Die Metropolregionen müssen sich neu erfinden

Wie die Bauwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit sorgen kann - Gebäude sind Bausteine im Nachhaltigkeitskonzept - Digitalisierung zwingt zu mehr Kooperation

Die Metropolregionen müssen sich neu erfinden

Kontinuierlicher Zuzug von Menschen und der Klimawandel: Das sind zwei große Herausforderungen, welche die deutschen Ballungszentren betreffen. Der Umbau zur digitalen Smart City ist eine mögliche Lösung. Die Konstruktion neuer, intelligenter Gebäude hilft dabei, die Einwohner der Städte künftig nachhaltiger unterzubringen. Doch damit der Wandel gelingt, muss die Bauwirtschaft Prozesse optimieren und die Zusammenarbeit kooperativer gestalten. Ungeminderter ZuzugBis 2030 erwartet Berlin ein Bevölkerungswachstum von mehr als 10 %, Dresden fast 11 %, Frankfurt am Main und München jeweils rund 14 %. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2017. Der ungeminderte Zuzug in die Städte, der demografische Wandel, die zunehmende Digitalisierung und nicht zuletzt der Faktor Klimawandel haben massive Auswirkungen auf die Infrastruktur, den Wohnraum, die Umwelt und damit auf die Lebensqualität der Städte. Zu stemmende AufgabenUnsere Metropolregionen werden sich neu erfinden müssen, wenn sie mit der aktuellen Entwicklung und den daraus folgenden Herausforderungen Schritt halten wollen. Drei Säulen sind dabei von entscheidender Bedeutung: erstens das Thema Mobilität, zum Beispiel in Form von smarter Nutzung und Steuerung von Transport- und Verkehrswegen. Der zweite Punkt lautet Regeneration, beispielsweise durch die Nutzung brachliegender urbaner Flächen und Gebäude. Drittens spielt die Widerstandsfähigkeit gegen Auswirkungen des Klimawandels, etwa durch Hochwasserschutz bei Starkregen oder Maßnahmen gegen die Auswirkungen von Hitze, eine wichtige Rolle.Wer diese Aufgaben erfolgreich stemmt, bleibt für Investoren und Einwohner gleichermaßen attraktiv. Der unaufhaltsame Wandel bietet gleichzeitig die große Chance, innovative und effiziente Konzepte für Energie, Umwelt, Wohnen und Arbeiten zu entwickeln. Dazu müssen allerdings sämtliche Stakeholder – Politik, Verwaltung, Unternehmen sowie Bewohner – eng und themenübergreifend zusammenarbeiten, damit unsere Städte nicht nur nachhaltiger, sondern auch gesünder, sicherer, sauberer und lebenswerter gestaltet werden können. Zeitnah reagierenUm künftig zeitnah Entwicklungen erkennen und auf sie reagieren zu können, sollten möglichst viele Lebens- und Arbeitsbereiche mittels digitaler Technologien miteinander vernetzt werden. In der Smart City der Zukunft werden beispielsweise Versorgungs- und Entsorgungsnetze verknüpft, um Strom, Wasser, Gas sowie Waren und Verkehr intelligent zu steuern. Immobilien werden am Computer virtuell geplant, bewertet und instand gehalten. Digitale Kommunikationsprozesse erlauben eine partizipative Online-Verwaltung.Jedes einzelne Gebäude kann Teil der intelligenten Stadt werden. Mit Hilfe des sogenannten Building Information Modeling (BIM) wird das digitale Abbild eines Gebäudes erstellt, nach der Fertigstellung wird der gesamte Bau darüber gesteuert. Schon heute haben Immobilienbesitzer Zugriff auf eine Vielzahl der dafür nötigen Daten. Diese können entweder bei der Planung oder über Sensoren im laufenden Betrieb erhoben werden. So ist es möglich, neben Informationen zur Bauplanung und Baudurchführung auch relevante Daten zum Zustand und Betrieb zu erfassen und den betroffenen Stakeholdern zur Verfügung zu stellen. Das beinhaltet Haustechnik, Wartung, Verbrauch von Strom und Wärme sowie Nutzer- und Mieterdaten. Weniger LeerstandDabei ist BIM nicht nur für Unternehmen der gewerblichen Immobilienwirtschaft nutzbar, sondern von allen Partnern, die an Bewirtschaftung, Wartung und Betrieb beteiligt sind. Besonders im Bereich der Energieeinsparung und Ressourcenschonung leistet das Building Information Modeling wertvolle Arbeit, da das Gebäude über den gesamten Lebenszyklus hinweg effizient und weitestgehend automatisiert gesteuert werden kann. Auf diese Art und Weise ist es möglich, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen und so etwa die Aufenthaltsqualität in den Räumlichkeiten zu steigern. Eigentümer profitieren davon durch weniger Leerstand in ihren Immobilien, da