Die Latte für Disruption höher legen

Vermögensverwalter müssen sich digital weiterentwickeln, auf ihre Kunden konzentrieren und sich auf ihre Kernkompetenz besinnen

Die Latte für Disruption höher legen

Klagen gehört bekanntlich zum Geschäft. Selten sieht man Unternehmenslenker die Zukunft in rosaroten Farben malen. Gleichwohl scheint die Feststellung, dass die Assetmanagement-Branche derzeit vor großen Herausforderungen steht, keine Übertreibung zu sein. Die Game Changer heißen Business Disruption, ermöglicht durch die Digitalisierung, und Negativzinsen. Aus Kundensicht gedachtHeutzutage kann man kaum eine Finanzzeitung aufschlagen oder deren Onlineseite besuchen, ohne dass einen diese beiden Themen förmlich anspringen. Business Disruption bedeutet, dass einhergehend mit der zunehmenden Digitalisierung langjährig etablierte Geschäftsmodelle durch Newcomer oder Branchenfremde angegriffen werden. Letztere brechen Teile aus der Wertschöpfungskette einer Industrie heraus, drängen sich zwischen Unternehmen und Kunden und ziehen damit einen mehr oder minder großen Teil des Geschäfts an sich. Dies gelingt ihnen, weil sie konsequent aus Sicht der Kunden denken und es schaffen, deren Produkterfahrung zu verbessern: beispielsweise durch Vereinfachung, komfortablere Bedienung oder besseren Service. Erfolgreiche Disruptoren vermögen dabei, das Verhalten der Konsumenten zu ändern. Aus vormals loyalen Stammkunden werden Laufkunden, wenn sie nicht ganz abwandern.Darüber hinaus sind Assetmanager auch in ihrer Paradedisziplin, der Kapitalanlage, mit einem Paradigmenwechsel konfrontiert. Die Negativzinspolitik der weltweit großen Zentralbanken stellt vieles auf den Kopf. Aus dem einst risikofreien Zins ist ein zinsfreies Risiko geworden. Die mittelfristige Ertragsaussicht für Staatsanleihen höchster Bonität liegt bei 0 %, Gleiches gilt für die bei den Deutschen so beliebten Sparkonten. Für viele Anleger – institutionell wie privat – ist dies zu wenig. Sie müssen daher umdenken.Umdenken müssen somit auch ihre Vermögensverwalter. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Geschäftsmodells als auch in ihrer Kerntätigkeit. Konkret ist zweierlei zu tun. Erstens ist eine ehrliche Bestandsaufnahme vonnöten: Wo in der Wertschöpfungskette ist die Industrie zu schwerfällig, nicht konsequent genug auf die Kundenerfahrung ausgerichtet oder zu stark in tradierten (papiernen) Prozessen verhaftet?Der ehemaligen HP-Chefin Carly Fiorina wird das Zitat zugeschrieben: “Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.” Bislang spricht alles dafür, dass sie mit dieser Aussage Recht behält. Daher müssen Assetmanager die Digitalisierung konsequent in allen Bereichen nutzen und vorantreiben. Wenn nicht sie es tun, wird es jemand anderes für sie übernehmen. Robo Advisory, die digitalisierte und automatisierte Anlageberatung, ist ein Beispiel. Sie ersetzt die von vielen Privatanlegern als lästig oder inadäquat empfundene werktäglich angebotene Beratung in Finanzinstituten. Erste UnternehmenspflichtDigitalisierung ist somit erste Unternehmenspflicht. Jedoch muss nicht jeder Assetmanager damit zwangsläufig das Rad neu erfinden. Partnerschaften mit Fintech-Unternehmen – wie etwa unlängst von Allianz/AllianzGI mit dem digitalen Vermögensverwalter MoneyFarm – sind vielfach in beiderseitigem Interesse. Die zumeist jungen Finanztechnologie-Unternehmen kommen so an das notwendige Eigenkapital, um expandieren zu können. Darüber hinaus können sie regulatorische Hürden nehmen, die bei Finanzgeschäften aufgrund des Verbraucherschutzes zu Recht hoch gesetzt sind. Gleichzeitig verschaffen ihnen die Assetmanager Zugang zu Kunden. Zusammen mit der Sicherheit von Produkt und Abwicklungsprozess macht dies für Fintech-Unternehmen die Attraktivität einer Partnerschaft mit Assetmanagern aus.Zweitens müssen sich Vermögensverwalter auf ihre traditionellen Stärken besinnen. Für aktive Assetmanager liegen diese unter