"Die Digitalisierung ändert alles"

Degussa Bank steckt mitten in der Transformation - Zahl der Bank-Shops halbiert - Diversifizierte Aufstellung hilft

"Die Digitalisierung ändert alles"

Getrieben von der Digitalisierung und der damit einhergehenden Veränderung des Kundenverhaltens ist die Degussa Bank auf dem Weg vom Worksite- zum Omnichannel-Banking. Binnen weniger Jahre hat sich die Zahl der Bank-Shops mehr als halbiert. Dafür wird nun umso stärker in die Digitalisierung investiert, um der Bedrohung durch die Big Techs zu begegnen. Von Bernd Wittkowski, FrankfurtDer Weg zur Bank ist dem Kunden von heute selbst dann zu weit oder zu beschwerlich, wenn die Filiale in fußläufiger Distanz liegt und er seine Geldgeschäfte zum Beispiel mal eben in der Mittagspause erledigen könnte. Dies bedeutet eine besondere Herausforderung gerade für ein Institut, das traditionell von persönlicher Nähe zum Kunden lebt. Wie die Degussa Bank. “Worksite Financial Services” heißt bisher das Geschäftsmodell des einst aus dem Gold- und Silberscheidegeschäft der ehemaligen, 1873 gegründeten Degussa hervorgegangenen Instituts. Es zählt zwar konzernweit rund 1,1 Millionen Kunden (bei der Bank selbst sind es etwa 440 000), agiert ansonsten aber ein wenig außerhalb des öffentlichen Rampenlichts. MitarbeiterbindungDie Arbeitnehmer von rund 200 Industrieadressen sind also die herkömmliche Zielgruppe, Bank-Shops auf den Betriebsgeländen dieser Firmen die klassischen Vertriebsstellen. Zugleich werden den Partnerunternehmen, darunter reichlich Prominenz aus dem Dax, spezifische Dienstleistungen wie Mitarbeiteraktienprogramme, Firmenkreditkarten oder die Produkte der Banktochter Mivo, einer Vergleichs-, Rabatt- und Serviceplattform, von Reisen über Mode- oder Elektronikartikel bis zu Gutscheinkarten angeboten. “Mivo” steht für “Mitarbeitervorteile”. Es geht hier im Kern um Programme zur Mitarbeiterbindung.Doch “die Digitalisierung ändert alles”, schreibt die Degussa Bank im Geschäftsbericht 2018. War die Filiale noch vor wenigen Jahren der mit Abstand wichtigste Zugangspunkt, lässt der Kunde die stationäre Vertriebsstelle heute immer öfter links liegen. So finde inzwischen mehr als die Hälfte der Neukunden des “Girodigital Plus”, eines kostenlosen Kontokorrentkontos mit 150 Euro Willkommensbonus, über das Smartphone den Weg zur Degussa Bank, berichten der Vorstandsvorsitzende Jürgen Eckert und das für Vertrieb und Kapitalmärkte zuständige Vorstandsmitglied Michael Horf im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Sie hätten diese Zahlen zunächst selbst nicht glauben können, sagen sie, doch die neu gestaltete Antragsstrecke und die Eröffnungszeit von angeblich weniger als 7 Minuten kommen bei den Kunden offenbar gut an. Bedrohung durch Big TechsDie Konsequenz: Die Zahl der Bank-Shops hat sich gegenüber dem vor einigen Jahren erreichten Höchststand bis 2018 auf rund 140 gut halbiert, allein im vorigen Jahr wurden 50 Standorte aufgegeben. Genügten früher etwa 500 Kunden, um einen Shop rentabel zu betreiben, müssen es heute eher 5 000 sein. Im Vergleich zur Neuausrichtung des Vertriebsnetzes auf “Omnichannel” sank die Zahl der Bankbeschäftigten zuletzt noch recht moderat, nämlich im Jahresdurchschnitt 2018 um 30 auf 687. Vor vier Jahren waren es allerdings noch 826 gewesen.Das Haus befinde sich “mitten in der digitalen Transformation”, so Eckert. Um der – die ganze Branche betreffenden – Bedrohung durch die Big Techs standzuhalten und für die Kunden persönliche Nähe mit digitaler Nähe zu verbinden, wurden im vorigen Jahr mehr als 10 Mill. Euro in die Digitalisierung investiert. 