zufriedene Mieter langfristig bleiben.Dank der Digitalisierung werden die Gebäude künftig nicht nur intelligenter, sondern auch nachhaltiger. Stakeholder erwarten vom Smart Building in erster Linie, dass sie ihre Ziele mit geringstem Ressourceneinsatz erreichen, zum Beispiel beim Heizen. Zudem versprechen sie sich, dass ihnen Entscheidungen erleichtert werden und Funktionen effizient sowie automatisiert bereitstehen. Schneller und komplexerIn der Baubranche führt der digitale Wandel aber auch dazu, dass Projekte immer schneller, komplexer und damit auch unsicherer werden. Das zwingt die Akteure zu Partizipation, vernetztem Arbeiten und einem gemeinsamen Projektverständnis. Voraussetzung dafür ist ein intelligenter Planungs- und Bauprozess. Digitale Helfer können die Zusammenarbeit der Akteure erleichtern. So liefern die wachsenden Möglichkeiten der auf BIM basierenden, datengetriebenen und evidenzba-sierten Entscheidungsfindung die Grundlage für richtiges und schnelles Handeln. Auch dank neuer Methoden der Kommunikation und Visualisierung wie Augmented Reality und fortschrittlicher Analysefähigkeit (Data Analytics, Machine Learning und künstliche Intelligenz) gelingt ein “Smart Building”.Mit Hilfe spezieller Software können Planer inzwischen sowohl den Energiebedarf als auch den Emissionsausstoß eines Gebäudes bereits bei dessen Planung über den gesamten Lebenszyklus berechnen. Das ist hilfreich, weil in diesem Stadium Geometrie, Gebäudetechnik und -hülle noch variiert werden können. Wird ein Entwurf geändert, ermittelt die Software sofort, welchen Einfluss diese Änderungen auf die energetische und ökologische Performance eines Gebäudes haben – von dessen Bau über die Betriebsphase bis hin zum Rückbau. Ungenutzte PotenzialeDabei wird einerseits die Betriebsenergie berechnet: Hierfür werden Daten dazu gesammelt, wie viel Energie zum Beispiel zum Heizen benötigt wird und ob die entsprechenden Richtlinien eingehalten werden. Außerdem wird ermittelt, wie viel Energie in den Baumaterialien steckt und wie viel CO2 bei deren Herstellung in die Atmosphäre gelangt. So ist es möglich, den Energiebedarf und den CO2-Fußabdruck von Gebäuden unter Berücksichtigung aller Lebenszyklusphasen zu betrachten und zu minimieren.Generell bietet die verstärkte Orientierung am Lebenszyklus einer Immobilie die Möglichkeit zur Steigerung von Nachhaltigkeit und Effizienz. Von der Konzeption über den Betrieb bis hin zum Rückbau liegen in allen Phasen ungenutzte Potenziale, die gehoben werden können. In ökologischer Hinsicht betrifft das vor allem die Nutzung von bebauten, aber brachliegenden und ungenutzten Arealen. Statt neue Flächen zu bebauen, können diese Liegenschaften revitalisiert werden. Das reduziert den Flächenverbrauch und birgt oft ungeahnte Potenziale für Eigentümer, Investoren, Kommunen und Stadtgesellschaften.Vor allem alte Industrie- und Gewerbebrachen lassen Eigentümer meist außer Acht, weil sie die unkalkulierbaren Risiken scheuen, die im Untergrund verborgen sein können. Diese Vermeidungsstrategie ist jedoch überflüssig, da sich mit Hilfe von Experten Zeit- und Kostenaufwand für die Baureifmachung eines Altstandorts präzise prognostizieren lassen. Auf Basis belastbarer Zahlen kann dann entschieden werden, welche Option wirtschaftlich am sinnvollsten ist. So wird die Smart City RealitätAuch wenn digitale Technologien und der sensible Umgang mit den erhobenen Daten das technische Rückgrat jeder smarten Stadt sind, bedarf es vor allem eines gut vernetzten und transparenten Miteinanders aller Akteure – von der Verwaltung über die beteiligten Unternehmen bis hin zu den Bürgern. Deshalb müssen die Städte zum einen agile und flexible Abläufe, Prozesse, Dienstleistungen und dahinterliegende Strukturen entwickeln. Das gilt auch für die Einbeziehung der Bevölkerung mittels digitaler Bürgerbeteiligung, ein wichtiger Erfolgsfaktor großer Transformationsprojekte. Zum anderen sollten sie versierte Partner ins Boot holen, die mit ihrer Erfahrung und einem 360-Grad-Blick Großprojekte erfolgreich managen können. Der wesentlichste Wandel aber muss in den Köpfen aller Beteiligten stattfinden, damit Ideen und Initiativen Realität werden und wir für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Marcus Herrmann, CEO von Arcadis