GASTBEITRAG

Die digitale Revolution beginnt

Börsen-Zeitung, 13.2.2016 Nach der Bankenkrise 2008, dem wirtschaftlichen Abschwung in den USA und in Europa, Staatsschuldenkrisen, einer radikalen Re-Regulierung und dem Niedrigzinsumfeld hat der Finanzsektor zehn turbulente Jahre hinter sich....

Die digitale Revolution beginnt

Nach der Bankenkrise 2008, dem wirtschaftlichen Abschwung in den USA und in Europa, Staatsschuldenkrisen, einer radikalen Re-Regulierung und dem Niedrigzinsumfeld hat der Finanzsektor zehn turbulente Jahre hinter sich. Trotz aller Herausforderungen sehen Banken und Versicherer heute nicht grundsätzlich anders aus.Das ist keine Überraschung, denn eine ernste Gefahr für die Geschäftsmodelle rührt nicht von volatilen Ergebnissen. Vielmehr drohen Innovationen Althergebrachtes zu ersetzen. Die Musikbranche und das Verlagswesen sind Beispiele dieses dramatischen Umbruchs. Auch in dem Finanzsektor bahnt sich eine solche Transformation an. Wir glauben, dass Finanzdienstleistungen “modular” werden. Schwächere KundenbindungDigitale Technologie und Veränderungen im Verbraucherverhalten brechen bereits heute die enge Bindung von Anbietern und Kunden auf. Neue Kundenplattformen werden Konsumenten zu einer Vielzahl diverser Anbieter leiten und einen dynamischen Wechsel erleichtern; immer auf der Suche nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Dadurch wird ein durchschnittlicher Kunde eine wesentlich höhere Zahl von Finanzdienstleistern nutzen. Wir nennen das modulare Nachfrage.Hierfür sind Baufinanzierungen ein fortgeschrittenes Beispiel. Kundenschnittstelle und Produktanbieter werden getrennt und diverse Anbieter auf einer Plattform vorgestellt. Dies können reine Vertriebsplattformen wie die Interhyp sein oder die Plattform eines Anbieters, der seinen Vertriebskanal für andere Wettbewerber öffnet, wie die HypoVereinsbank. Datenaufbereitung essenziellAuch die Angebotsseite der Finanzbranche wird modularer. Finanzprodukte sind in erster Linie Verträge und Beratungsleistungen. Der Erfolg von Finanzinstituten hängt maßgeblich davon ab, wie gut sie Informationen aufbereiten und Entscheidungen treffen. Da die Arbeit mit Daten einfacher und günstiger wird, werden spezialisiertere und effizientere Geschäftsmodelle realisierbar. Ein Blick in die globale Fintech-Datenbank der Managementberatung Oliver Wyman zeigt das deutliche Anwachsen des Sektors. Die Datenbank erfasst 500 Firmen im Bereich Zahlungsverkehr, darunter knapp 20 deutsche Start-ups. Das ist auch der Bereich, in dem Investoren am stärksten anlegen.Ein Beispiel für die Modularisierung der Angebotsseite ist der Wertpapierhandel im Kapitalmarktgeschäft. Aufgrund gestiegener Compliance-Kosten durch Regulierungen wie etwa Emir und Mifid II geben Banken zunehmend Middle-Office-Tätigkeiten wie Collateral Management und Settlement ab. So ergeben sich Wachstumsmöglichkeiten für Drittanbieter. Konsumenten profitierenDurch neue Produkte und Dienstleistungen sowie bessere Preistransparenz werden die Konsumenten am stärksten von der Modularisierung des Finanzsektors profitieren. Auf den ersten Blick sieht das nach schlechten Neuigkeiten für Banken und Versicherungen aus, da Cross-Selling und Produkt-Quersubventionierungen künftig noch schwieriger werden dürften. Zudem wird der Abwärtsdruck auf Preise und Margen durch Drittanbieterplattformen