Die Zeit drängt
Die betriebliche Mitbestimmung zählt eher nicht zu den Errungenschaften, um die man Manager deutscher Konzerne im Ausland beneidet. So erzählt man sich, dass ein frisch zum Vorstandschef ernannter Banker einer deutschen Großbank im Kennenlerngespräch mit dem Vorsitzenden seines Konzernbetriebsrats mit den Worten begrüßt worden sei: „Natürlich können Sie hier alles auch gegen unseren Willen umsetzen. Es wird dann halt nur alles auch ein bisschen länger dauern.“
Ob Manfred Knof, zum Jahresanfang als Chef der Commerzbank angetreten, Ähnliches zu hören bekommen hat, darf bezweifelt werden. Angesichts des Rekordtempos, in dem der von breiten Teilen der Belegschaft als Quereinsteiger angesehene Jurist die Zuständigkeiten im Vorstand neu verteilte und die bilanziellen Vorarbeiten für den angestrebten Turnaround initiierte, um sich dann nach gerade einmal sechs Wochen im Amt mit seinen Strategieplänen den Investoren zu stellen, wird ihm wenig Zeit für plauderative Kennenlerngespräche geblieben sein.
Wahrscheinlich wird er den Hinweis der Arbeitnehmervertretung jedoch auch nicht nötig haben. Schließlich dürfte er bereits in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der Allianz Deutschland das eine oder andere Mal die Erfahrung gemacht haben, dass sich die Umsetzung von Projekten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszögern kann, wenn das Management es versäumt, die Betriebsräte rechtzeitig einzubinden. Auch sein Zwischenspiel im Privatkundengeschäft der Deutschen Bank deutet darauf hin, dass er dieses Risiko sehr genau einschätzen und damit umgehen kann. So gelang es unter seiner Ägide, nicht nur die Postbank nahezu geräuschlos auf den Konzern zu verschmelzen, sondern auch den Abbau von 2 300 Stellen zu vereinbaren. Und das, obwohl es sich bei der Bonner Zweitmarke um eines der, wenn nicht das Gebilde der deutschen Finanzbranche mit dem höchsten Grad an gewerkschaftlicher Organisation handeln dürfte.
Wie ernst Knof die Arbeitnehmerseite nimmt, lässt sich auch aus der Kommunikation der Commerzbank zur neuen Strategie ableiten. Werden die bei allen mitbestimmungspflichtigen Konzernen erforderlichen Verhandlungen mit den Arbeitnehmern oft unter den Teppich gekehrt oder in die Fußnote versteckt, werden sie hier nicht nur an zentraler Stelle erwähnt, sondern auch mit einem klaren Ziel versehen: Bis zur Hauptversammlung am 5. Mai sollen die Rahmenregelungen für den Abbau von rund 7 500 Stellen stehen.
Auch wenn man ihm kaum einen Kuschelkurs mit den Gewerkschaften vorwerfen kann, geht Knof jeder Standesdünkel gegenüber den Vertretern der Arbeitnehmerseite ab. Das kann ein großer Vorteil sein, gerade bei Finanzdienstleistern, deren Betriebsräte qua Qualifikation in der Regel über ein solides betriebswirtschaftliches Grundwissen verfügen, das sie auch gewürdigt wissen wollen. Doch sein Gegenüber sollte sich auch im Klaren darüber sein, dass Knof seine Verhandlungsziele nicht eine Minute aus den Augen verliert. Ein anschauliches Beispiel dafür, was passieren kann, wenn er zu große Zugeständnisse machen muss, ist der Verkauf der Tochtergesellschaft Postbank System an den internationalen IT-Dienstleister Tata Consultancy Systems: Ein Deal, der die Minimierung der operationellen Risiken der anstehenden IT-Migration mit einer Beschäftigungsgarantie verbindet. Den Geschmack der meisten Gewerkschafter dürfte diese allerdings nicht treffen, weil sie kaum die bisherigen Konditionen auf Dauer fortschreiben wird.
Bei den Verhandlungen über den Stellenabbau bei der Commerzbank liegen die Karten derweil auf dem Tisch. Bis 2024 sollen rund 7 500 Stellen entfallen, nach Möglichkeit ohne betriebliche Kündigungen. Dafür einkalkuliert sind Kosten von 1,4 Mrd. Euro, was nach menschlichem Ermessen ausreichen sollte, um Lösungen zu finden, mit denen sich die meisten Beteiligten arrangieren können – sogar Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der als Kanzlerkandidat der SPD im Superwahljahr kein Interesse an einem lautstarken Arbeitskampf bei der noch immer teilverstaatlichten Commerzbank haben kann. Was sich weder der Vorstand noch die Beschäftigten der Commerzbank leisten können, ist eine Fortsetzung der Hängepartie. Nachdem auf das Ende der Fusionsgespräche mit der Deutschen Bank eine anderthalbjährige Schockstarre folgte, muss die Commerzbank endlich handeln, um den Anschluss an den Wettbewerb nicht vollends zu verlieren.