Die mächtigste Bankerin der Welt
Von Thilo Schäfer, MadridNiemand in Spanien ist über die Wahl von Ana Patricia Botín zur neuen Vorsitzenden von Santander überrascht gewesen, auch wenn der Zeitpunkt durch den plötzlichen Tod ihres Vaters Emilio durch Herzinfarkt am Dienstag natürlich völlig unerwartet kam. Seit Jahren galt die 53-Jährige als Nachfolgerin von Emilio Botín, der in seinen 28 Jahren an der Spitze das Geldhaus aus der Provinz zu einem Global Player gemacht hat.Die Älteste von sechs Geschwistern bewies gegenüber einigen ihrer Brüder, die ebenfalls in der Bank arbeiten, schon früh mehr Talent und Hingabe für das Finanzwesen. Ana Patricia, oder Ana Botín, wie sie sich mittlerweile rufen lässt, kam 1960 in Santander auf die Welt, der verschlafenen Hauptstadt der Provinz Kantabrien an der spanischen Atlantikküste, wo ihre Vorfahren im 19. Jahrhundert das Geldhaus gegründet hatten. Mit ihr leitet nun die vierte Generation der Botíns Spaniens und die nach Marktwert größte Bank in Europa.Ihre Ausbildung könnte für den Job als Bankvorstand kaum gründlicher gewesen sein. Sie studierte Wirtschaft am Bryn Mawr College in Philadelphia und absolvierte einen MBA an der Harvard Business School. Sieben Jahre lang sammelte Botín Erfahrung im Investment Banking bei J.P. Morgan, bevor sie 1988 in das Stammhaus der Familie zurückkehrte. Seit 1989 gehört sie bereits dem Aufsichtsrat von Santander an. Wie nach einem ausgetüftelten Lehrplan durchlief die Tochter des mächtigen Vorsitzenden die diversen Geschäftsbereiche der Bank und wurde so mit allen möglichen Facetten vertraut. Dabei war sie an der raschen Expansion der Spanier in Lateinamerika in den 90er Jahren aktiv beteiligt, wo sie zwischenzeitlich den Vorsitz der neu erworbenen Tochterbank in Argentinien bekleidete.Schon damals munkelte man in Spaniens Finanzwelt, dass die junge Ana Patricia einst ihren Vater beerben würde. Das gefiel nicht jedem. Im Verlauf der turbulenten Fusion von Santander und dem Banco Central Hispano (BCH) kam es 1999 zu einem Eklat. Sie sollte in der neuen BSCH eine der wichtigsten Führungspositionen übernehmen, was den Vorständen aus der alten BCH sehr übel aufstieß. Dann erschien im Wochenendmagazin der Zeitung “El País” ein ausführliches Porträt über den Aufstieg der Bankerstochter, die ganz offen als Erbin für den Thron des mittlerweile wichtigsten Kreditinstituts des Landes gepriesen wurde. Das war Vater Emilio mitten in einem heftigen Machtkampf mit den BCH-Leuten dann doch zu viel. Ana Patricia Botín trat von allen exekutiven Posten zurück und blieb lediglich im Aufsichtsrat der Bank.Sie gründete daraufhin eine Investmentgesellschaft, interessierte sich lange vor den meisten Bankern für das Potenzial des Internets und förderte Jungunternehmer. Doch das Exil dauerte nicht lange. Kurz nachdem Emilio die Schlacht für sich entschieden, die Bank wieder in Santander umbenannt und die lästigen Konkurrenten von BCH mit einem millionenschweren goldenen Handschlag in den Vorruhestand verbannt hatte, holte er seine Älteste zurück. Er setzte sie an die Spitze von Banesto, der börsennotierten Tochterbank, die in Spanien direkte Konkurrenz des Mutterhauses war, bevor sie im letzten Jahr von Santander geschluckt wurde.Nach acht Jahren bei Banesto wurde Ana Patricia Botín zu höheren Aufgaben berufen. Sie wurde 2002 zum CEO der Großbritannien-Tochter ernannt, wo sie aus den frisch akquirierten Abbey National, Alliance & Leicester und Bradford & Bingley die heutige Santander UK schmiedete, die im ersten Halbjahr Brasilien als größten Gewinnträger der Gruppe ablöste. In der City verschaffte sich die Spanierin Respekt. Im letzten Jahr erklärte die BBC Botín zur drittmächtigsten Frau des Vereinigten Königreichs, nach der Queen und Innenministerin Theresa May. Charmant und offenDie neue Santander-Chefin wirkt charmant, offen und umgänglich. Wie ihr Vater schirmt die dreifache Mutter ihr Privatleben ab und tritt nur höchst selten auf gesellschaftlichen Veranstaltungen auf. Sie gehört zu den regelmäßigen Besuchern des Weltwirtschaftsforums in Davos. Von ihrem Vater hat sie den ungebremsten Arbeitseifer und die Leidenschaft für die Bank ihrer Vorfahren geerbt – neben Santander sitzt sie lediglich noch im Aufsichtsrat von Coca-Cola. Kollegen loben ihre Teamarbeit. Unter den Bankvorständen der Welt ist Botín nun unbestrittenen die mächtigste Frau. Die Trauer und die Bestattung ihres Vaters lassen Botín kaum Zeit, um sich auf den ersten großen Auftrag vorzubereiten: Am Montag ist die Hauptversammlung der Bank in Santander.