Die Ursachenforschung hat begonnen
Von Bernd Neubacher, FrankfurtIn der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat spätestens nach dem Mea culpa ihres Präsidenten Felix Hufeld zu Wochenbeginn die Ursachenforschung für das aufsichtliche Versagen im Fall Wirecard begonnen. Die Erkenntnis, dass es der deutschen Finanzaufsicht gut zu Gesicht gestanden hätte, sich nicht auf die Kontrolle der Tochter Wirecard Bank zu beschränken, sondern sich beizeiten für die gesamte Gruppe zuständig zu erklären, ist, selbst wenn sie sich noch nicht überall in der Behörde durchgesetzt haben sollte, nun durch Hufeld implizit als offizielle Linie vorgegeben worden. Die Lage ist brisant, nicht erst seitdem am Dienstag Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Aufseher mit den Worten anzählte: “Die BaFin hat eigene Fehler bereits eingeräumt, sie müssen schleunigst identifiziert und abgestellt werden.” Zweifel an der AufsichtNoch größer hätte der Schaden für das Ansehen der Bonner Bankenkontrolleure nur ausfallen können, falls es zu dem Skandal gekommen wäre, während die gesamte Gruppe unter BaFin-Aufsicht gestanden hätte. Doch selbst in diesem Szenario hätte es dazu kommen können, heißt es angesichts der verschachtelten Struktur des Geschäfts und des Unvermögens der Prüfer von EY und KPMG, die Ungereimtheiten in der Bilanz mit forensischen Instrumenten aufzudecken, bei der BaFin.Derzeit versuchen die Aufseher Reuters zufolge zu verhindern, dass Geld aus der Tochter abgezogen wird, um damit Löcher im Konzern zu stopfen – wie die Aktionäre lernen die Aufseher gerade auf die harte Tour, was der Slogan des Aschheimer Fintechs “Beyond Payment” offenbar alles bedeuten kann.Der Mut zum Eingeständnis von Defiziten, den die BaFin den Prüfern von EY einstweilen noch voraushat, mag für den Umgang der Behörde mit der Situation sprechen, sollte einer nüchternen Analyse jedoch nicht im Wege stehen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die kritische Berichterstattung in der Presse, allen voran in der britschen “Financial Times”, die Aufsicht in der Vergangenheit dazu bewogen hat, bei der von ihr überwachten Wirecard Bank genau hinzuschauen.Außenstehende ziehen das in Zweifel. Ihrer Meinung nach hätte die Aufsicht etwa aktiv werden können, als Rainer Wexeler, Mitglied im Vorstand der Wirecard Bank seit deren Gründung, die Tochter des Zahlungsabwicklers Ende vergangenen Jahres nach 14 Jahren verließ. Ein Manager, der laut seinem beim Karrierenetzwerk Linkedin eingestellten Lebenslauf über 40 Jahre Berufserfahrung im Bankwesen gesammelt hat, unter anderem im Risikomanagement, in der Buchhaltung, in Geldwäscheprävention sowie bei der Koordination von Wirtschaftsprüfern, wäre in jedem Fall ein interessanter Gesprächspartner. Zumal wenn er soeben seinen Hut genommen hat. Die BaFin äußert sich auf Anfrage nicht dazu, ob sie mit Wexeler in Kontakt getreten ist. Nach Informationen der Börsen-Zeitung kommen solche Gespräche von Aufsehern mit ausscheidenden Vorstandsmitgliedern indes sehr wohl vor. Eine Anfrage der Börsen-Zeitung ließ Wexeler am Dienstag unbeantwortet. Wirecard äußert sich auf Anfrage nicht zu der Frage nach den Gründen für sein Ausscheiden.Um die Aufsicht über Wirecard zu intensivieren, hätte die BaFin nicht nur vermehrt das Gespräch mit amtierenden beziehungsweise ehemaligen Vorständen suchen oder über den Weg von Feststellungen die Aufsicht über die gesamte Gruppe übernehmen können. Sie und die Europäische Zentralbank (EZB) hätten auch der Gruppe aufs Dach steigen und ihr die Eignung als Anteilseignerin der Wirecard Bank absprechen können, auch wenn die Hürden für diese Sanktion als hoch eingeschätzt werden.Die vorübergehende Festnahme des jüngst zurückgetretenen Wirecard-Chefs Markus Braun könnte nun allerdings Anlass sein, die Eignung der Vorstandsmitglieder der Wirecard Bank als Geschäftsleiter zu überprüfen. Im dreiköpfigen Vorstand der Bank sitzt seit 2014 etwa Alexander von Knoop, der seit zwei Jahren auch als Finanzvorstand der Gruppe fungiert.Die Beaufsichtigung der Bank durch die BaFin hat der gesamten Gruppe als eine Art Gütesiegel gedient. So schreibt die Bank in ihrem Geschäftsbericht 2018 über sich: “Als volllizenzierte und unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stehende deutsche Bank ist sie bestens positioniert, um gewinnbringende Partnerschaften mit FinTech-Unternehmen einzugehen.” Darüber hinaus taucht die BaFin im Dokument nur im Zusammenhang mit dem turnusgemäßen Aufsichtsgespräch auf. Die Zwitterstruktur von Wirecard mit einer als Technologieunternehmen definierten Mutter und einer Bank als Tochter, welche in der Aufsicht einen blinden Fleck schuf, hat beim Wirecard-Prüfer EY zur Folge gehabt, dass die Zuständigkeit für das Mandat nicht beim Financial-Services-Team lag. Einer der beiden den Abschluss 2018 testierenden Partner, Andreas Budde, hat laut eigenen Angaben auf Linkedin seinen Fokus im Sektor Industrial Products, sein Kollege Martin Dahmen leitet unterdessen den Bereich Assurance für den Sektor Technologie, Medien & Telekommunikation im deutschsprachigen Raum. Budde arbeitet seit 33 Jahren bei EY, Dahmen ist seit 28 Jahren im Haus. Der Prüfungsgesellschaft, die für sich den Wahlspruch “Building a better working world” gewählt hat, droht nun eine Flut von Klagen. Mit Hinweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht äußert sie sich nicht zum Thema Wirecard. Gleichwohl dürften sich Deutschland-CEO Hubert Barth und Mathieu Meyer, Managing Partner Audit Deutschland, bald unangenehmen Fragen stellen müssen. “Hier scheinen Wirtschaftsprüfer wie Aufsichtsbehörden nicht effektiv gewesen zu sein”, zitiert Reuters Finanzminister Scholz.Auch in Brüssel ist man hellhörig geworden. So haben Luis Garicano und Sven Giegold, liberaler und grüner Koordinator im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, eine Anhörung im Europäischen Parlament angeregt. Sie fordern die Kommission auf, die Abschlussprüfungsrichtlinie so bald wie möglich zu überarbeiten, um mögliche Fehlanreize für Prüfer oder durch eine Doppelfunktion als Auditor und Berater zu beseitigen.