IM INTERVIEW: MICHAEL SEN

"Die Dinge mussten ineinanderpassen wie ein Puzzle"

Das Vorstandsmitglied von Siemens erklärt, wie der Konzern den Börsengang der Medizintechniksparte Healthineers vorbereitet und in die Tat umgesetzt hat

"Die Dinge mussten ineinanderpassen wie ein Puzzle"

Seit zweieinhalb Monaten findet sich der Name Siemens gleich zweimal auf dem Kurstableau: Investoren und Privatanleger können Aktien des vertrauten Dax-Konzerns kaufen und seit kurzem auch Anteile der Medizintechniksparte Healthineers. 15 % des Grundkapitals brachte das Mutterunternehmen an die Börse, zu einem Emissionspreis von jeweils 28 Euro. Siemens-Vorstand Michael Sen ist der Aufsichtsratschef von Healthineers.- Herr Sen, wie hat es Siemens geschafft, am 16. März die Medizintechnik mit einem Volumen von knapp 4,2 Mrd. Euro an die Börse zu bringen – in einer Phase, in der der Dax innerhalb von wenigen Wochen mehr als 1 000 Punkte verloren hat? Es war immerhin der bisher fünftgrößte Börsengang in Deutschland.Das Umfeld war in der Tat nicht einfach. Und es war angesichts des Platzierungsvolumens schon eine sehr große Transaktion. Bei dem Volumen investieren große Fonds schließlich bis zu mehreren 100 Mill. Euro. Um das Vertrauen für derartige Investments zu bekommen, ist es nicht mit einer Quartals-Roadshow oder einer normalen Deal-Roadshow getan. Da geht es für die Investoren fast an eine Due Diligence heran. Siemens Healthineers war den meisten Marktteilnehmern bis dato ja lediglich als eine Spalte in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung des Siemens-Konzerns bekannt.- Wann begannen die Vorbereitungen? Sehr früh – und das war auch gut so. Schon vor knapp einem Jahr haben wir Zug um Zug die gezielte Kommunikation gestartet – sozusagen mit einer Pre-pre-Marketingphase. Wir haben rechtzeitig den Markt und die Medien über das Geschäft, die strategische Rationale und die damit verbundenen Chancen unterrichtet. Die Dinge mussten ineinanderpassen wie ein Puzzle – und das tun sie auch. Die Basis ist ein attraktives Geschäft in einem Wachstumsmarkt mit einem starken Finanzprofil. Darüber hinaus gibt es glänzende Wachstumsaussichten. Für die nachhaltige Perspektive brauchen Sie eine präzise und plausibel formulierte Strategie. Und als Letztes einen guten Umsetzungsplan und natürlich ein exzellentes Team. – Worauf kam es auf den letzten Schritten vor der Erstnotiz an?Vor allem auf eines: In der Phase der Platzierung muss man ein Gefühl dafür bekommen, welche Investoren mit welcher Strategie investieren wollen. Während des Bookbuilding ist die Zeit des Managements das knappste Gut. Mit welchem Investor man spricht, entscheidet viel über das Momentum und die Qualität im Buch. – Und dann war noch der Emissionspreis entscheidend.Ja, wir waren ja nicht auf kurzfristige Monetarisierung und den Maximalpreis aus. Deshalb unterscheidet sich unsere Strategie grundsätzlich von der eines Finanzinvestors. Siemens wird auch langfristig Mehrheitsaktionär bleiben. Das heißt: Uns ist die langfristige Wertsteigerung wichtig. Es ging darum, dem Geschäft die unternehmerischen Freiräume zu geben, um den Paradigmenwechsel in der Medizintechnik aktiv zu gestalten und weiter profitabel zu wachsen. Das heißt, jede Wertsteigerung, die nach Bookbuilding kommt, wirkt sich auch positiv für Siemens aus. Mit einem