FINANZEN UND TECHNIK - IM INTERVIEW: DANA REIZNIECE-OZOLA

"Die Sandbox gibt es bei uns schon"

Die lettische Finanzministerin über die Herausforderungen für Fintechs und deren Regulierung

"Die Sandbox gibt es bei uns schon"

Angaben des lettischen Finanzministeriums zufolge wird das BIP des Baltenstaates 2017 um 3,3 % und im nächsten Jahr um 3,4 % steigen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei der Finanzsektor und speziell auch die Fintech-Industrie. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola, welche Bedeutung Start-ups für die Wirtschaft des Landes haben und vor welchen regulatorischen Herausforderungen der Sektor steht.- Frau Ministerin Reizniece-Ozola, Ihre Regierung verfolgt eine neue Finanzmarktstrategie, in der Fintechs eine besondere Rolle spielen. Wie sieht die aus?Das ist ein Regierungsprogramm, mit dem der Finanzsektor stärker unterstützt werden soll. Da geht es jedoch nicht nur um Fintechs, sondern um den Finanzmarkt im Allgemeinen. Aber es ist klar, dass die Fintechs einen wichtigen Teil der technologischen Weiterentwicklung unseres Finanzmarktes bilden.- Was heißt das konkret?Mit am wichtigsten ist die adäquate Regulierung für Fintechs, denn es kommen immer mehr neue Geschäftsmodelle zum Vorschein. Die Herausforderung besteht insbesondere darin, die Balance zu finden zwischen der Unterstützung von Innovationen, der Gewährleistung der Stabilität des Marktes und den notwendigen Qualitätskontrollen und Aufsichtsmechanismen.- Welche Herausforderungen sehen Sie hier für die Regulierung?Zum Beispiel die immer strengeren, globalen Antigeldwäschevorschriften. Fintechs sind diesbezüglich derzeit noch nicht ganz so stark unter der Lupe, aber sie werden damit rechnen müssen, dass die Kontrollen zunehmen werden. Wir sind sehr darauf bedacht, die Antigeldwäschebestimmungen in unserem Finanzsektor umzusetzen. Der Fokus liegt natürlich auf den Banken, aber Fintechs sind der nächste Schritt.- Wie wollen Sie bei virtuellen Währungen wie Bitcoin diese Bestimmungen durchsetzen?Gute Frage. Die Rolle der Finanzaufsicht und deren Sachkenntnis werden immer wichtiger. Und ihre Befähigung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, denn die Regulatoren müssen ein Verständnis entwickeln für die neuen Geschäftsmodelle und wie mit neuen Regeln umgegangen wird, etwa mit Blick auf Know-Your-Customer-Prozesse (KYC) oder die Transparenz des Geldflusses.- Welche Rolle spielt der IT-Sektor für Ihre Exportwirtschaft?Er ist mittlerweile einer der wichtigsten Exportsektoren von Lettland und steht an dritter Stelle nach den traditionellen Sektoren Holz und Nahrung. Der Anteil am Wirtschaftsaufkommen ist zuletzt um 30 % gewachsen. Wenn man über die baltischen Staaten spricht, wird Estland immer als führend angesehen, aber die tatsächlichen Zahlen zeigen, dass wir die Esten beim IT-Export bereits im vergangenen Jahr überholt haben.- Welche Bedeutung haben hierbei die Fintechs?Eine sehr große, sie wachsen sehr schnell. Nehmen wir etwa den P2P-Lending-Bereich. Die beiden lettischen Firmen Twino und Mintos zählen zu den größten in Europa und operieren in 20 Ländern. Und Twino beispielsweise hat große ausländische Investoren an Bord, 25 % davon kommen aus Deutschland.- Welche Besonderheiten haben lettische Fintechs zu bieten?Die technologische Basis hier ist sehr hoch entwickelt. Unser Finanzsektor ist relativ neu. Wir haben unsere Unabhängigkeit 1991 wiedererlangt, also ist der Sektor ungefähr 25 Jahre alt. Infrastruktur und Systeme sind brandneu und somit auf dem neuesten Stand. Es kann ein Vorteil sein, wenn man anfangs weniger stark entwickelt ist und dann neue Sektoren etabliert. Dann besteht die Möglichkeit, einige Schritte in der Entwicklung zu überspringen. Das ist einer der Vorzüge der lettischen Fintechs, neben der guten Ausbildung und den Sprachkompetenzen.