„Die Fondsbranche ist weiter eine Wachstumsbranche“
Im Interview: Hans Joachim Reinke
„Die Fondsbranche ist weiter eine Wachstumsbranche“
Der Vorstandschef der Union Investment übers laufende Geschäft, zunehmende Risiken, notwendige Investitionen und die Fokusgruppe private Altersvorsorge
Union Investment hat in der ersten Hälfte 2023 unterm Strich 5,7 Mrd. Euro Neugeschäft gemacht. Der Nettoabsatz mit Institutionellen lag leicht im Minus, mit Privatanlegern deutlich im Plus. Hans Joachim Reinke ist „sehr zufrieden“. Denn über einen positiven Nettoabsatz berichten, „das können nur wenige“.
Herr Reinke, wie läuft das Geschäft von Union Investment?
Vor dem Hintergrund des schwierigeren Umfelds bin ich mit den Zahlen von Union Investment für das erste Halbjahr sehr zufrieden. Wir erleben ein starkes Momentum.
Wieso ist das Umfeld schwieriger geworden?
Der Assetmanagement-Branche hat anderthalb Dekaden die Sonne ins Gesicht geschienen. 15 Jahre Zinsen runter, 13 Jahre Aktien hoch, da war es relativ einfach für die Branche.
Und jetzt?
Das Umfeld hat sich verändert. Wir haben in den vergangenen Monaten den stärksten Zinsanstieg seit 60 Jahren erlebt und die höchste Inflation seit 1949.
Wie ist das Neugeschäft gelaufen?
Wir können für das erste Halbjahr über einen positiven Nettoabsatz berichten – und das können nur wenige. Ausweislich der Zahlen des Fondsverbands BVI für die ersten fünf Monate 2023 gab es unter den zehn größten deutschen Investmentgesellschaften lediglich drei, die beim Neugeschäft im Plus lagen: HSBC Trinkaus, Union Investment und die Deka.
Wie groß war Ihr Neugeschäft?
Per 30. Juni haben wir 5,7 Mrd. Euro Neugeschäft gemacht. Im Privatkundengeschäft haben wir ein Plus von 6,2 Mrd. Euro erzielt. Das ist unwesentlich weniger als zwölf Monate zuvor, da waren es 8,1 Mrd. Euro, wofür ich mich herzlich bei unseren Partnerbanken bedanke. Und diese 6,2 Mrd. Euro im Privatkundengeschäft entsprechen fast dem Nettoabsatz der gesamten Branche.
Was sind die Treiber des Geschäfts mit den privaten Kunden?
Erstens das anhaltende Interesse der privaten Kunden am Aktiensparen, zweitens das Interesse an einer nachhaltigen Anlage des eigenen Vermögens, also ESG. Und drittens erleben wir mit den steigenden Zinsen eine Renaissance der Rentenfonds.
Wie sieht es bei offenen Immobilienfonds aus?
Auch die offenen Immobilienfonds sind im Plus, aber mit etwas weniger Schwung als im vergangenen Jahr. Da kämpfen wir gegen die relative Attraktivität von Bundesanleihen. Wenn zehnjährige Bundesanleihen wieder 2,5% abwerfen, dann wird die Nachfrage nach Immobilienfonds verhaltener.
Soweit die Privatkunden. Und wie läuft das Geschäft mit den Institutionellen?
Im Geschäft mit institutionellen Kunden haben wir in den ersten sechs Monaten dieses Jahres beim Nettoabsatz mit 0,5 Mrd. Euro leicht im Minus gelegen.
Woran lag das?
Wir haben ja drei institutionelle Kundengruppen: die Genossenschaftsbanken mit ihren Einlagen, verbundfremde deutsche Pensionskassen und Versicherungen und schließlich institutionelle Investoren im Ausland. Die Volks- und Genossenschaftsbanken haben Gelder abgezogen – entweder, weil sie Liquidität brauchten oder weil die Risikobudgets erschöpft waren.
Wie lautet Ihr Ausblick für die kommenden Monate und Jahre?
Die gute Nachricht lautet: Die Fondsbranche ist nach wie vor eine Wachstumsbranche. Aber der Wachstumswinkel wird geringer. Und: Die Risiken sind größer geworden. Aber die Chancen sind noch immer größer als die Risiken.
Was macht Sie zuversichtlich?