Emissionspreis von 28 Euro bekamen wir mehr Spielraum für Kurssteigerungen. – Warum?Bei 28 Euro war das Orderbuch mehrfach überzeichnet und auch qualitativ exzellent. Das gab uns die Zuversicht, dass der Kurs nach dem IPO steigen wird. In der Zuteilung mussten wir einigen Investoren sagen, ihr kriegt nicht das, was ihr haben wollt. Wenn sie also vom Potenzial des Assets überzeugt waren, mussten sie im Markt nachkaufen. Der zweite Punkt: Es gab ein paar große klassische Investoren, die noch nicht im Buch waren. Damit stieg die Chance, dass die Indexorientierten ebenfalls nachkaufen. Healthineers ist in den MSCI-Index gekommen. Und mit der Neuregelung der Indizes der Deutschen Börse könnte ein Unternehmen wie Healthineers gleichzeitig im TecDax und MDax sein. – Das Interesse von Privatinvestoren haben Sie auch geweckt.Der Name und die Marke Siemens spielen da sicher eine Rolle. Wir haben knapp 10 % Retail- und Private-Wealth-Investoren ins Buch genommen, obwohl wir keine Werbung gemacht haben. Das ist ein sehr hoher Anteil. – Wie verteilen sich die Aktionäre aufs In- und Ausland? Zum Börsengang waren es 30 % im Inland. Außerdem haben wir mit rund 70 % einen recht hohen Anteil Long Onlies. Das bestätigt unsere Strategie. – Hätten Sie als Alternative in New York an die Börse gehen können?Ja. Die Liquidität ist hierzulande aber genauso gegeben. Wir haben internationale Investoren – aus den USA, Europa und selbst in Asien den einen oder anderen Fonds gewonnen. In New York hätten wir aber ziemlich sicher eine so hohe Nachfrage von Privatinvestoren nicht gehabt. – Würde der Markt in den USA Healthineers nicht doch etwas höher bewerten? Die Hypothese gibt es. Einige US-amerikanische Unternehmen haben ein höheres Multiple. Das ist jedoch keine Folge des Marktes dort, sondern des Unternehmens und der Performance. Etliche US-Unternehmen sind spitzer positioniert und adressieren vor allem den US-Markt. Außerdem haben die US-notierten Medtechs zum Teil ein höheres Wachstum als Healthineers.- Eine Unterbewertung hierzulande beklagen Sie also nicht?Nein, das Verhältnis von Enterprise Value zu Ebitda beträgt rund 14. Das Unternehmen in Europa, das uns vom Geschäft her am ähnlichsten ist, liegt ein bis zwei Prozentpunkte darunter. Dabei sind wir ein Neuling. – Sie meinen Philips. Ein paar Schritte zurück: Welches waren die entscheidenden Gründe für Siemens, um Healthineers auf eigene Beine zu stellen?Wir haben ein attraktives und starkes Portfolio und sind in vielen Bereichen der medizinischen Bildgebung führend. Darüber hinaus haben wir Potenzial im attraktiven Wachstumsmarkt der Labordiagnostik. Die Medizintechnikindustrie verändert sich aber massiv. Der Dreiklang lautet Digitalisierung, Daten und künstliche Intelligenz. Siemens hat den Anspruch, diese Zukunft aktiv zu gestalten. Dieser Anspruch muss sich künftig auch in einem verbesserten Wachstumsprofil widerspiegeln. Es ist ein struktureller Wachstumsmarkt, der stärker zulegt als die Weltwirtschaftskraft und weitgehend unabhängig von Konjunkturzyklen ist. – Aber all das könnte Healthineers doch auch ohne Ausgründung aus dem Konzern bewältigen.In dem Geschäft gibt es wenig Zusammenhang zum Industriegeschäft von Siemens, etwa zur Energieerzeugung oder zur Gebäudetechnik. Es ist ein hochdynamischer Markt. Entscheidungen müssen schnell getroffen werden, man muss nah am Kunden sein. Wenn alles bis zum Siemens-Vorstand geht, sind die Wettbewerber viel schneller und fokussierter. Ein anderes Beispiel ist das Recruiting. Auch hier gibt es wenige Synergien, weil Healthineers zum Teil ganz andere Mitarbeiter beschäftigt, zum Beispiel spezialisierte Biochemiker und Molekularbiologen. Es geht darum, Flexibilität und Optionen zu schaffen, damit Healthineers das Geschäft ausbauen kann. Nur um die Stärke in der Bildgebung zu behalten und einen hohen Cash-flow zu erzielen, hätten wir Healthineers nicht ausgliedern müssen. – Hätte Siemens beim Börsengang und der Vorbereitung etwas besser machen können?Besser geht immer und man sollte sich nie zufriedengeben. Aber unterm Strich ist es wirklich gut gelaufen. Die einzelnen Bausteine haben sich nahtlos zu einer Einheit zusammengefügt und es war eine hervorragende Teamarbeit zwischen Siemens und Healthineers. Der Start ist gut gelungen. Jetzt steht Siemens Healthineers hart im Wind, und plötzlich spielen auch exogene Faktoren eine Rolle. Wenn es das Thema Trump und Handelskrieg nicht gegeben hätte, hätte sich das ganze Niveau für uns vielleicht noch eins weiter nach oben schieben lassen. Aber das ist Spekulation. Unterm Strich ist es eine tolle Fallstudie. – Der Streubesitzanteil von 15 % ist relativ gering. Manche Investoren könnte das von einem Einsteigen abhalten.Theoretisch ja, aber bei diesem IPO ist manches anders als im Lehrbuch. Im Streubesitz ist ein Volumen von 4,5 Mrd. Euro. Und die Frage ist, was will Siemens mit dem eigenen Anteil und wer beaufsichtigt das. Unsere Ziele decken sich mit denen der Investoren. Erstens: Das starke Geschäft in der Bildgebung soll stark bleiben. Zweitens: In der Diagnostik soll und wird die Plattform Atellica ein Erfolg werden. Drittens: Die Investoren sagen, es ist überzeugend auf die fünf Langfristtrends zu setzen, die wir in der Strategie 2025 beschrieben haben. Auch halten sie die Kapitalstruktur von Healthineers für richtig und sind wie wir an einer attraktiven Dividende interessiert. – Aber der Überhang aufgrund des hohen Siemens-Anteils belastet den Aktienkurs.Nein. Ein Überhang gäbe es, wenn klar wäre, dass der Mehrheitsaktionär die nächste Tranche von Anteilen verkaufen will. Aber wir haben ja klar gesagt, dass wir kein Interesse daran haben. – Warum hat Siemens den Healthineers-Anteil von 85 % auf die AG und die Beteiligungsverwaltung aufgeteilt? Das hat keine strategische Bedeutung, sondern folgt dem Legal-Step-Plan: Wie sehen die Dinge gesellschaftsrechtlich aus, wie sehen sie steuerrechtlich aus. – Es ist also nicht zu erwarten, dass die Beteiligungsverwaltung ihren Anteil von 17 % nach dem Ende der Haltefrist Mitte September verkauft. Nein.- Healthineers hat 500 Mill. Euro genehmigtes Kapital kurz vor dem Börsengang festschreiben lassen. Wollen Sie damit auf Akquisitionschancen vorbereitet sein?Alle Kapitalmaßnahmen sowie die Kapitalstruktur spiegeln die strategische Wachstumsrichtung wider. Ziel des IPO war, dass die Nettoverschuldung nicht mehr als das Eineinhalbfache des Ebitda beträgt. Obwohl die Verschuldung von Healthineers aufgrund des starken Cash-flow höher sein könnte. Für ein Investment-Grade-Rating gäbe es bestimmt einen Spielraum bis zum Drei- oder Dreieinhalbfachen des Ebitda. —-Das Interview führte Joachim Herr.