Die Formatierung der europäischen Kapitalmärkte
Von Detlef Fechtner, BrüsselAch ja, die USA! Manchmal klingt es fast sehnsuchtsvoll, wenn europäische Spitzenbeamte die Finanzmärkte diesseits und jenseits des Atlantiks vergleichen. “Zieht man die USA als Vergleich heran, so erhalten mittelständische Unternehmen dort fünfmal so viel Mittel auf den Kapitalmärkten wie in der EU”, heißt es im Grünbuch der EU-Kommission über die Schaffung einer Kapitalmarktunion. Und weiter: Würden die Risikokapitalmärkte in Europa eine ähnliche Tiefe aufweisen, wären zwischen 2008 und 2013 “sage und schreibe” 90 Mrd. Euro für die Unternehmensfinanzierung verfügbar gewesen. “Sage und schreibe” – das tönt nach Neid und nach Fassungslosigkeit darüber, dass es Europa partout nicht gelingen will, in vergleichbarem Maße marktnahe Investments zu mobilisieren – vor allem im Osten der EU.Die EU-Kommission nimmt jetzt einen neuen Anlauf. Die Kapitalmarktunion ist eines der Kernelemente des Arbeitsprogramms der Juncker-Kommission. Und wenn man dem fachzuständigen EU-Kommissar Jonathan Hill trauen darf, dann genießt sie innerhalb des Kollegiums sehr breite Unterstützung. Um die Idee der Kapitalmarktunion auch außerhalb des Brüsseler Hauptquartiers der EU-Behörde populär zu machen, tingelt der Brite seit Wochen auf Veranstaltungen aller möglichen Institute und Verbände und wirbt für allerlei Überlegungen, die den Zugang zu den Märkten vereinfachen sollen. “Viele Schritte werden nötig sein, die einzeln betrachtet vielleicht bescheiden sein mögen, in der Summe jedoch große Wirkung entfalten werden”, heißt es im Vorwort des Grünbuchs, also jenes Papiers, in dem die EU-Kommission ihre Ideen skizziert und bis Mai Stellungnahmen und Ratschläge des interessierten Fachpublikums abfragt.Was freilich nur heißt, dass es nicht eine Wunderwaffe gibt, die Sparer zu Anlegern und Kreditnehmer zu Anleiheemittenten konvertieren lässt. Was aber nicht bedeutet, dass die EU-Kommission keine klare Vorstellung hätte. Ganz im Gegenteil: Die EU-Behörde scheint genau zu wissen, was sich Kapitalgeber und die kapitalsuchende Wirtschaft wünschen: Standardisierung. An zahllosen Stellen des Grünbuchs schlägt die EU-Behörde standardisierte Produkte oder standardisierte Verfahren vor, die Engagements berechenbarer machen sollen. Die EU-Kommission setzt sozusagen auf die Formatierung des Kapitalmarkts. Neue StandardsWie könnte man zum Beispiel den Markt für Verbriefungen beleben? Durch einen europäischen Rahmen für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen, die Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit für diese Wertpapiere sicherstellen. Wie könnte man Privatplatzierungen attraktiver machen? Na klar, durch standardisierte Verfahren. Wie könnte man Mittelständler transparenter machen, ohne ihnen aufwendige buchhalterische Vorgaben aufzuerlegen? Selbstverständlich durch Erarbeitung eines vereinfachten, einheitlichen und qualitativ hochwertigen Rechnungslegungsstandards, quasi einen IFRS light.Und so geht es fast im kompletten Grünbuch weiter. Unternehmensanleihen? “Eine stärkere Standardisierung der Emission von Unternehmensschuldverschreibungen könnte der Entwicklung eines stärker liquiden Sekundärmarkts für Unternehmensanleihen zugute kommen.” Covered Bonds? “Die EU-Kommission wird im Jahr 2015 eine Konsultation über die mögliche Gestaltung eines EU-Rahmens für gedeckte Schuldverschreibungen durchführen.” Kredit-Scoring? “Ein gemeinsamer Mindestsatz vergleichbarer Informationen für Kreditauskünfte und Kreditbewertung könnte mehr Finanzmittel für Klein- und Mittelunternehmen mobilisieren.” Sogar die Standardisierung der Altersvorsorge wird von der EU erwogen. “Hier stellt sich die Frage, ob die Einführung eines standardisierten Produkts unter Beseitigung der Hindernisse für den grenzüberschreitenden Zugang den Binnenmarkt für die persönliche Altersvorsorge stärken würde.” Die Debatte ist eröffnetFairerweise darf dreierlei nicht unerwähnt bleiben. Erstens, dass es sich bei einem Grünbuch nicht um eine abschließende Vorgabe, sondern um einen Impuls für eine Debatte mit allen Beteiligten handelt – die EU-Kommission also noch nicht in allen Fällen entschieden hat, die Überlegungen tatsächlich in dieser Form weiterzuverfolgen. Zweitens, dass Hill und seine Mitstreiter offenlassen, ob sie Harmonisierung und Standardisierung durch Richtlinien und Verordnungen erzwingen wollen. “In vielen Fällen wird es Sache des Markts sein, Lösungen zu finden”, heißt es im Grünbuch. “Rechtsvorschriften sind womöglich nicht immer eine geeignete Antwort.” Drittens schreibt die EU-Kommission, dass Standardisierung nicht immer des Rätsels Lösung darstellt und auch Nachteile mit sich bringt. Die Debatte über die Kapitalmarktunion hat gerade erst begonnen.