2019 dürfte eine ähnliche Summe in die Hand genommen werden. Die Ausgangslage der mehrheitlich von den Familien Olearius und Warburg getragenen, aber nicht in der Gruppe um deren Hamburger Bankhaus M.M. Warburg konsolidierten Bank mit Sitz in Frankfurt ist dabei nicht die schlechteste. Es zahlt sich aus, dass man ertrags- wie risikoseitig früh diversifiziert und das Institut auf mehrere Standbeine gestellt hat, wodurch dieses nicht nur ein Stück weit der branchenüblichen Zinsabhängigkeit ausweicht, sondern sich teilweise auch dem massiven Regulierungsdruck entziehen kann, dem das im Kreditgeschäft auf Immobilienfinanzierungen fokussierte Bankgeschäft im engeren Sinne unterliegt. Kontaktmaschine MivoEckert betont im Gespräch scherzhaft, dass die Degussa Bank durchaus eine richtige Bank sei, aber tatsächlich ist das Retailhaus sehr breit und vielfältig ausgerichtet. Zum Konzern, der gemessen an seiner Bilanzsumme von 6,2 Mrd. Euro die Größe einer mittleren Sparkasse aufweist, aber sich gleichzeitig zum Beispiel als einer der größten Anbieter von Firmenkreditkarten in Deutschland bezeichnet, gehören neben der schon erwähnten “Kontaktmaschine” Mivo mit rund einer halben Million Kunden der Versicherungsvermittler Prinas Montan und der Portfoliomanager Industria Wohnen mit den Geschäftsbereichen Wohnimmobilienvertrieb, Bestandsmanagement und Betreuung von Wohnimmobilien in institutionellen Fondsvermögen. Die 1954 als Gemeinnützige Wohnungsbau Hessischer Unternehmen gegründete und 1997 von der Bank erworbene Gesellschaft, die im Verbund mit M.M. Warburg agiert, betreut deutschlandweit aktuell mehr als 16 000 Wohneinheiten mit einem Vermögenswert von 2,4 Mrd. Euro. Und erst im Februar dieses Jahres übernahm die Bank über Prinas Montan die Munich General Insurance Services mit der Marke “Mobilversichert”. Das Start-up bietet Versicherungsmaklern und deren Kunden eine Infrastruktur zur digitalen Steuerung und Bewirtschaftung ihrer Bestände und weitere digitale Services wie einen Vergleichsrechner oder eine Makler- und Endkunden-App an.Konzentrierte sich die Degussa-Bank-Gruppe bisher auf den deutschen Markt, soll jetzt zumindest die Mivo auch in Europa “ausgerollt” werden. Testweise läuft das schon in Österreich und der Schweiz. Smart ServicesDas notwendige Kundenpotenzial für die digitale Transformation ist also vorhanden, die Bank muss ihre Klientel nur noch viel besser kennenlernen. Das bedeutet nicht zuletzt, die durchaus ansehnlichen Datenbestände intelligent zu bewirtschaften, die darin liegenden Schätze zu heben und sich dabei vor allem auch vom klassischen Kampagnendenken einer traditionellen Retailbank (“im April setzen wir auf Privatkredite, das haben wir schließlich schon immer so gemacht”) zu lösen. Als konkrete Produktideen, die teilweise offenbar kurz vor der Markteinführung stehen, nennen Eckert und Horf Smart Services wie etwa Apps für die Ad-hoc-Bewertung von Immobilien oder für eine Baufinanzierungsassistenz vom Abschluss bis zur Auszahlung.Auch eine digitale Vermögensverwaltung soll nicht fehlen. Zum Vorreiter in ihrer Zunft wird die Degussa Bank damit vermutlich nicht mehr, aber immerhin kann sie nun von den zahlreichen Fehlern anderer Anbieter lernen.