundensegmente identifizieren: Wir glauben zwar, dass kostenlose Girokonten und kostenlose Beratungsleistungen unter bestimmten Bedingungen für einzelne Institute weiter funktionieren können. Aber die Kosten der Neukundengewinnung müssen in einem sinnvollen Verhältnis zum Kundenertrag stehen. Deshalb werden sich im Retail Banking stärker individualisierte Entgeltmodelle mehr und mehr durchsetzen. Die hauseigene Kernkompetenz zu stärken ist richtig und wichtig, die Möglichkeiten des organischen Wachstums sind jedoch endlich. Umso wichtiger ist es, durch Diversifizierung des Geschäftsmodells neue Geschäftsfelder oder zumindest Kundensegmente zu identifizieren, um zusätzliche Einnahmequellen zu sichern und Wachstum über das bisherige Kerngeschäft hinaus zu sichern. Nur so lassen sich die Ertragsquellen auf eine breitere Basis stellen. So bietet die TARGOBANK beispielsweise seit einiger Zeit auch einen Kredit für Selbständige zu privaten Zwecken an und plant die Einführung von Konten- und Kreditprodukten für Klein- und Kleinstunternehmen für Geschäftszwecke. Ja, die bequemen Zeiten für Banken sind vorbei. Und jede Bank stellt sich den Herausforderungen der Zukunft auf ihre Art. In allen Fällen bedarf es jedoch klarer strategischer Prioritäten und unternehmerischen Denkens. Die klassischen Banken können den Wandel mitgestalten und die digitale Transformation erfolgreich meistern – wenn sie sich anpassungsfähig zeigen. Denn das ist die größte Herausforderung bei der “Jagd des verlorenen Schatzes”: Den veränderten Kundenbedürfnissen in Bezug auf die Zugangswege zur Bank, die Verfügbarkeit von Bankdienstleistungen und die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft Rechnung zu tragen.