Die Jagd auf die Macht
Der größte Wirtschaftsprozess der Nachkriegsgeschichte – mindestens – startete im April in München. So wenigstens lautete damals die Einschätzung eines Teils der Öffentlichkeit, denn die Besetzung versprach ein imposantes Schauspiel. Mit der Deutschen Bank steht der Primus des hiesigen Kreditgewerbes vor Gericht. Angeklagt sind unter anderem alle Vorstandschefs der Jahre 1997 bis 2012, außerdem muss sich mit Jürgen Fitschen ein amtierender Co-Vorstandsvorsitzender verantworten. Es wird ein Urteil gesprochen werden auch über die Aufsichtsratschefs der Jahre 2002 bis 2012. Alle Manager sind zur Anwesenheit verpflichtet, so ist es in Strafprozessen üblich. Eine dramatische Inszenierung also. Zur Sommerpause allerdings wird klar: Der angebliche Mega-Prozess, so relevant er für das Quintett der Angeklagten bleibt, versandet. Was bleibt nach den ersten zwölf Verhandlungstagen?In der Öffentlichkeit ist Desinteresse die dominierende Wahrnehmung. Dies hat seinen Grund. Die Vorgänge sind so komplex und liegen teils so lange zurück, dass die Grenzen des Verständnisses schnell erreicht sind. Eine Steuerhinterziehung ist eben einfacher zu erfassen und individuell-moralisch klar zu beurteilen. Die Wirtschaftsstrafkammer dagegen muss ermitteln, wie das Quintett im Zivilprozess vor dem Oberlandesgericht München agierte, der letztlich zu dem 925-Mill-Euro-Vergleich zwischen Deutscher Bank und Kirch-Gruppe führte. Wenn die Manager sich zusammengetan haben, um betrügerisch einen Schadenersatzanspruch von Kirch abzuwehren und so das Oberlandesgericht (OLG) “hinter die Tanne” zu führen, dann drohen Haftstrafen.Die Angelegenheit wird noch intransparenter, weil die Deutsche-Bank-Repräsentanten auch dann strafbar sind, wenn entgegen dem OLG-Urteil mangels Schaden eigentlich gar kein Anspruch von Kirch beständen hätte – aber die Angeklagten dies befürchteten und deshalb vor Gericht falsche Tatsachen behaupteten. Doch wie ist zu ermitteln, was die Angeklagten glaubten? Das Gericht kann den Managern nicht in den Kopf schauen, daher soll die innere Sichtweise aus Schriftstücken und Zeugenaussagen abgeleitet werden.Das Urteil steht noch aus, doch der Prozessverlauf nährt Zweifel an der These der Staatsanwaltschaft. Ihrer Pflicht, die Schuld der Angeklagten ohne einen vernünftigen Zweifel zu belegen, ist sie nicht nachgekommen. Es wirkt verzweifelt, wenn die Ermittler – wie im Juli geschehen – der Deutschen Bank ein Schreiben mit der Forderung schicken, zusätzliche Vorstandsakten aus dem Zeitraum nach September 2013 herauszurücken. Aus den Details der Zustimmung zu dem 925-Mill.-Euro-Vergleich soll offenbar abgeleitet werden, dass die Vorstände einst vor dem OLG an die Berechtigung der Schadenersatzforderung glaubten. Durch die Brust ins Auge, nennt der Volksmund derlei Verrenkungen. Der abenteuerliche Argumentationsweg zeigt: Es fehlt die Tatwaffe. Ob auch die Tat fehlt, muss das Gericht beurteilen.Der Spruch der Wirtschaftsstrafkammer wird allerdings nicht klären, in welcher wirtschaftlichen Situation die Kirch-Gruppe Anfang 2002 und ob die Insolvenz unausweichlich war – kurz: Ob das OLG ein Fehlurteil gefällt hat. Dies schmerzt, schließlich ist zu offensichtlich, dass nach dem 11. September 2001 der Wert jeglicher Assets gefährdet war, der Kirch-Gruppe das Wasser bis zum Hals stand, ein geplanter Börsengang geplatzt war und Springer mit dem Ziehen einer Option die Kirch-Liquiditätsnöte verstärkte. Aber die Deutsche Bank hat sich mit dem Vergleich selbst zuzuschreiben, auf eine Überprüfung des OLG-Spruchs verzichtet zu haben.Ein anderer Aspekt des früheren Verfahrens vor dem Oberlandesgericht verdient dessen ungeachtet einen zweiten Blick. Die zusammenfassende Protokollierung beispielsweise von Zeugenaussagen durch die Richter ist teils so irreführend, dass die Frage aufkommt, ob noch Unfähigkeit oder schon Willkür der Grund dafür ist. Im aktuellen Prozess werden die Angeklagten nur deswegen nicht an diesen Gerichtsprotokollen gemessen, weil Stenografen im Auftrag von Kirch und Deutscher Bank zusätzlich wortgenau mitschrieben. Das Quintett profitiert davon. Der Anspruch allerdings muss sein, dass ein Gericht korrekt protokolliert.Was also bleibt? Ein ungutes Gefühl. Früher mag die Justiz allzu willfährig zurückgeschreckt sein vor den Mächtigen und Reichen. Heutzutage ist das Jagen großer Namen zum karrierefördernden Sport verkommen. Mehr Verhältnismäßigkeit würde Deutschland guttun.——–Von Michael FlämigDie Tatwaffe fehlt im Prozess gegen Manager der Deutschen Bank. Die Ermittler können ihre These nicht belegen. Das Verfahren wirkt unverhältnismäßig.——-