"Die USA sind uns Jahre voraus"
Am 6. Mai verleiht die Commerzbank-Tochter Comdirect in Berlin zum dritten Mal den mit insgesamt 7000 Euro dotierten Finanzblog Award. 2012 ging der 1. Preis an den Unternehmensberater und Ex-Banker Dirk Elsner, der unter blicklog.com seine Gedanken zu Themen der Wirtschafts- und Finanzpraxis notiert. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht er über die Befangenheit deutscher Unternehmen, mit neuen Medien zu jonglieren, und darüber, weshalb die US-amerikanische Konkurrenz einen Schritt voraus ist.- Herr Elsner, die Jury des Finanzblog Award hat Sie 2012 unter anderem mit der Begründung zum Sieger gekürt, Sie würden “komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge so kompetent und prägnant” erklären “wie kaum eine Großredaktion”. Wie erklären Sie sich diese Einschätzung?Ich schreibe aus Leidenschaft, aber nicht um mit Großredaktionen zu konkurrieren. Ich kenne auch unter den anderen Wirtschaftsbloggern keinen, der sich als Konkurrenz begreift. Eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall. Wir brauchen die Wirtschaftsmedien als Vorlage, auf die wir aufsetzen können. Je besser die Vorlage, desto besser unser Beiwerk.- Auf welche Themen erfahren Sie die meisten Reaktionen?Die höchste Klickrate habe ich, wenn ich zur Euro-Krise schreibe oder zu Finanzanlagen. Die meisten Kommentare kommen, wenn ich mich gegen die herrschende Meinung stelle. Es macht Spaß, auch mal eine Gegenposition zu wählen, wenn ich den Eindruck habe, da wird etwas zu sehr gehypt.- Ergeben sich aus Kontakten zu Ihren Lesern Synergien?Ja, hin und wieder schon. Ich habe vor zwei, drei Jahren zum Beispiel mal den Gastbeitrag eines Dax-Managers veröffentlicht – allerdings anonym. In Deutschland ist man da wohl noch etwas zurückhaltend.- Im Gegensatz zu?Die USA sind uns zwei, drei Jahre voraus, was Blogs betrifft, auch im Wissenschaftsbereich. Hierzulande gibt es zwar auch Wirtschaftswissenschaftler, die bloggen – manche davon unter eigenem Namen. Aber es gibt einige, die anonym bleiben wollen, weil sie warum auch immer um ihren Ruf fürchten. US-Wissenschaftler sind da unbefangener und nutzen die Chance, übers Bloggen zu aktuelleren Themen veröffentlichen zu können als etwa in Fachzeitschriften.- Woher rührt die hiesige Befangenheit gegenüber dem Bloggen?Ich habe den Eindruck, in Deutschland herrscht gegenüber neuen, technischen Entwicklungen immer eine gewisse Distanz. Man guckt sich das erst einmal an, möchte wissen, wie andere Leute Dinge angehen und ob man etwas falsch machen kann. Ich merke allerdings seit zwei Jahren, dass sich bei Unternehmen – auch im Finanzbereich – eine ganze Menge tut.- In welcher Hinsicht?Da wird die Distanz abgelegt und über neue Medien wie Twitter, Facebook oder auch Blogs der Dialog mit der Öffentlichkeit gesucht. Von der Idee, diese Medien als Verteilungsschiene für PR zu nutzen, ist man inzwischen abgekommen. Viele Unternehmen haben gemerkt, dass klassische PR-Arbeit nicht mehr so gut funktioniert. Es interessiert einfach niemanden, weil es nicht authentisch ist. Unternehmen und auch der Finanzsektor suchen neue Wege, glaubwürdig zu sein.- Verstehen Sie sich als Einzelkämpfer oder als Teamplayer in der sogenannten Blogosphäre?Eher als Einzelkämpfer, weil ich aus beruflichen Gründen wenig Zeit habe, mich zu vernetzen. 95 % meiner Kollegen bloggen wie ich nebenher. Wirtschaftsthemen gehen in Deutschland nicht so gut, als dass man davon leben könnte. Andererseits bin ich deshalb auch unabhängiger. Wenn ich auf hohe Klickraten angewiesen wäre, würde das wahrscheinlich meinen Stil verändern.- Wie sehen Sie die Zukunft von Finanzblogs?Wir werden eine weitere Professionalisierung erleben. In den USA gibt es erste Ansätze, mit Finanzblogs auch kommerziell erfolgreich dazustehen. Was ich ganz spannend finde und bereits beobachte, ist, dass Medien und Blogs sich nicht mehr als Konkurrenz sehen und zunehmend als Ergänzung verstehen.- Ihre Favoriten unter den deutschen Finanzblogs?In Deutschland sind das zu allgemeinen Wirtschaftsthemen “diewunderbareweltderwirtschaft.eu”, zu Börse und Kapitalmarkt “mister-market.de” und zur Wirtschaftspolitik “lostineu.eu”.—-Das Interview führte Katharina Gail.