Die Flut der Nachhaltigkeit

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 30.11.2019 Eine gewöhnliche Woche im Zeitalter der Nachhaltigkeit: Am Montag teilt die Commerzbank mit, ihre Aktienanalysen künftig um Nachhaltigkeitsdaten zu ergänzen. Am Dienstag kündigt die...

Die Flut der Nachhaltigkeit

Von Jan Schrader, FrankfurtEine gewöhnliche Woche im Zeitalter der Nachhaltigkeit: Am Montag teilt die Commerzbank mit, ihre Aktienanalysen künftig um Nachhaltigkeitsdaten zu ergänzen. Am Dienstag kündigt die französische Großbank BNP Paribas den vollständigen Ausstieg aus der Finanzierung der Kohleindustrie an. Am Mittwoch erklärt BayernInvest, Fondstochter der BayernLB, dass sie in ihren Analysen künftig einen CO2-Fußabdruck berechnet, der auch Rückschlüsse für ein Portfolio zulassen soll. Am Donnerstag verleiht das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG), eine Initiative unter anderem aus Banken, Fondshäusern und zivilgesellschaftlichen Organisationen, das zugehörige Fondssiegel für 104 nachhaltige Fonds – und zeigt sich über einen starken Zuwachs der Bewerberzahl erfreut. Am Freitag hebt die Kölner Fondsadresse Flossbach von Storch erneut eine Analyse hervor, in der sie abweichende Bewertungen von Ratingagenturen beklagt. Am Samstag ist endlich Wochenende.Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Fondsgesellschaft einen Nachhaltigkeitsfonds lanciert, irgendeine Ratingagentur den Einfluss nachhaltiger Faktoren kommentiert, sich irgendeine Konferenz dem Thema der Nachhaltigkeit widmet oder irgendein Politiker Nachhaltigkeit beschwört. Das passt zum Zeitgeist: Erst am Freitag gingen in Deutschland Zehntausende für mehr Klimaschutz auf die Straße, die globale Erwärmung dominiert die Debatte. Diverse Kriterien der Finanzbranche sollen außerdem weitere Umweltthemen sowie Sozialaspekte und die Unternehmensführung abdecken. Die oft gescholtene Finanzbranche identifiziert sich mit einem neuen Leitbild.Auch die Regulierung passt sich an: Neue Offenlegungspflichten, Prinzipien für das Risikomanagement, Vorgaben für die Finanzberatung, ein Klassifizierungssystem für grüne Wirtschaftszweige. Etliche Gesellschaften haben plötzlich nachhaltige Produkte im Köcher, oft verbunden mit dem Hinweis, in dem Segment schon lange aktiv zu sein. Ein Wettbewerb um die originellste Idee und den größtmöglichen zur Schau gestellten Elan hat eingesetzt, dem sich niemand entziehen kann. Euphorie prägt Erwartungen Bleibt zu hoffen, dass die Euphorie nicht zu überdehnten Erwartungen führt. Nachhaltige Kriterien können Rückschlüsse über die Belastbarkeit von Geschäftsmodellen und über Risiken ermöglichen. Doch über die Vorzüge all der neu aufgesetzten Nachhaltigkeitsstrategien lässt sich streiten, wenn doch absehbar bald fast jeder Finanzprofi danach handelt. Nichtregierungsorganisationen, Nachhaltigkeitsfirmen der ersten Stunde und politische Akteure schreiben der Branche derweil eine lenkende Funktion der Kapitalströme zu. Dabei besteht die Aufgabe von Geldgebern doch darin, Geschäftsmodelle zu bewerten und auf Preissignale zu reagieren. Ändert sich die Ausgangslage von Unternehmen nicht, wird auch die Finanzbranche kein Kapital im großen Stil “lenken”. Schlimmstenfalls könnte das nachhaltige Finanzwesen sogar ein Feigenblatt sein für mangelnden Einsatz politischer Akteure im Klimaschutz. Und Privatleute sollten mit Blick auf Wirkung wohl primär ihren Konsum überdenken und Geld für ausgewählte Vorhaben spenden, anstatt sich von ihrem Ersparten allzu viel Gutes zu erhoffen.Irgendwann werden neue Pflichten und Analysen Standard sein, die Frage der Nachhaltigkeit trockene Routine. Erst dann wird sich zeigen, was hängen bleibt von der Diskussion. Im besten Fall schwappt eine Sensibilität für ethische Fragen dauerhaft auf Unternehmen und Privatleute über. Die aktuelle Frequenz der Meldungen ist vermutlich nicht nachhaltig – mehr Sensibilität für diverse ethische Belange hoffentlich schon.——Mittlerweile vergeht kein Tag mehr ohne irgendeine Nachricht zur nachhaltigen Geldanlage.——