Die Kapitalmarktunion ist Zukunftsmusik

Laut einer EZB-Studie sind die Finanzmärkte der Eurozone noch immer fragmentierter als vor der Krise - Bedeutung der Banken sinkt

Die Kapitalmarktunion ist Zukunftsmusik

Investment- und Pensionsfonds spielen eine immer wichtigere Rolle für die Eurozone. Wie eine Studie der Europäischen Zentralbank aufzeigt, sind die Finanzmärkte in weiten Teilen national organisiert. Dynamisch entwickelt hat sich der Technologiesektor: Jedes fünfte Fintech weltweit hat seinen Sitz in Euroland. lee Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) macht sich für den Ausbau der Kapitalmarktunion stark. Anlässlich der Veröffentlichung eines Berichts zur Struktur des Finanzsystems der Eurozone sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos, dass der Neustart der Kapitalmarktunion in den kommenden Jahren Priorität haben sollte. Haushalt, Unternehmen und Regierungen würden von breiteren und tieferen Kapitalmärkten profitieren, hieß es in der Erklärung weiter. Wie aus dem von der EZB aus verschiedenen Marktindikatoren berechneten Index der Finanzmarktintegration hervorgeht, sind die Finanzmärkte der Währungszone noch immer stärker fragmentiert als vor der Finanzkrise (siehe Grafik).Was die eigenen Publikationen betrifft, bemühen sich die Ökonomen der EZB darum, die Fragmentierung einzudämmen. So wurden für den jetzt veröffentlichten Bericht “Financial Integration and Structure” den Angaben zufolge zwei Publikationsreihen zusammengelegt, deren letzte Ausgaben im Oktober 2017 (“Report on financial structures”) und im Mai 2018 (“Financial integration in Europe”) erschienen.Wie es in dem Bericht heißt, sind die Finanzmärkte im vergangenen Jahr zwar weiter zusammengewachsen. Nach wie vor dominierten jedoch nicht marktfähige Finanzinstrumente das Geschehen. Der Anteil börsennotierter Wertpapiere an der Gesamtfinanzierung der Länder des Euro-Währungsgebiets sei im Vergleich zu Bankkrediten und nicht börsennotiertem Eigenkapital immer noch relativ gering und habe sich seit vielen Jahren nicht wesentlich verändert, so das ernüchternde Fazit der EZB.Dynamisch entwickelt habe sich das Technologiesegment. Weltweit habe etwa jedes fünfte Fintech-Unternehmen seinen Sitz in der Eurozone, viele davon in kleineren, technologieaffinen Mitgliedstaaten. Um die positiven Auswirkungen und die Risiken besser bewerten zu können, plädieren die Autoren dafür, Fintech-Unternehmen als eigene Klasse in die Finanzmarktstatistik aufzunehmen.In der Summe weitgehend unverändert stellt sich den Angaben zufolge die Größe des Finanzsystems der Eurozone insgesamt dar. Es liege nach wie vor etwa beim 6- bis 7-Fachen des Bruttoinlandsprodukts. Seit der Jahrtausendwende und insbesondere infolge der europäischen Staatsschuldenkrise rückläufig entwickelt hat sich dagegen die für Kontinentaleuropa charakteristische Dominanz des Bankensektors. Fonds auf dem VormarschAn ihre Stelle seien zunehmend andere Finanzintermediäre gerückt, konstatiert die Studie. Dazu gehören etwa Derivatehändler, Wertpapierbroker und Versicherungsmakler sowie Risikokapitalgeber und andere Finanzinvestoren. Das stärkste Wachstum hätten jedoch Investment- und Pensionsfonds verzeichnet. In der Summe vereinten diese Nicht-Banken inzwischen fast 60 % des gesamten Finanzvermögens des Währungsraums auf sich.Grundsätzlich begrüßen die Autoren die zunehmende Bedeutung der Fondsindustrie, weil dies die finanzielle Abhängigkeit der Konsumenten von den im Niedrigzins wenig lukrativen Bankeinlagen reduziere. Gleichwohl verdiene die Entwicklung Beachtung, weil sie möglicherweise eine Abwanderung von Risiken aus dem Bankensektor in weniger regulierte Marktsegmente widerspiegele. Positiv zu bewerten sei in diesem Zusammenhang, dass die Produkte vieler Fondsanbieter zunehmend eine geografische Diversifikation aufwiesen. Diese würden einen wichtigen Beitrag zur Risikoverteilung im privaten Finanzsektor leisten. “Die jüngste Umsetzung der EU-Verordnung zum grenzüberschreitenden Fondsvertrieb mag dafür hilfreich gewesen sein”, loben die Autoren. Kritisch sehen sie dagegen die nur graduell erfolgte Restrukturierung des Bankensektors der Eurozone. Während die Suche nach neuen Geschäftsmodellen und der Abbau von faulen Krediten vorangetrieben würden, vermissen die Ökonomen eine grenzüberschreitende Konsolidierung des Bankensektors. Weder die gemeinsame Währung noch die Bankenunion hätten diesen Prozess spürbar vorangetrieben. Mögliche Gründe seien regulatorische oder politische Hemmnisse, niedrige Bewertungen oder die dafür ursächlichen Probleme der Banken.