Alle Trends, die die Assetmanagement-Branche treiben, sind weiterhin intakt. Aktiensparen bleibt auf hohem Niveau, auch in Zusammenhang mit der Vorsorge fürs Alter. Denn der Zins ist zwar zurück, aber nur nominal, nicht real. Bei 6,2% Inflation ist es so schwierig wie schon lange nicht mehr, Werte zu erhalten oder zu steigern. Deshalb ist der zweite Treiber die Vermögensstrukturierung. Der dritte Treiber ist Nachhaltigkeit. Und davon profitieren gerade wir als aktiver Assetmanager.
Warum gerade aktive Manager?
Nachhaltige Geldanlage kann nur gelingen, wenn Sie wirklich eine Auswahl treffen zwischen den Titeln, also Stockpicking betreiben. Und nicht, wenn Sie auf ETF setzen.
In den vergangenen Jahren haben Sparpläne geboomt. Wie ist das jetzt?
Die Zahl der Sparpläne entwickelt sich weiter nach oben.
Wie lautet Ihre Prognose für das wirtschaftliche Umfeld?
Die Lage ist nicht gut, sie ist aber auch nicht schlecht. Erwartet wird in Deutschland in diesem Jahr ein Bruttoinlandsprodukt 0,3% unter Vorjahr, 2024 dürften es dann wieder plus 0,9% sein. Das Tal dürfte also wieder langsam durchschritten sein. Wir erwarten mittelfristig wieder mehr Wachstum. Aber auch mehr Zins und höhere Volatilität.
Wie lautet Ihr Ausblick für die Preisentwicklung?
Bei der Inflation haben wir den Höhepunkt gesehen. Aber die niedrigen strukturellen Niveaus der vergangenen Jahre werden wir nicht mehr erleben.
Unterm Strich: Wie sieht Ihr Ausblick für das Umfeld aus?
Wenn ich heute gefragt werde, wird das Umfeld besser oder schlechter, dann würde ich nicht das Kreuzchen machen bei „Es wird besser“.
Was heißt diese Aussicht für Ihr eigenes Haus?
Wir haben uns im vergangenen Herbst aus einer Position der Stärke hinaus die Frage gestellt, was wir tun müssen. Deshalb haben wir im Januar ein Projekt lanciert, das heißt Fit for Future. Wir sind nun in der Umsetzung.
Worum geht es im Kern?
Wir müssen uns die notwendigen Investitionen selbst verdienen – die Investitionen für Digitalisierung, für Nachhaltigkeit und für Alternatives. Deshalb haben wir die Frage gestellt: Was trägt uns in die Zukunft und was nicht? Und das, was uns nicht trägt, müssen wir reduzieren.
Was bedeutet das konkret?
Wir haben 150 Mill. Euro Ergebnisverbesserung identifiziert, voll wirksam ab 2026 per annum. Und es sollen auch 270 Stellen abgebaut werden, aber nicht über Kündigungen, sondern sozialverträglich über Fluktuation und Altersteilzeit. Und wir übertragen den Mitarbeitern, die in Aufgabenbereichen tätig sind, die nicht auf die Zukunft einzahlen, neue Aufgaben, die wichtig für uns sind. Das heißt: Wir legen ein Effektivitätsprogramm auf, das über mehr Erträge und weniger Kosten Spielraum für Investitionen schafft.
Können Sie die Investitionen, die Sie vor Augen haben, konkretisieren?
Ja. Bei der Investition in Digitalisierung geht es zum Beispiel darum, dem Kunden in einer App alle Angebote zu bieten – und zwar End-to-end. In Sachen Nachhaltigkeit werden wir in Infrastruktur, in Daten und in deren Veredelung investieren. Und beim Thema Alternatives denken wir über anorganisches Wachstum nach.
Lassen Sie uns über das politische Umfeld sprechen: Welche Erwartungen und welche Wünsche haben Sie an die wirtschaftspolitischen Entscheider?
Ich bin überzeugt, dass die Bürger Antworten auf drei Fragen suchen: Wie geht das mit einer autarken Energieversorgung weiter? Wie ist es um unsere Sicherheit bestellt? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz und der Industriestandort? Sowohl die Regierung als auch die Opposition haben darauf noch keine Antworten. Wir sollten darauf aber rasch Antworten geben.
Welche Gedanken haben Sie dazu?
Eine autarke Energieposition wird Geld kosten, das sollte man den Bürgern sagen. Zudem sollten wir die Frage beantworten, wie wir künftig mit China handeln. 90% der Antibiotika kommen aus China oder Indien. 90% unserer Chips kommen aus Taiwan. Das macht mich nachdenklich.
