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Die Kreditverbriefung holt zum nächsten Schlag aus

Von Anna Sleegers, Frankfurt Börsen-Zeitung, 27.6.2019 Der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker hat einmal den Geldautomaten als letzte wichtige Finanzinnovation bezeichnet. Doch auch andere Errungenschaften des Finanzingenieurwesens dienen nicht...

Die Kreditverbriefung holt zum nächsten Schlag aus

Von Anna Sleegers, FrankfurtDer frühere US-Notenbankchef Paul Volcker hat einmal den Geldautomaten als letzte wichtige Finanzinnovation bezeichnet. Doch auch andere Errungenschaften des Finanzingenieurwesens dienen nicht nur dem Selbsterhalt der Branche, sondern der wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Entwicklung. Etwa die 1874 erfundene Haftpflichtversicherung oder das Crowdfunding, das erstmals 2003 zur Finanzierung der Online-Plattform Artist Share zum Einsatz kam. Auch die Verbriefung von Krediten hätte das Zeug dazu, Nutzen zu stiften. Das Ausfallrisiko auf viele Schultern zu verteilen, erlaubt es Banken, zu diversifizieren und sich damit besser für schlechte Zeiten zu wappnen. Unternehmen kommen leichter an Kredite, mit denen sie Innovationen entwickeln und in Wachstum investieren können. So weit die Theorie.In der Praxis hat diese Finanzinnovation leider ganz andere Auswirkungen an den Tag gelegt. Verbriefte Finanzinstrumente waren es, die für den Ausbruch der bislang größten Finanz- und Wirtschaftskrise der westlichen Welt verantwortlich waren. Was mit forderungsbesicherten Wertpapieren auf minderwertige US-Hypotheken begann, erfasste bald auch viele verwandte Anlageklassen. Alles, was das Etikett Asset Backed Security (ABS) trug, wurde in einem Klima des Misstrauens und der Notverkäufe innerhalb kürzester Zeit quasi unverkäuflich – selbst wenn die dem Finanzinstrument unterliegenden Forderungen erkennbar werthaltig waren.Zehn Jahre später sind es abermals verbriefte Instrumente, die Notenbanker und andere Regulatoren umtreiben. Diesmal basieren diese nicht auf Hypotheken, sondern auf gehebelten Firmenkrediten, wie sie zum Beispiel zur Finanzierung von Management Buy-outs zum Einsatz kommen. Nach Schätzungen der Bank of England standen Ende 2018 weltweit 2,2 Bill. Dollar dieser Kredite aus. Zum Vergleich: Kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise summierten sich die US-Subprime-Kredite auf etwas mehr als 1 Bill. Dollar. Investoren greifen gerne zuWie damals die Hypotheken werden heute die gehebelten Kredite aufgekauft und zu strukturierten Finanzinstrumenten verpackt. Die sogenannten Collateralized Loan Obligations (CLOs) sind eine Finanzinnovation, die 1992 in den USA entwickelt wurde. Es handelt sich um Zweckgesellschaften, in denen Kredite gebündelt und nach Ausfallrisiko tranchiert werden. Laut aktuellem Finanzstabilitätsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB) halten diese Zweckgesellschaften etwa ein Drittel aller gehebelten Kredite. Weltweit sind es Moody’s zufolge sogar knapp zwei Drittel. Auf der verzweifelten Suche nach Rendite greifen viele institutionelle Investoren gerne zu. Ob sie die A-Tranchen kaufen oder die hochverzinste Equity-Tranche der CLOs bevorzugen, hängt vom individuellen Risikoappetit ab und den jeweiligen Anlagevorgaben.Dabei hinterfragen sie oftmals nicht weiter, nach welcher Methodik die mit der Bewertung der Tranchen betrauten Ratingagenturen vorgehen. Warum sollten sie auch? Schließlich sind es nicht die Investoren, die für die Dienstleistung der Ratingagenturen bezahlen. Sondern, auch das eine erschreckende Reminiszenz an die Jahre vor 2008, die Emittenten.Bislang halten sich die Ausfallraten auf niedrigen Niveaus. Bis sich die Investoren am derzeit heiß geliebten Verbriefungsmarkt die Finger verbrennen, ist nach Einschätzung vieler Marktteilnehmer nur eine Frage der Zeit. Insbesondere in den USA warnen die Regulatoren schon seit Längerem davor, dass eine konjunkturelle Abkühlung eine neue Schuldenkrise auslösen könnte.Diese würde nach Einschätzung der früheren Chefin des US-Einlagensicherungsfonds FDIC, Sheila Bair, die Realwirtschaft ungleich härter treffen als die Subprime-Krise. Die Folgen würden unmittelbar auf den Arbeitsmarkt durchschlagen, weil so viele Unternehmen bis zur Halskrause verschuldet seien, sagte sie kürzlich dem US-Onlinemagazin “Watch”. Der Schuldenzyklus in den USA gilt als weiter fortgeschritten als in Europa – nicht zuletzt, weil die USA die als Konsequenz der Subprime-Krise beschlossene Regulierung zurückgedreht haben. Im Gegensatz zu europäischen Adressen sind CLO-Manager in den USA nicht mehr verpflichtet, einen Selbstbehalt von 5 % der Struktur aufs eigene Buch zu nehmen. Weniger GläubigerschutzDamit entfällt bei ungebrochen hoher Nachfrage seitens der Investoren ein wichtiger Anreiz, auf die Qualität der unterliegenden Kredite zu achten. Zunehmend werden auch Kredite an Unternehmen ohne Bonitätsbewertung in CLOs gepackt, deren Tranchen dann wiederum mit einem Rating ausgestattet werden.Doch auch in Europa warnt die EZB vor steigenden Risiken. Zwar hätten die Ratingagenturen seit der letzten Krise ihre Risikomodelle verbessert. Da die meisten der verbrieften Kredite erst aus der Zeit nach 2016 stammten, lasse die Qualität der unterliegenden Kredite teilweise zu wünschen übrig. Wie auch in den USA wachse der Anteil der sogenannten Covenant Lite Loans, also Kredite, die mit wenigen Vertragsklauseln zum Gläubigerschutz ausgestattet sind.Trübt sich die Konjunktur deutlich ein, könnte dies nach Einschätzung der EZB zu Totalverlusten in den unteren und zu Ratingherabstufungen in den vermeintlich sicheren Tranchen führen. Inwieweit dies die Finanzstabilität gefährde, sei schwer zu beurteilen. Assetmanager und Hedgefonds handelten oft im Auftrag Dritter, so dass intransparent bleibt, wer welche CLO-Tranchen hält.