Die EZB baut ihre eigene Zins-Benchmark

Geldmarktmeldungen der Institute dienen als Basis - Notenbank durchkreuzt Bemühungen des privaten Sektors um eine Reform

Die EZB baut ihre eigene Zins-Benchmark

Die EZB schaltet sich in die Bemühungen um eine Reform der Zins-Benchmark-Sätze ein. Sie wird einen neuen Übernachtsatz einführen, wie am Donnerstag überraschend publik wurde.Von Bernd Neubacher, FrankfurtPolitik, Aufsicht und Notenbank in Europa ziehen in der Hängepartie um eine Reform der Zins-Benchmarks Eonia und Euribor die Reißleine. Die Europäische Zentralbank (EZB) kündigte am Donnerstag überraschend die Veröffentlichung einer neuen Benchmark für Übernachtzinssätze an. Diese solle als “Backstop” für Zinssätze im privaten Sektor fungieren, teilte die Notenbank mit. Der Übernacht-Benchmark sollen ausschließlich Daten zu realen Transaktionen zugrunde liegen, welche Banken der EZB im Zuge ihrer geldmarktstatistischen Berichte melden.Zugleich informierten die EZB, die EU-Kommission, die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA sowie die belgische Aufsichtsbehörde FSMA über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die einen Referenzsatz für risikofreie Übernachtausreichungen entwickeln soll, als “Basis einer Alternative” zu den momentanen Zins-Benchmarks. Den Vorsitz im Gremium soll ein Repräsentant des privaten Sektors übernehmen, das Sekretariat stellt die EZB. Sobald die Arbeitsgruppe eine Empfehlung ausgesprochen hat, soll sie Fragen eines reibungslosen Übergangs auf diese Benchmark klären. Es wäre keine Überraschung, favorisierte die Runde den Satz, den die EZB nun bis 2020 entwickelt haben will.Die EZB habe sich entschlossen zu handeln, da Benchmark-Sätze eine wichtige Ankerrolle für Finanzmarktkontrakte spielten, hieß es. Über Details des neuen Übernachtsatzes will sie im kommenden Jahr informieren. Eine Konsultation der Marktteilnehmer ist geplant. Mit ihrer Initiative nehmen EZB, EU-Kommission und Aufseher die Reform der im Zuge der Finanzkrise in Verruf geratenen Zins-Benchmarks nach längerem Zögern in die eigene Hand. Die Zeit drängt. Anfang kommenden Jahres tritt die nach dem Skandal um Zinsmanipulationen verabschiedete EU-Benchmark-Verordnung in Kraft. Sie schreibt vor, dass die Benchmarks bis spätestens Ende 2019 weitestmöglich auf realen Transaktionen beruhen müssen.Bemühungen des privaten Sektors um eine Reform haben bisher nicht gefruchtet. Das für die Euribor-Berechnung verantwortliche European Money Markets Institute (EMMI) stellte nach einem Testlauf im Mai fest, “dass eine voll auf Transaktionen basierende Methodik für Euribor mangels genügender Transaktionen nicht möglich ist”, wie Generalsekretär Guido Ravoet der Börsen-Zeitung kürzlich berichtete. Ende Juli hatte aus ähnlichen Gründen schon die britische Finanzaufsicht das Ende der angelsächsischen Benchmark Libor ausgerufen. Am Libor hängen weltweit Finanzprodukte mit einem Volumen von ungefähr 350 Bill. Euro, am Euribor von mehr als 180 Bill. Euro. Die Tage sind gezähltÜberlegungen des EMMI, behelfsweise auf Preise ähnlicher Transaktionen sowie als letztes Mittel doch wieder auf Schätzungen zurückzugreifen, haben EZB, EU-Kommission und Aufseher nun durchkreuzt. Zwar betont die Notenbank, solange Marktteilnehmer damit zufrieden seien, Eonia als Basis ihrer Kontrakte zu nutzen, sollten sie damit fortfahren. Klar ist indes: Wenn die EZB einen neuen Referenzsatz einführt, dürften die Tage des Eonia und mittelbar auch der daraus abgeleiteten Euribor-Sätze für längere Ausreichungen auf Sicht gezählt sein.Dies bedeutetet nichts weniger, als dass sich der Referenzpunkt für zahllose Zinsprodukte sowie Swaps und Derivatekontrakte verändern wird. Damit verbunden sind noch völlig offene Fragen des Übergangs auf die neue Benchmark, entsprechender Fristen sowie des Bestandsschutzes. Die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) ließ eine Anfrage wegen einer Stellungnahme unbeantwortet.Eine Berechnung auch längerfristiger Referenzsätze lehnt die EZB dabei ab. Mangels Liquidität erfordere ihre Kalkulation Expertenbewertungen. Diese könnten nicht von einer Notenbank kommen, weil sie jeweils als geldpolitischer Fingerzeig gewertet würden, heißt es.Im Markt wurde der Vorstoß der Notenbank derweil begrüßt. Viele Marktteilnehmer hätten sich gewünscht, dass die Zentralbank mehr Verantwortung übernehme, hieß es. Da dem Eonia für die EZB und ihrer Steuerung der Geldpolitik eine große Bedeutung zukomme, sei es folgerichtig, dass sie dort angesetzt habe. Die Deutsche Bank und die DZ Bank äußerten sich auf Anfrage nicht. Die beiden Institute sind die einzigen deutschen Häuser, die im sogenannten Euribor-Panel jener Banken, die Sätze zur Kalkulation der Benchmarks melden, verblieben sind. Nicht zuletzt angesichts von Rechtsrisiken hat sich die Branche dort sukzessive verabschiedet. Von 44 Banken im Jahre 2012 ist nicht einmal die Hälfte übrig geblieben.Im Falle der neuen Übernacht-Benchmark löst die EZB das Problem einer mangelnden Datenbasis durch Zugriff auf ihren eigenen Datenhaushalt. Im Sommer vergangenen Jahres hatte sie damit begonnen, von den Banken tägliche Daten über Wertpapierpensionsgeschäfte vom Vortag sowie über die im Euribor getätigten Geschäfte einzuholen. Im Markt hieß es bisher, damit habe sie Banken ermutigen wollen, diese Daten über eine Schnittstelle zugleich dem EMMI zuzuleiten. Tatsächlich wird daraus nun die Benchmark der EZB. 52 Banken, nach Bilanzsumme ausgewählt, müssen ihr bereits ihre entsprechenden Daten liefern. Die Zahl dürfte bald steigen.—– Wertberichtigt Seite 8