Wie beurteilen Sie die jüngsten Entwicklungen beim Thema Altersvorsorge, insbesondere die Arbeit der Fokusgruppe?
Vorneweg möchte ich der Arbeitsgruppe unter Staatssekretär Florian Toncar ein großes Dankeschön sagen, denn in den zwei vorherigen Legislaturperioden ist gar nichts passiert. Ein Dankeschön auch an den BVI und Hauptgeschäftsführer Thomas Richter, der vieles vorangetrieben hat. Was die Ergebnisse der Vorschläge angeht, die begrüßen wir, denn da stecken zwei Themen drin: Zukunftsfähigkeit und Flexibilität.
Können Sie das noch genauer erklären?
Wir begrüßen, dass es keinen Staatsfonds gibt. Wir begrüßen, dass es eine evolutionäre Weiterentwicklung von Riester gibt – egal, ob das dann noch Riester heißt oder nicht. Wir begrüßen die Standardisierung und die Garantieabsenkung. Und die Flexibilität in der Auszahlphase. Denn die Menschen wollen flexibel sein, ob sie sich das Geld auszahlen lassen oder verrenten lassen.
Was sollte nun geschehen?
Was wir uns jetzt wünschen ist, dass es schnellstmöglich ins Gesetzgebungsverfahren geht und im vierten Quartal oder spätestens im ersten Quartal 2024 umgesetzt wird.
Sie haben vorhin Nachhaltigkeit angesprochen. Hat die seit vorigem Sommer obligatorische Präferenzabfrage die Nachfrage nach ESG-Produkten zusätzlich belebt?
Nein. Die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage, dieses Unwort des vergangenen Jahres, hat keinen Einfluss auf eine
Anlageentscheidung. Die nachhaltige
Anlage ist dadurch nicht angeschoben worden.
Wächst denn die Nachfrage nach ESG-Produkten noch?
Ja, aber nicht mehr so stark. Der Anteil von ESG am gesamten Fondsneugeschäft hat deshalb leicht abgenommen.
Warum?
Das hat mit der Performance des vergangenen Jahres zu tun. Denn gerade die Aktien sind gut gelaufen, die im Kontext der Transformation noch ganz am Anfang stehen und nicht gerade zu dem zählen, was sich viele Kunden als nachhaltiges Investment vorstellen. Zum Beispiel Rüstung oder Atomkraft. Aber die starke Kursentwicklung dieser Titel ist ein Ausreißer, deswegen sehe ich den Trend zur nachhaltigen Geldanlage wenngleich schwächer, so doch keineswegs gebrochen.
Was steht für Union Investment im Zentrum nachhaltiger Investments?
Unser Ansatz ist es, aus braunen Unternehmen grüne zu machen. Und dieser Ansatz ist nach meiner Überzeugung viel tragfähiger, als aus einem heute schon grünen Unternehmen ein dunkelgrünes zu machen. Aber das passt nicht in jedem Fall zur EU-Regulierung.
Inwiefern?
Wenn die neue EU-Richtlinie zur Kennzeichnung kommt, dann dürfte eine Investmentgesellschaft in Nachhaltigkeitsfonds nur Werte hineinnehmen, sofern der Wert schon grün ist. Das bedeutet, dass man in 98% der Titel des MSCI nicht mehr investieren dürfte. Gut gemeint bedeutet in diesem Fall nicht unbedingt gut gemacht.
ESG bleibt ein großes Thema für die Fondsbranche?
ESG wird sogar das dominierende Thema der nächsten Dekade sein. Für institutionelle Investoren ist das schon heute der entscheidende Faktor beim Fondserwerb. Es ist auch gut so, denn es kommen große Aufgaben auf uns zu. Und es wäre eine Illusion zu glauben, dass der Staat die Aufgaben selbst finanzieren kann.
Verfügen die Investmentgesellschaften denn über die notwendigen Daten für eine Auswahl der geeigneten Titel?
In den liquiden Assetklassen sind wir, was die Daten betrifft, auf einem guten Weg. Wir haben ein breites Datenangebot bei den large caps. Schwierig wird es bei den kleinen und mittleren Werten. Diese Lücke muss geschlossen werden. Kon-
traproduktiv wirkt in diesem Zusammenhang, dass mit den European Sustainability Reporting Standards eine zu-
sätzliche Lücke entstehen wird. Denn da soll den Unternehmen ja vorgegeben werden, nur die wesentlichen Daten zu berichten.
Das Interview führte Detlef Fechtner.