Die Risikokosten treiben die Aufseher um
Nach Jahren niedriger Risikovorsorge mehren sich die Zeichen, dass die Belastungen der Banken wieder steigen. Im Fokus der Aufsicht steht dabei der Immobilien- und der Autosektor. Ausländische Distressed-Debt-Investoren begönnen, ihre Teams auf Einsätze im Bundesgebiet vorzubereiten, heißt es bei Debitos.Von Bernd Neubacher, FrankfurtWenn am heutigen Mittwoch zunächst die Europäische Zentralbank (EZB) und am morgigen Donnerstag dann die Deutsche Bundesbank ihre Finanzstabilitätsberichte vorstellen, dürfte eine Frage alle anderen überdecken: Wann schlägt die wirtschaftliche Eintrübung auf die Ergebnisrechnung der Banken durch? Auf der Risikolandkarte der EZB für 2020 stehen “Herausforderungen für die ökonomische, politische und Schuldentragfähigkeit im Euroraum” ganz oben, was das potenzielle Ausmaß der Folgen angeht, und auch in der Bundesrepublik treibt die Sorge vor anziehenden Risikokosten die Aufseher um.Kein Wunder: Infolge schwacher Ertragskraft und angesichts eines widrigen Zinsumfelds zerbröselnder Erträge haben die Ergebnisse vieler Banken zuletzt nur noch deshalb passabel ausgesehen, weil die Institute keine Risikovorsorge mehr bilden mussten, sondern vielmehr auflösen konnten. Das Bewertungsergebnis der deutschen hat sich zwar schon 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Mrd. Euro erhöht. Mit minus 6,7 Mrd. Euro oder 0,08 % der Bilanzsumme lag es damit aber noch immer auf einem denkbar niedrigem Niveau (siehe Grafik).Dies kann im Falle eines Abschwungs allerdings ganz rasch anders aussehen, wie das designierte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel am Freitag gewarnt hat. Jegliche Belastungen der Banken dürften allein durch die lange Dauer des nun zu Ende gehenden Konjunktur-Booms verstärkt werden. Denn aller Erfahrung nach nehmen die Kreditrisiken der Banken mit zunehmender Dauer eines Aufschwungs zu, da ein Boom sukzessive immer schwächeren Schuldnern Zugang zu Kredit ermöglicht.Wie es im Markt heißt, haben dabei tendenziell eher Großbanken als Sparkassen und genossenschaftliche Institute schwächeren Unternehmen Kredite gewährt. Viele der soliden Unternehmen hingegen zahlen ihre Investitionen inzwischen komplett aus dem Eigenkapital, wenn sie den Bankensektor nicht ohnehin links liegen lassen und ihren Bedarf auf dem Kapitalmarkt decken.Die Jahre des Booms, in denen sich die Risikovorsorge verflüchtigte, haben zudem dafür gesorgt, dass die Bonität zahlreicher Schuldner derzeit sehr viel besser aussehen dürfte, als sie eigentlich ist. Zugleich haben sich die Risiken erhöht. Jahrelang hatten die Banken die Folgen der negativen Zinsen mit einer kräftigen Ausweitung ihres Kreditvolumens überkompensiert und somit ihren Zinsüberschuss steigern können. Doch inzwischen ist auch dieser Trend ausgelaufen. Stehen geblieben sind dagegen die Risiken in den Büchern. Neuer Standard im FokusSollte die Risikovorsorge bald auf breiter Front anziehen, wird sich in den Bilanzen der Großbanken zudem zeigen, ob der Anfang vergangenen Jahres eingeführte Bilanzstandard IFRS 9, der eine frühzeitigere und umfassendere Bildung von Rückstellungen für Verluste im Kreditgeschäft vorschreibt, tatsächlich derart prozyklisch wirkt, wie von manchen Banken schon seit längerem gestreut wird.Sorgen