SERIE: IMMOBILIENMÄRKTE IM AUSNAHMEZUSTAND (6)

"Die öffentliche Hand ist zu blöd zum Bauen"

Berlin legt Reformkatalog vor, um Großprojekte wie BER oder S21 künftig zeit- und kostengerecht fertigzustellen - Bauindustrie will guten Ruf zurückgewinnen

"Die öffentliche Hand ist zu blöd zum Bauen"

Großbaustellen wie der Berliner Flughafen oder der Tiefbahnhof S21, die scheinbar nie fertig werden, dafür aber ein Vielfaches der ursprünglich veranschlagten Mittel verschlingen, stellen die Kompetenz von Staat und Baukonzernen in Frage. Die Bundesregierung strebt daher eine Reform der Planung an.Von Ulli Gericke, BerlinFlorian Pronold reicht es. Nachdem sich die Kosten der Elbphilharmonie in Hamburg mehr als verzehnfacht haben, nachdem der Tiefbahnhof Stuttgart 21 auch Jahrzehnte nach Planungsbeginn nicht einmal im Ansatz fertig ist und auch der Berliner Pannenflughafen BER den Kosten- und Zeitrahmen sprengt, platzt dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesbauministerium der Kragen: In der Öffentlichkeit herrsche inzwischen die Meinung, “die öffentliche Hand ist zu blöd zum Bauen”. Wer wollte widersprechen?Zwar hat eine Untersuchung von 300 Hochbauprojekten des Bundes ergeben, dass knapp 60 % der Bauten im Kostenrahmen und fast 65 % im Zeitrahmen blieben. Doch dass 40 % deutlich teurer wurden als geplant, will das Ressort künftig nicht mehr hinnehmen. “Wir wollen nicht mehr die Deppen sein”, sagte Pronold bei einer Begehung der Baustelle des Pergamonmuseums, das in zwei Schritten saniert wird. Allein der erste Teil mit dem weltberühmten Pergamonaltar wird – aus heutiger Sicht – fast 480 Mill. Euro kosten statt 261 Mill. Euro, wie ursprünglich veranschlagt worden war.Das SPD-geführte Ministerium hat mittlerweile eine “Reform Bundesbau” benannte Liste für eine bessere Kosten-, Termin- und Qualitätssicherheit erarbeitet, die im Wesentlichen die Vorschläge der “Reformkommission Bau von Großprojekten” abkupfert, die das CSU-dominierte Verkehrsministerium einige Jahre zuvor installiert hatte. Das fängt bei der banalen Forderung an, erst zu Ende zu planen, bevor der Bau beginnt. Zudem sollten Risikopuffer eingeplant werden, da auf dem Bau immer irgendetwas schiefläuft. Statt des billigsten Anbieters wollen Verkehrs- wie Bauministerium künftig den Wirtschaftlichsten beauftragen. Nicht zuletzt mahnen beide Ressorts eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Auftraggebern und Auftragnehmern bei großen Projekten an. Auch das klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Doch nach Beobachtung der bunt gemischten 36-köpfigen Expertenkommission des Verkehrsministeriums seien viele deutsche Baustellen “geprägt von Misstrauen und konfrontativem Verhalten zwischen den Beteiligten”, also Baufirmen, Planern und (auch staatlichen) Bauherren. BIM oder nicht BIMDass Anspruch und Wirklichkeit oftmals nicht zusammenpassen, stellte auch die Reformkommission fest: “Deutschland gilt allgemein als vorbildlich organisiertes Land, das sich durch Gründlichkeit, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit auszeichnet. Umso überraschter war man im In- und Ausland, dass eine ganze Reihe öffentlicher Großprojekte die geplanten Kosten- und Terminrahmen deutlich überschritten.” Dass dies nicht nur für die bekannten Beispiele BER, S21 und Elbphilharmonie gilt, bestätigt eine Studie der Hertie School of Governance, die für 170 ausgewählte Großprojekte unterschiedlicher Bereiche eine Kostensteigerung von im Schnitt 73 % errechnet hat. Handlungsbedarf gibt es also reichlich.Trotz vieler Übereinstimmungen zwischen Verkehrs- und Bauministerium gibt es