Die NSFR trifft Pfandbriefemittenten über Gebühr

Bei der Festlegung sollten Augenmaß und eine sachgerechte Berücksichtigung produktspezifischer Besonderheiten Vorrang vor legislativen Schnellschüssen haben

Die NSFR trifft Pfandbriefemittenten über Gebühr

Die gute Nachricht zuerst: Die Banken in der EU werden wohl noch etwas Zeit haben, sich auf die strukturelle Liquiditätsquote (NSFR, Net Stable Funding Ratio) einzustellen. Ihr angedachtes Inkrafttreten zum 1. Januar 2018 könnte sich aufgrund des Umsetzungsverfahrens in der EU noch verschieben. Wenn nicht, wird die Kennzahl wohl trotzdem frühestens zum 1. Januar 2020 zu 100 % einzuhalten sein. Angesichts vieler Unbekannter und strittiger Elemente ist dieser Zeitplan nur zu begrüßen, kann jedoch die schlechte Nachricht nur geringfügig abmildern: Die Einführung der NSFR könnte, wenn sie entsprechend dem gegenwärtigen Kommissionsvorschlag in Europa eingeführt würde, Pfandbriefemittenten, aber auch das Produkt selbst und den Hypothekenmarkt über Gebühr treffen. Stabile RefinanzierungDie NSFR wurde 2014 neben der Liquiditätsdeckungsquote (LCR, Liquidity Coverage Ratio) als zweiter Liquiditätsstandard des Basel-III-Rahmenwerks eingeführt. Während die seit Oktober 2015 gültige LCR sicherstellen soll, dass Kreditinstitute kurzfristigen Stresssituationen standhalten, zielt die NSFR darauf ab, eine fristenkongruente Refinanzierung länger laufender Aktiva sicherzustellen. Sie soll messen, ob der Bestand an verfügbarer stabiler Refinanzierung (ASF, Available Stable Funding) ausreicht, um die erforderliche stabile Refinanzierung (RSF, Required Stable Funding) unter Stressbedingungen während eines Einjahreszeitraums abzudecken. Wie bei der LCR ist die Mindesthöhe auf 100 % festgesetzt. ASF und RSF ergeben sich aus den Positionen der Passiv- und Aktivseite und gehen je nach Grad der Zuverlässigkeit beziehungsweise Liquiditätseigenschaften gewichtet mit einem Faktor in die Berechnung ein.Im Vergleich zur LCR bezieht sich die NSFR auf das weitaus größere Volumen in der Bankbilanz. Bei der Steuerung fallen daher im Vergleich zur LCR aufgrund der deutlich längerfristig benötigten Liquidität höhere Kosten an, insbesondere, wenn kurzfristig gesteuert werden muss. Gleichzeitig braucht es aufgrund der hohen Grundgesamtheit vergleichsweise mehr verfügbares Refinanzierungsvolumen, um die Strukturkennzahl um 1 % zu erhöhen. Solch ein Aufbau ist kostenschonend meist nur über einen längeren Zeitraum zu tätigen. Dies zeigt sich an der relativ langsamen Zunahme an Banken, die gemäß Basel III Monitoring Report der EBA (European Banking Authority) die Mindestquote von 100 % erfüllen. Und dies, obwohl Anleger in der Regel schon vorab auf zukünftig zu erfüllende Kennzahlen schauen.Nach unseren Schätzungen dürfte es insbesondere für ein Drittel der 43 untersuchten großen europäischen und international tätigen Banken (Gruppe 1) mindestens bis zum Ende der Übergangszeit dauern, bis sie eine NSFR von 100 % erreichen. Die restlichen untersuchten 107 europäischen Banken (Gruppe 2) dürften die NSFR zum Ende dieses Jahres erfüllen.Pfandbriefe zählen zu den langfristig stabilen Refinanzierungsinstrumenten und dürften damit aus Sicht der Emittenten für eine stabile Refinanzierungsstruktur sorgen. Es besteht jedoch das Risiko, dass die NSFR dieses Instrument benachteiligt.Die drei wesentlichen Fragestellungen lauten:1. Wäre es nicht gerechtfertigt, Pfandbriefe und ihre Deckungsmassen aufgrund ihrer Struktur und des in Krisenzeiten erwiesenermaßen geringen Refinanzierungsrisikos aus der NSFR-Berechnung herauszunehmen? Immerhin haben Pfandbriefgläubiger im Insolvenzszenario ein erstrangiges, bevorzugtes Recht auf die Deckungswerte. Und hat nicht diese Qualität das Produkt Stresssituationen überstehen und kontinuierlich Käufer finden lassen? Die hohe Qualität des Produkts spiegeln Aufseher ja auch in der bevorzugten Behandlung bei der Eigenkapitalunterlegung und bei der LCR. Zwar avisiert der vorliegende Kommissionsvorschlag eine Ausnahme von sogenannten “verflochtenen” Aktiva