nur mit geringen Kostenreduktionen einhergehen.Der Vertrieb über diese Plattformen beseitigt zudem eine hohe Eintrittsbarriere, nämlich die Kosten zum Aufbau von Vertriebskanälen. Das erleichtert den Zugang neuer Marktteilnehmer, auch aus dem Ausland. So finden sich beispielsweise auf deutschen Vergleichsplattformen Angebote von britischen und türkischen Banken, die kein Filialnetz in Deutschland betreiben.Der Wettbewerb wird sich durch diese Entwicklung verstärken. Oliver Wyman schätzt in ihrer neuen Studie Modular Financial Services, dass sich ca. 1 Bill. Dollar der jährlichen Erträge im globalen Finanzsektor durch die Modularisierung verschieben werden. Diese werden sich entweder neue Wettbewerber sichern oder durch engere Preisgestaltung verloren gehen. Auf dem deutschen Markt hätten neue Kundenplattformen Ertragsmöglichkeiten von etwa 4 bis 6 Mrd. Euro, und Anbieter von neuen Produkten können auf 7 bis 10 Mrd. Euro Umsatz hoffen.Doch es gibt auch Lichtblicke für bestehende Institute. Im Wettbewerb können sie sich als “Plattform des Vertrauens” positionieren und außerdem langjährige Kundenstämme, bekannte Marken und diverse miteinander verzahnte Verkaufskanäle als Vorteile nutzen. Ein großer Erfahrungsschatz bei der Risikobewertung und Preisstellung sowie ein teilweise gutes Kapitalpolster stehen ihnen zudem beim Produktangebot zur Verfügung. Dadurch haben Banken und Versicherungen die Mittel, Wettbewerber, wie etwa Fintech-Start-ups zu kaufen und fehlendes Wissen und Technologie zu ergänzen.Das modulare Angebot wird etablierten Firmen helfen, unflexible und teure Systeme sowie veraltete IT-Infrastruktur zu verbessern. Die Kosten für die Überarbeitung dieser Systeme gehen in die Milliarden und lohnen sich nur für große Firmen. Kleinere Unternehmen werden vermehrt ihre Systeme aufgeben und Back-Office-Prozesse an Drittanbieter auslagern. Diese wiederum werden ihr Angebot erweitern und ihre Betriebsabläufe vergrößern. Vorteile sind gefährdetDie Regulierung war bisher der größte strukturelle Vorteil für bestehende Finanzinstitute. Doch da auch die Politik um einen angemessenen Umgang mit der digitalen Welt ringt, sind diese Vorteile gefährdet. Viele Regulierungsvorhaben drängen ebenfalls auf mehr Wettbewerb und leichteren Anbieterwechsel. Dies zeigen zwei Beispiele: Die Identifikation von Neukunden ist nun nicht mehr nur als Postident in der Postfiliale vor Ort, sondern auch per Video erlaubt. Das erleichtert Kunden den Wechsel. Zum anderen regelt die Payment Service Directive europaweit, dass die Zahlungs- und Kontodaten von Kunden nicht mehr nur einem Finanzdienstleister gehören. Dies ermöglicht Start-ups den Marktzugang. Großteil der Banken überlebtIn zehn Jahren wird der Finanzsektor modularer aufgestellt sein. Die meisten der heutigen Finanzdienstleister werden dann noch am Markt vertreten sein. Sie werden sich jedoch signifikant unterscheiden. Einige Unternehmen werden versuchen, mit Handels- und Technologie-Unternehmen um Kundenplattformen zu konkurrieren. Produktseitig werden sie sich auf Bereiche mit langfristigen Wettbewerbsvorteilen konzentrieren, um den Multikanalvertrieb optimal zu nutzen. Etablierte Unternehmen sollten sich schnell der modularen Branchenstruktur anpassen, um nicht unvorbereitet vom Umbruch des Sektors eingeholt zu werden.—-Finja Carolin Kütz, Partnerin Oliver Wyman