anderem in einer genauen Analyse des Investmentuniversums und einer gezielten Einzeltitelauswahl. Das Resultat ist eine bewusste Allokationsabweichung von einem wie auch immer gearteten Vergleichsmaßstab. Angesichts von Business Disruption ist es wichtiger denn je zu ergründen, wessen Geschäftsmodelle bedroht sind und welche Unternehmen davon profitieren können. Im Folgeschritt ist dies dann bei der Konstruktion eines Aktienportfolios entsprechend umzusetzen.Passiven Investments, wie etwa Index-Trackern, ist dies naturgemäß nicht möglich. Sie sind zwangsläufig in der Welt von gestern verhaftet und können aufgehende Sterne erst berücksichtigen, wenn sie in den Index aufgenommen sind, und verglühende, wenn sie absteigen. Aus Anlegersicht ist dies alles andere als optimal, denn ein guter Teil des Trends ist dann oft schon gelaufen. Aktives Management gefragtAber nicht nur bei der Aktienanlage ist aktives Management gefragt. Im Niedrigzinsumfeld gilt dies mehr denn je auch für Anleiheinvestments. Wenn mehr als die Hälfte der ausstehenden Euro-Staatsanleihen unter der Nullmarke rentieren, kann passives Rentenmanagement keine Option sein! Vielmehr kommt es darauf an, risikokontrolliert in ausgewählte Wertpapiere zu gehen, die einen Renditeaufschlag versprechen.Echtes aktives Management ist somit mehr denn je vonnöten, in allen Anlageklassen. Assetmanager müssen bewusster und stärker von gegebenen Benchmarks abweichen, als dies in der Vergangenheit ausreichte und damit üblich war. Allianz Global Investors hat bereits frühzeitig die Weichen in diese Richtung gestellt: So wurde – nicht zuletzt infolge der Finanzkrise – der Analyse- und Anlageprozess im Rentenportfoliomanagement verfeinert und zur Advanced-Fixed-Income-Strategie weiterentwickelt. Das Ziel dieser Strategie, mit der mittlerweile über 40 Mrd. Euro verwaltet werden, ist eine Optimierung der risikoadjustierten Performance.Und im Aktienbereich wurde in den vergangenen fünf, sechs Jahren der sogenannte Active Share – ein Maß dafür, wie aktiv ein Portfolio gesteuert wird – im Schnitt um 15 Prozentpunkte erhöht. Kontrolliert, nicht aus der Hüfte heraus. Unabdingbare Erfolgsvoraussetzung für beides war eine stärkere Verzahnung der globalen Analysten- und Portfoliomanagement-Teams. Hierfür wurden bestehende Datenbanken und Analysetools um Komponenten wie ESG-Research erweitert und Soziale-Netzwerke-Funktionen eingebaut. Das Resultat ist eine State-of-the-Art-Kollaborationsplattform, die herkömmliche Kommunikationskanäle in vielen Teilen ersetzt. Neben Zusammenarbeit war also auch hier Digitalisierung der Schlüssel. Echter Anlagepartner seinSchließlich ist es dann auch noch eine Frage der Partnerschaft mit den Kunden, ob oder inwieweit sich diese von potenziellen Disruptoren angezogen fühlen. Wer aktives Management auch als “active in advice” versteht, also dem Kunden mit Rat und Tat zur Seite steht, der kann zum echten Anlagepartner werden. Wichtig ist es daher, den Kunden auch über den Anlageprozess und die Portfoliokonstruktion hinaus Mehrwert bieten zu können: vor allem beim Risikomanagement, aber auch bei anderen Elementen des sogenannten Fiduciary Management wie etwa Managerauswahl oder Reporting. Rückstände aufholenLetztlich hat die Assetmanagement-Branche damit ihr Schicksal zu einem guten Teil auch selbst in der Hand. Es gibt zweifelsohne in einigen Bereichen Rückstände hinsichtlich der Digitalisierung, die es aufzuholen gilt – und dies, während der Negativzins Wind ins Gesicht bläst. Das Risiko, Opfer von Business Disruption zu werden, ist allerdings umso geringer, je mehr sich Vermögensverwalter digital weiterentwickeln, auf ihre Kunden konzentrieren und sich auf ihre Kernkompetenz besinnen – das aktive Management. Wenn Assetmanager dies schaffen, werden sie im besten Sinne für Kunden unverzichtbar und legen somit die Latte für Business Disruption höher.—Tobias C. Pross, Head of EMEA bei Allianz Global Investors