zwischen beiden Fahrplänen für ein effektiveres Bauen allerdings einen kleinen, aber wichtigen Unterschied. Während die Gutachter bei komplizierten und teuren Großprojekten mit vielen Beteiligten digitale Methoden wie etwa das Building Information Modeling (BIM) für den gesamten Projektverlauf empfehlen – eine Forderung, der der Verkehrsminister in diversen Pilotprojekten nachkommt -, fehlt der Verweis auf digitale Hilfsmittel beim Reformkatalog des Bauressorts komplett. Im Haus von Ministerin Barbara Hendricks und Staatssekretär Pronold nimmt man Rücksicht auf kleinere Planungsbüros und Baufirmen, die sich angesichts des rasend schnellen digitalen Wandels schnell überfordert fühlen, wie Heiko Stiepelmann vermutet, der stellvertretende Geschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Dabei hinke Deutschland schon fünf Jahre hinter Großbritannien hinterher, wo der Einsatz digitaler Methoden schon seit längerem zum Baualltag gehöre. Beim BIM sind sämtliche Pläne auf einer digitalen Plattform hinterlegt, auf der alle am Bau Beteiligten zusammenarbeiten können – und sollen. Kosten politisch motiviertDamit werden nicht nur Baufortschritte oder -verzögerungen transparent, sondern auch zwischenzeitig vorgenommene Änderungen – samt deren Auswirkungen auf andere Bauteile und damit verbundene Kostensteigerungen. Auch die eingesetzten Baustoffe werden hier dokumentiert, was Reparaturen Jahrzehnte später deutlich einfacher gestaltet, weil jeder weiß, was ihn erwartet.Zusammengefasst kritisiert die Reformkommission des Verkehrsministeriums – und später in anderen Worten, aber mit gleichem Inhalt auch Pronold -, dass die öffentliche Hand zu vage und zu großzügig plane, Risiken vernachlässige und die Kosten schon beziffere, bevor überhaupt ausreichend präzise Planungen vorliegen. Zudem sei “die regelmäßige Unterschätzung der Kosten und des Zeitbedarfs oft politisch motiviert, um die Durchsetzung von Projekten zu erleichtern”, beobachten die Experten. Vielfach fehle es ferner für die Planung und Durchführung an klaren Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten, Verfahrenswegen und Entscheidungskompetenzen sowie einem unabhängigen Controlling – zu beobachten an allen missratenen Großbaustellen, egal ob in Hamburg, Stuttgart, Berlin oder in Köln bei der Oper, in Washington bei der Sanierung der deutschen Botschaft oder, oder, oder.”Insgesamt gibt es zu wenig Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, die ein Recht darauf hat, über Kosten, Risiken und Termine belastbare Informationen zu erhalten und rechtzeitig beteiligt zu werden”, hält die Reformkommission fest. Ein wichtiges Ziel sei die Rückgewinnung des Bürgervertrauens in die Bauherrenkompetenzen des Staates und die Reparatur des international angeschlagenen Rufs der hiesigen Bau- und Planungswirtschaft. “Erpressungspotenzial”Mitunter sind die eigenen Regeln aber auch so perfekt, dass sie sich ins Gegenteil verkehren. Aus Angst vor Korruption ist im Vergaberecht strikt geregelt, dass die öffentliche Hand “Schlechtleister” nicht einfach kündigen und durch ein anderes, besseres Planungsbüro oder Bauunternehmen ersetzen kann. Vielmehr muss die alte Leistung neu ausgeschrieben werden, was den Bau üblicherweise um ein halbes Jahr verzögert und damit verteuert. Das eröffnet “Erpressungspotenzial”, wie Pronold urteilt, der folglich dafür plädiert, überforderte Firmen “freihändig”, also ohne neue Ausschreibung, durch einen “Gutleister” zu ersetzen. So wird es ohne Verzögerung gehandhabt, wenn ein Unternehmen pleitegeht.—-Zuletzt erschienen: – Anleger überrennen deutsche Immobilienfonds (7.1.)