bereitet den Aufsehern dabei zum einen der Immobilien- und zum anderen der Automarkt. Am Immobilienmarkt hat sich mit der Preis-Rally der vergangenen Jahre einiges an Rückschlagpotenzial aufgebaut. Obwohl aber auf Baufinanzierungen vielerorts ein ganz wesentlicher Anteil des Forderungsvolumens von Banken entfällt, mangelt es den Aufsehern gerade in Deutschland an gescheiten Daten, um beurteilen zu können, inwieweit Banken ihre Vergabestandards im Boom gelockert haben.Der Autosektor wiederum steht grundsätzlich wegen des Wechsels auf neue Antriebe und generell des Trends zur Nachhaltigkeit sowie aktuell vor dem konjunkturellen Hintergrund im Fokus. Die LBBW hat bereits angekündigt, ihr Exposure im Automobilsektor um 5 bis 10 % zu reduzieren. Im Falle von Schuldnern, bei denen man Sorge habe, ob diese die Transformation meistern können, kann dies bedeuten, dass ihnen der Kredithahn zugedreht wird.Wie im Markt zu erfahren ist, rufen die Risiken von Autozulieferern schon deren Auftraggeber auf den Plan: So bemühen sich Autohersteller demnach bereits vorab um Zugriff auf Forderungen an Zulieferer. Damit wollten sie verhindern, dass diese Forderungen an einen Investor veräußert werden, der auf eine Verwertung der Sicherheiten setzt, auch wenn dies das Ende des Zulieferers bedeutet, heißt es.Ein von Insolvenzen ausgelöster Verlust von Arbeitsplätzen im Sektor könnte dazu führen, dass vermehrt Privatkunden als Schuldner ausfallen, was wiederum deren Banken verstärkt belasten würde. In den vergangenen Jahren ist die Insolvenzquote, welche gewöhnlich stark auf die Ergebnisrechnung der Banken durchschlägt, kontinuierlich gefallen. Als Segment, in dem die konjunkturelle Eintrübung zuallererst Bremsspuren nach sich ziehen dürfte, hat das Frankfurter Fintech Debitos, Betreiber einer Plattform für den Handel mit notleidenden Forderungen, den Schuldscheinsektor ausgemacht: “Die konjunkturelle Eintrübung sieht man schon jetzt am Schuldscheinmarkt, und sie wird von den Unternehmen auf die Privathaushalte übergreifen”, prognostiziert Debitos-Gründer Timur Peters und fügt hinzu: “Wir stellen zunehmend fest, dass Sparkassen wackelnde Schuldscheinforderungen über unsere Plattform veräußern wollen.” Seinen Angaben zufolge lockt die Bundesrepublik sogar bereits wieder auf faule Forderungen spezialisierte Investoren aus dem Ausland an: “Distressed-Debt-Investoren, für die Deutschland angesichts des konjunkturellen Booms jahrelang kein Thema gewesen ist, haben begonnen, ihre Teams auf Einsätze in der Bundesrepublik vorzubereiten.” Zinsniveau hilft SchuldnernOptimistischer gestimmte Beobachter wenden dagegen ein, die gesamtwirtschaftlicht Auslastung liege nach wie vor über dem Durchschnitt. Zudem wird ihrer Argumentation zufolge gerade das noch längere Zeit auf tiefem Niveau verharrende Zinsniveau Kreditausfälle auf breiter Front verhindern. So hat die Geldpolitik dafür gesorgt, dass sich die Zinsdeckungsquote deutscher Unternehmen, also das Verhältnis zwischen Gewinn und Zinsverpflichtungen, außerhalb des Finanzsektors in den vergangenen Jahren um etwa die Hälfte auf 6 erhöht hat, ohne das dahinter eine nennenswerte operative Verbesserung der Schuldner stünde. So oder so: Die Risikokosten der Banken werden bis zur nächsten Rezession Thema im Markt und bei den Aufsehern bleiben.