GASTBEITRAG

Die EU-Taxonomie droht zu entgleisen

Börsen-Zeitung, 30.11.2019 Die Europäische Union (EU) droht ihr Ziel zu verfehlen, Bankkundinnen und Bankkunden dabei zu helfen, zu verstehen, wie ökologisch und sozial nachhaltig Finanzprodukte tatsächlich sind. Aktuell arbeitet sie dafür an einer...

Die EU-Taxonomie droht zu entgleisen

Die Europäische Union (EU) droht ihr Ziel zu verfehlen, Bankkundinnen und Bankkunden dabei zu helfen, zu verstehen, wie ökologisch und sozial nachhaltig Finanzprodukte tatsächlich sind. Aktuell arbeitet sie dafür an einer Klassifizierung von wirtschaftlichen Aktivitäten nach ihrem Grad der umwelttechnischen Nachhaltigkeit.In derzeitiger Form wird die Klassifizierung jedoch nur nachhaltige Geldanlagen verteuern und nicht die Transparenz bieten, die Kundinnen und Kunden zu nichtnachhaltigen Investitionen benötigen.Die EU hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, das die europäischen Regierungen verpflichtet, ihre jeweilige Wirtschaft bis 2050 klimaneutral zu stellen. Dafür ist es notwendig, Geldströme von Investitionen in fossile Brennstoffe und anderen schädlichen Aktivitäten abzuhalten. Stattdessen braucht es immense Investitionen, beispielsweise in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz von Wohnungen und Büros und in einen nachhaltigen Verkehrssektor. Die EU hat den Aktionsplan für nachhaltige Finanzen aufgelegt, um genau diese Transformation der Realwirtschaft durch ein Umleiten von Geldströmen zu erreichen. Sie zeigt sich bereit, Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel und gegen soziale Ungleichheit zu übernehmen. Der gemeinsame Rahmen des Aktionsplans basiert auf Umwelt- und Sozialkriterien, die Investitionsentscheidungen der Finanzakteure steuern sollen.So viel zu den guten Nachrichten. Jetzt zu den schlechten Nachrichten: Denn leider soll die Taxonomie in ihrer vorgeschlagenen Form nur für Fonds und Investitionen gelten, die bereits heute nachhaltig sind. Dies trifft nur für einen sehr kleinen Teil des Marktes zu. Nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderer Marktbeobachter bestehen etwa 1 bis 2 % des globalen Kapitalmarktes aus Produkten mit einer nachhaltigen Ausrichtung. Die restlichen 98 % bis 99 % sind nicht nachhaltig und würden daher nicht den neuen Taxonomie-Richtlinien unterliegen.Offenbar ist die EU der Ansicht, dass es keine Notwendigkeit für Transparenz über die ökologischen und sozialen Auswirkungen dieser nicht nachhaltigen Investitionen gibt. Die Tatsache, dass jede Investition eine positive oder negative Auswirkung auf Menschen und Umwelt hat, wird vergessen. Banken und Vermögensverwalter entscheiden täglich, welche Wirkung sie mit dem Geld von Anlegerinnen und Anleger erzielen und sind daher per Definition nicht neutral.Gerade jetzt, da die Dringlichkeit der Bewältigung der Klimakrise zunimmt, sollten Banken und Vermögensverwalter eine entscheidende Rolle spielen, um den Temperaturanstieg auf unter 2 Grad zu begrenzen. Sie sollten keine neuen fossilen Aktivitäten mehr finanzieren und das Divestment bestehender fossiler Vermögenswerte beschleunigen. Nach den aktuellen EU-Plänen können jedoch insgesamt 29,7 Bill. Euro an verwalteten Vermögen in Europa weiter fossile Brennstoffe und andere schädliche Geschäfte finanzieren, ohne dass sie transparent gemacht werden. Es ist für öffentliche Interessengruppen wie Sparerinnen und Sparer, für Investoren, Regierungen und Aufseher schwer nachvollziehbar, was genau die Fonds finanzieren und wie sie zur Klimakrise beitragen. Nachhaltige Akteure bestraftEin weiterer gravierender Effekt der Taxonomie in ihrer jetzigen Form betrifft den kleinen Teil der heute schon nachhaltigen Angebote: Für sie wird dadurch ein Regelwerk geschaffen, das den Verwaltungsaufwand und damit die Kosten für Investoren erhöht, die einen positiven Einfluss auf die Welt ausüben wollen. Wir glauben, dass die EU gleiche Wettbewerbsbedingungen mit ähnlichen Regeln für alle Finanzakteure schaffen muss.Ein Klassifizierungssystem muss für jeden Anbieter von Finanzprodukten gelten und das Gesamtbild zeigen. Orientieren muss sich die Klassifizierung am Pariser Klimaabkommen. Dieser Transformationsbeitrag muss deutlich werden. Die Taxonomie sollte Institutionen, die bereits hart an der Nachhaltigkeit arbeiten, nicht ungerecht bestrafen.Die Verantwortlichen in Europa müssen eine vollständige Taxonomie entwerfen, die alle Finanzinstitute verpflichtet, die ökologischen und gesellschaftlichen Risiken aller Fonds und Kreditgeschäfte zu identifizieren und darüber zu berichten. Nur dann wird die EU den notwendigen Rahmen schaffen, damit der Finanzsektor seine volle Verantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit wahrnehmen kann. Georg Schürmann, Geschäftsleiter der Triodos Bank in Deutschland