und Passiva per 0 %-Gewichtung zu einer Reduzierung der Grundgesamtheit und damit zu einer höheren Sensitivität der NSFR, hierbei könnte es sich allerdings auch – wie partiell kolportiert – um einen Entwurfsfehler handeln, sollte die Intention sein, nur gedeckte Schuldverschreibungen ohne Refinanzierungsrisiko oder ohne unterjähriges Refinanzierungsrisiko (sogenannte pass-through und soft bullet covered bonds) von der NSFR auszunehmen.2. Pfandbriefe mit einer Restlaufzeit unter einem Jahr oder unter sechs Monaten sollen nur noch mit 50 % beziehungsweise 0 % als zur Verfügung stehende Refinanzierung anerkannt werden. Dies gilt genauso für erstrangig unbesicherte Anleihen, die für die regulatorischen Mindestquoten MREL (Minimum Requirement of Own Funds and Eligible Liabilities) und TLAC (Total Loss Absorbing Capacity) anrechenbar sind. Folglich stellt sich die Frage: Ist das unterjährige Refinanzierungsrisiko von Pfandbriefen mit dem von erstrangig unbesicherten Anleihen vergleichbar? Bedeutet dies, dass ein Pfandbrief in Krisenzeiten ebenso stabil nachgefragt wird wie eine erstrangig unbesicherte Anleihe? Aus unserer Sicht wertet eine solche Regelung den Pfandbrief ab. Um der Banksteuerung aus dem Dilemma der teuren, kurzlaufenden Passivpositionen zu helfen, könnte eine schon gebräuchliche Bondklausel Fahrt aufnehmen: das Emittentenkündigungsrecht ein Jahr vor Fälligkeit. Für Pfandbriefemittenten stellt sich somit die Frage: Lohnen sich Ausgestaltung und höhere Refinanzierungskosten, oder stellt sich nicht auch die Frage, ob die Lösung nicht an anderer Stelle zu finden ist? Vielleicht könnte die im vergangenen Sommer diskutierte Fälligkeitsverlängerung bei Pfandbriefen mittelfristig doch noch kommen und somit aufgrund von gemindertem Refinanzierungsrisiko für die Ausnahme aus der NSFR-Berechnung sorgen.3. Normalerweise fordert die NSFR-Regelung, dass Hypothekendarlehen (mit einer Restlaufzeit von über einem Jahr und dem üblichen Risikogewicht von 35 % gemäß Standardansatz) zu 65 % mit stabiler Refinanzierung zu unterlegen sind. Für Hypothekendarlehen, die Pfandbriefe besichern (sogenannte “belastete” Assets), steigt der Faktor für die erforderliche Refinanzierung auf 100 %. Somit stellt sich die Frage, ob die Refinanzierung durch unbesicherte Bankanleihen bevorzugt werden soll. Setzt die unterschiedliche Behandlung von belasteten und unbelasteten Assets zudem nicht auch noch “falsche” Anreize für niedrigere Überdeckungsniveaus?Aus einer reinen NSFR-Steuerungssicht betrachtet, dürfte der Treasurer die Emission von unbesicherten Bankpapieren einer Emission von Pfandbriefen vorziehen. Dies bestätigen sogar die Bankwächter: In ihrer Analyse zur Verhältnismäßigkeit vom 15. Dezember 2015 verweist die EBA auf diesen Punkt.Die unterschiedliche Behandlung von belasteten und unbelasteten Assets setzt zudem Anreize für niedrigere Überdeckungsniveaus: So wird das erforderliche Refinanzierungsvolumen für Hypothekenkredite in der Überdeckung höher als für dieselben Kredite außerhalb der Deckungsmasse angesetzt. Folgen der VorgabenEs ist zu erwarten, dass die Vorgaben zur Bestimmung der NSFR das Verhalten der Institute verändern und sich damit auf ihre Bilanzstrukturen auswirken werden. Damit einhergehend könnte es Pfandbriefemittenten künftig schwerer fallen, sich für Pfandbriefe als Refinanzierungsinstrument zu entscheiden oder auch teurere Refinanzierungskosten auf Kreditnehmer weiterzugeben. Bei der Festlegung der NSFR, wie auch grundsätzlich bei der Umsetzung aller anderen regulatorischen Vorhaben, sollten Augenmaß, eine Kalibrierung mit anderen regulatorischen Standards und eine sachgerechte Berücksichtigung produktspezifischer Besonderheiten Vorrang vor legislativen Schnellschüssen haben. Der Pfandbrief ist aufgrund seiner Qualität ein hohes Gut und ein wichtiges Instrument bei der Finanzierung der sogenannten “Realwirtschaft”. Dies gilt es nicht zu gefährden, sondern zu bewahren.—Hans-Dieter Kemler, Vorstandsmitglied der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen