LEITARTIKEL

Die Cum-ex-Skandalisierung

Die lange Zeit beliebten und in jüngerer Vergangenheit zunehmend umstrittenen Cum-ex-Geschäfte haben eine beeindruckende Karriere hinter sich: vom alltäglichen und unverdächtigen Aktienhandel rund um den Dividendentermin über die vom Gesetzgeber und...

Die Cum-ex-Skandalisierung

Die lange Zeit beliebten und in jüngerer Vergangenheit zunehmend umstrittenen Cum-ex-Geschäfte haben eine beeindruckende Karriere hinter sich: vom alltäglichen und unverdächtigen Aktienhandel rund um den Dividendentermin über die vom Gesetzgeber und Regierungen in Bund und Ländern inklusive der Finanzverwaltungen sehenden Auges hingenommene und unstrittig legale Steuergestaltung bis hin zum “Skandal” und gar zur mutmaßlichen Straftat.Mit mittlerweile drastischen, Existenzen vernichtenden oder bedrohenden Folgen: Ein mittelgroßes Institut, die Frankfurter Maple Bank mit einer Bilanz von 5 Mrd. Euro, ist pleite, nachdem es eine im Zusammenhang mit der Cum-ex-Thematik zu bildende Steuerrückstellung nicht stemmen konnte. Daraufhin überprüft nun die Finanzaufsicht 1 800 Banken und Sparkassen, praktisch die ganze Branche, auf ihre “finanzielle Überlebensfähigkeit” und eine eventuelle Gefährdung der ihnen anvertrauten Vermögenswerte wegen eines möglichen “Missstandes im Kreditwesen”. Frühere Vorstandsmitglieder mindestens einer Bank sollen sich derweil wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht mit Rückforderungen in Multimillionenhöhe konfrontiert sehen. Willkommen, auch insoweit, im Unrechtsstaat Deutschland!?Ein paar Fakten: Erstens stellen Dividendenstripping respektive Cum-ex-Geschäfte nicht einmal nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) per se einen Missbrauch dar. Zweitens brachten es zum einen das nicht ganz umkomplizierte deutsche Steuerrecht – hier die Anrechnung oder Erstattung gezahlter Kapitalertragsteuer (KESt) – und zum anderen Usancen des Aktienhandels – Kauf “cum” (mit) Dividendenanspruch, Lieferung ein paar Tage später “ex” (ohne) – mit sich, dass bis zu einer Rechtsänderung 2012 unter bestimmten Umständen einmal gezahlte KESt mehrfach bescheinigt und erstattet wurde – mit der Folge entsprechender Steuerausfälle. Die Gesetzeslücke war der Politik ein Jahrzehnt lang bekannt und wurde von ihr auch nach einer kleineren Modifikation der Regeln 2007 weiter bewusst in Kauf genommen. Drittens dürfen Kategorien wie “tugendhaft” oder “anrüchig” in diesem Kontext keine Rolle spielen. Wer mit fremdem Geld arbeitet und legale Steuervorteile, mögen sie auch von zweifelhaftem Ruf sein, nicht nutzt, setzt sich schlimmstenfalls sogar dem Vorwurf der Untreue aus. Viertens ist die Rechtslage bis heute komplett unübersichtlich. Das gilt auch für die neuerdings als grenzwertig erscheinenden oder schon inkriminierten Fälle. Dass ein BFH-Urteil von 2014 den typischen alten Cum-ex-Gestaltungen den Boden entzogen habe, wie es in der Politik hieß, ist blanker Unfug.Vor dem dargestellten Hintergrund wähnten sich die Akteure und offenbar auch die meisten Juristen auf rechtssicherem Terrain. Namhafte Banken, deren diesbezügliche Händel mit dem Fiskus und mit Gerichten publik wurden, waren ja nicht so dusselig, die Dinge einfach laufen zu lassen. Sie haben vielmehr die in Rede stehenden Vorgänge gründlich untersucht, über die eigene Revision hinaus externe Wirtschaftsprüfer und Rechtsgelehrte hinzugezogen, dann nach bestem Wissen und Gewissen ihre Steuererklärung unterschrieben sowie gegen vermeintlich fehlerhafte Bescheide Einspruch eingelegt.Erst in jüngerer Zeit wurde ruchbar, dass es wohl Konstruktionen gegeben hat, bei denen rechtsmissbräuchlich Absprachen zu Lasten des Fiskus getroffen und womöglich Ketten- oder Scheingeschäfte ohne Lieferung der Aktien getätigt wurden. Hier dürfte die Grenze zum Straftatbestand der – manche Anwälte meinen sogar: bandenmäßigen – Steuerhinterziehung überschritten sein. Einzelne Banken fanden in einschlägig bekannten Chatrooms Spuren, die den Verdacht auf – mindestens – Unregelmäßigkeiten zu bestätigen scheinen; sie akzeptierten zuvor angegriffene Steuerbescheide und zogen teilweise arbeitsrechtliche Konsequenzen.Was die Fälle angeht, in denen mit krimineller Energie gearbeitet wurde, wird man nach noch ausstehenden rechtskräftigen Urteilen fraglos von einem “Cum-ex-Skandal” sprechen müssen. Wer aber flott verallgemeinernd einen neuen Bankenskandal oder auch ein Versagen der Aufsicht unterstellt, betreibt nur Skandalisierung. Denn wie viel von dem penetrant kolportierten angeblichen Schaden von 12 Mrd. Euro in die Kategorie “Straftat” fällt, weiß kein Mensch. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich gerade erst konstituiert. Vielleicht deckt er am Ende als den eigentlichen Skandal auf, dass Gesetzgeber und Finanzminister Banken jahrelang durch Nichtstun eingeladen haben, ein strotzlegales “Steuerschlupfloch” zu nutzen, das eher schon die Dimension eines Kraters hatte.——–Von Bernd WittkowskiVielleicht wird am Ende aufgedeckt, dass Gesetzgeber und Finanzminister Banken jahrelang eingeladen haben, ein strotzlegales “Steuerschlupfloch” zu nutzen.——-