IM BLICKFELD

Die Sparkassen sollen sich neu erfinden

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 10.3.2020 Ist es noch Verunsicherung oder schon Panik? Etlichen Sparkassenvorständen - sorry, das ist das Originalzitat eines hochrangigen Insiders - "geht der Arsch auf Grundeis". Das hat erst mal...

Die Sparkassen sollen sich neu erfinden

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtIst es noch Verunsicherung oder schon Panik? Etlichen Sparkassenvorständen – sorry, das ist das Originalzitat eines hochrangigen Insiders – “geht der Arsch auf Grundeis”. Das hat erst mal nichts mit dem Coronavirus zu tun. Befürchtet wird unabhängig davon eine verschärfte Ertragserosion, die zwar nicht alle 378 deutschen Sparkassen, wohl aber einzelne Familienmitglieder in Schieflage bringen und so eine Reihe von Sanierungs- und Stützungsaktionen mit der Folge massiver Belastungen dann doch der ganzen Gruppe auslösen könnte. Eine Abwärtsspirale drohe, sagen Verantwortliche, die mit ihren Aussagen nicht zitiert werden möchten. Es kursieren Szenarien, wonach das Betriebsergebnis aller Sparkassen (ohne Landesbanken und Verbundunternehmen) vor Bewertung von 9,3 Mrd. Euro 2018 binnen weniger Jahre in Richtung 7 Mrd. Euro einbrechen könnte, falls nicht entschlossen gegengesteuert wird. Ein Bündel von BelastungenIn der Vergangenheit haben sich die düsteren Prognosen indes regelmäßig als übertrieben pessimistisch erwiesen. Zwar brachen vor allem als Folge der EZB-Politik allein von 2015 bis 2018 – die Zahlen für 2019 legt der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) am 19. März vor – 2 Mrd. Euro der mit Abstand wichtigsten Ertragsquelle, des Zinsüberschusses, weg (vgl. Grafik). Doch das Betriebsergebnis blieb bemerkenswert stabil, weil es gelang, zugleich das Provisionsergebnis um 1 Mrd. Euro auszubauen und die Kosten um 0,5 Mrd. Euro zu drücken. Schlimmeres wurde nicht zuletzt durch ein bis in die jüngste Zeit anhaltendes, teils geradezu spektakuläres Kredit- und Einlagenwachstum verhindert.Aktuell aber wird einmal mehr so richtig schwarzgemalt. Die jüngsten Erfolge seien kaum wiederholbar. Anhaltende Niedrig-, Null- und Negativzinsen belasteten die Ertragskraft nachhaltig. Der Ablauf relativ hoch verzinster Altbestände sei mit dem besten Neugeschäft nicht aufzuhalten. Die Preise privater Girokonten und die Einnahmen daraus ließen sich nicht beliebig weiter erhöhen. Der Immobilienboom könne auf den erreichten Preisniveaus nicht immer so weitergehen, die Kreditrisiken würden nicht ewig historisch niedrig bleiben, die Umsetzung von Basel IV gehe mit enormen neuen Kapitalanforderungen einher, heißt es in internen Unterlagen der Gruppe. Derweil böten Megatrends wie die Digitalisierung zwar Chancen, erforderten aber auch beträchtliche Investitionen.Also umso stärker mit dem Rotstift an die Kosten rangehen? Der Personalaufwand lasse sich nicht wesentlich verringern, stünden dem sozial verantwortlichen Stellenabbau doch steigende Tarifleistungen und Pensionslasten gegenüber. Jahr für Jahr bauen die Sparkassen geräuschlos eine hohe vierstellige Zahl von Arbeitsplätzen ab. Seit der Jahrhundertwende wurde schon weit mehr als jede vierte Stelle gestrichen (von 283 450 auf 209 588 Ende 2018).Die beschriebenen Herausforderungen bilden den Hintergrund, vor dem beim DSGV – parallel zu den Ideen zur Schaffung eines Zentralinstituts – unter der Ägide von Präsident Helmut Schleweis das Projekt “Sparkasse reloaded” entstand. Die Öffentlich-Rechtlichen sollen sich gewissermaßen neu erfinden, was nur durch das Zusammenwirken aller Kräfte möglich sei – die Regionalverbände wurden eingeladen mitzumachen. In einem Teilprojekt geht es darum, dass sich die Sparkassen als “Kümmerer” der Kunden auch über Finanzdienstleistungen hinaus positionieren, neue Geschäftsfelder besetzen und die Markenstrategie entsprechend weiterentwickeln: Welche wohnungswirtschaftlichen Angebote können Sparkassen machen? Können sie Kitaplätze vermitteln? Den Fuhrpark gewerblicher Kunden managen? Kann nicht das Auto statt bei der bisherigen Zulassungsstelle bei der Sparkasse angemeldet werden? Mit solchen Beispielen befasst sich eine Arbeitsgruppe, in der Sparkässler aus Instituten und Verbänden verschiedener Regionen mitwirken. Nicht das kleinste Problem: Das Angebot bankfremder Leistungen setzt voraus, dass zunächst die Länder ihre Sparkassengesetze ändern.Die Standardisierung von Produkten – etwa der Unmenge von Kontomodellen – und Prozessen ist Thema eines anderen Teilprojekts. Ein (nicht ganz neues) Ziel dabei lautet, jede Lösung in der Finanzgruppe nur einmal zu entwickeln. Da dürfte es ziemlich viel Luft nach oben geben.Nun hat es beim Marktführer (mit nach eigenen Angaben rund 50 Millionen Kunden) noch selten an klar erkanntem Verbesserungspotenzial gefehlt und an guten Ideen, dieses zu heben. Doch eine Gruppe, die sich mit Stolz als “dezentral bis auf die Knochen” definiert, tut sich naturgemäß schwer mit der Entscheidungsfindung und der Umsetzung. Und bei allem, was insbesondere nach Zentralisierung riecht, läuten in den Regionen und bei ihren Verbänden, deren Rollenprofil mit “Sparkasse reloaded” womöglich “angepasst” werden soll, sowieso die Alarmglocken. Nicht wenige argwöhnen, der DSGV mache Politik an den Regionalverbänden vorbei. Hier sind heftige Konflikte geradezu programmiert. “Mach mal, Helmut”In der mit Blick auf eventuell anstehende Beschlüsse allmählich hochkochenden Debatte fällt auch diesmal ein Phänomen auf, das bei den Sparkassen traditionell zu beobachten ist. Auf ihren Tagungen rufen die Vorstände fast die Revolution aus. Auch jetzt forderten sie ihren Präsidenten – “einer von uns” – auf: “Mach mal, Helmut, unsere Unterstützung hast Du!” Dann müssten die Reformen ja eigentlich ein Selbstläufer sein. Doch zurück in ihrer Region, in einem anderen Gremium, hat sie der Mut wieder verlassen. Sie setzen den Funktionärshut auf und wollen von Revolution nichts mehr wissen. Oder sie sagen: “Standardisierung? Gerne – zu unseren Bedingungen!”Der ehemalige Sparkassen- und spätere Bundespräsident Horst Köhler hat das Phänomen so beschrieben: “Man signalisiert mir immer Zustimmung im Detail, solange sichergestellt ist, dass die Sache als Ganzes scheitert.” Sollte es diesmal, eingedenk von manchen als existenzgefährdend empfundener Herausforderungen, wirklich anders sein?