- Welche Chancen bieten der deutsche und europäische Markt?Zum einen gibt es das Potenzial, Investoren zu gewinnen, zum Beispiel in P2P-Finanzierungen, da liegen die Zinsen viel höher als das, was konventionelle Investments zurzeit bieten. Und zum anderen ist es ein guter Markt, um Dienstleistungen anzubieten, etwa im Payment-Bereich oder als Zulieferer für größere Firmen. Einigen Unternehmen wie SWH Sets, die mit der Software AG zusammenarbeiten, ist der Einstieg bereits gelungen. Natürlich muss die Regulierung Schritt halten, einheitlichere Regeln würden da helfen. Daher unterstützen wir die Initiative der EU-Kommission, die Regulierungsbestimmungen anzugleichen.- Die britische Finanzaufsicht bietet Fintechs sogenannte regulatorische Sandboxen, also Freiräume, in denen Finanzinnovationen getestet werden können, ohne der vollen Regulierung unterworfen zu sein. Planen Sie Ähnliches?Das Prinzip der Sandbox gibt es bei uns schon. Wenn neue Unternehmen operativ sind, kommen Regulator und Finanzministerium und definieren die Vorschriften im Rahmen der bestehenden Gesetze und Richtlinien des Kabinetts. Es geht darum, schneller auf diese neuen Geschäftsfelder und Start-ups zu reagieren. Und wir befinden uns in Konsultationen mit den größten Finanzzentren und sehen uns auch an, was in London passiert und welche Erfahrungen dort gemacht werden.- Wie soll man sich Ihre Sandbox vorstellen?Da wird etwa eine Demoversion oder ein Proof-of-Concept unter Aufsicht des Regulators betrachtet, damit die Nuancen des neuen Modells oder Business besser verstanden und die Kontrollmechanismen exakter abgestimmt werden können. Das gilt zum Beispiel für die Bereiche Video- und biometrische Identifikation oder die Einführung von Digital Passporting oder auch Access Services.- Das klingt nach Einzelfallbetrachtung. Ist das nicht zu aufwändig?Das muss auf individueller Basis geschehen, denn es kann kein “One size fits all” geben. Aber das ist einer der Vorteile, wenn man ein kleines Land mit zwei Millionen Einwohnern ist. So sind wir in der Lage, mit jedem Start-up individuell umzugehen. Bei uns lässt sich gut und früh erkennen, welche Firmen und Modelle entstehen, und eine entsprechende Herangehensweise finden.- Und Ihr Steuersystem kommt den Start-ups ebenfalls entgegen?Ja, aber hierbei geht es nicht nur um die Steuersätze, sondern auch um die Gebühren, die an die Aufsicht abgeführt werden sollen. Diese Gebühren sollen in den ersten Jahren für die Fintechs deutlich niedriger angesetzt werden, damit sie eine Basis für Wachstum haben. Und die neue Start-up-Steuer wurde im vergangenen Jahr verabschiedet und ist seit diesem Jahr in Kraft.- Wie sieht sie aus?Sie bietet viel flexiblere Regeln, um auch Know-how und Fachleute aus dem Ausland anzuziehen, indem die Lohnkosten und -steuern in den ersten Jahren für die jungen Unternehmen reduziert werden. Es gibt jedoch bestimmte Bedingungen, die die Start-ups erfüllen müssen.- Zum Beispiel?Eine Firma, die davon profitieren will, muss beispielsweise Kapital aus dem Ausland anziehen. Es gibt auch definierte Wachstumsraten sowie bestimmte Exportniveaus, die erreicht werden sollen. Die Steuerreform, an der wir derzeit arbeiten, sieht vor, dass die Lohnkosten und -steuern insgesamt gesenkt werden.- Können Sie das konkretisieren?Die Idee hinter der neuen Körperschaftsteuer ist, dass, solange die Profite in das Unternehmen reinvestiert werden, keine Steuern anfallen. Nur wenn Dividenden ausgezahlt werden, müssen 20 % an Abgaben geleistet werden. Wir versuchen, in unserer Region konkurrenzfähig zu sein und schauen natürlich danach, was unsere Nachbarn Estland und Litauen machen. Uns ist vollkommen klar, dass wir von Auslandsinvestoren als ein gemeinsamer Markt angesehen werden, in dem die drei Länder miteinander verglichen werden.—-Das Interview führte Franz Công Bùi.