Digitale Nachhaltigkeit fordert Versicherer

Nur ein auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegtes Geschäftsmodell kann in die Zukunft führen - Belegschaft frühzeitig begeistern und mitnehmen

Digitale Nachhaltigkeit fordert Versicherer

Die Digitalisierung der Versicherungsbranche schreitet voran. Seit einigen Jahren ist das Thema auch in den Führungsetagen deutscher Versicherungskonzerne präsent. Besonders in den letzten zwölf Monaten – unter anderem durch das Aufkommen neuer Marktteilnehmer wie Insurtechs oder durch Versicherungsangebote globaler Tech-Riesen – hat diese Thematik zunehmend an Bedeutung gewonnen. Punktuelles Engagement wird der Bedeutung der Digitalisierung nicht gerecht. Doch obwohl die Notwendigkeit von digitaler Nachhaltigkeit als langfristigem und umfassendem Umbau vielen traditionellen Versicherern bewusst ist, messen nicht alle diesem Schritt die gleiche Aufmerksamkeit bei. Naheliegendste OptionEs stellt sich daher die Frage, wie nachhaltig und überlebensfähig die Digitalisierungsstrategien der deutschen Versicherungswirtschaft tatsächlich sind. Was kommt da auf die Branche zu? Haben alle Marktteilnehmer die Chancen, aber auch die Risiken erkannt? Oder ist der Zug eventuell sogar schon abgefahren?Fakt ist: Digitalstrategien gibt es in großer Zahl. Manche sind naheliegend, einige erfordern den Blick über den Tellerrand hinaus und wieder andere erschließen sich erst, wenn man tief in die DNA des Unternehmens einsteigt. Die einfachste und sicherlich naheliegendste Option, um mehr Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft zu etablieren, ist die komplette Transformation des eigenen Unternehmens. Und zwar zu einem umfassenden digitalen Geschäftsmodell.Hierbei werden die existierenden Prozesse und Arbeitsabläufe, die Technik, die Anbindungen und vieles mehr im laufenden Betrieb mit den vorhandenen Mitarbeitern in ein digitales Zielmodell überführt. Um diesen Plan umzusetzen, sind ein klar formuliertes digitales Modell, stringent strukturierte Projektarbeit und vor allem ein im ganzen Unternehmen einheitlich unterstütztes Changemanagement erforderlich. Für eine erfolgreiche und nachhaltige Transformation muss die gesamte Organisation an einem Strang ziehen und auf diese digitale Reise mitgenommen werden. Sonst ist die Idee bereits in den Köpfen derjenigen zum Scheitern verurteilt, die das Modell maßgeblich mittragen sollen.Wenn sich in der Belegschaft erst einmal Vorbehalte und Sorgen verfestigen, kann aus einem vermeintlich einfachen Projekt schnell eine Mammutaufgabe werden. Es ist schon schwer genug, nur das Topmanagement für eine durchdachte und langfristige Digitalstrategie zu gewinnen – doch das ist nur der Anfang. Um nachhaltig wirken zu können, ist es unabdingbar, die gesamte Belegschaft für diesen neuen Weg zu begeistern. Immerhin betreffen die zum Teil radikalen Veränderungen der Arbeitsabläufe, wie Automatisierungsprozesse und Dunkelverarbeitung großer Datenmengen, gerade sie. Rechtzeitig einbindenJe nach Größe des Unternehmens sind auch Interessensvertreter der Mitarbeiter frühzeitig einzubinden und klare Regeln zu definieren, was mit bestimmten Abteilungen im Zuge einer Digitalisierungsstrategie passiert. Dabei zeigt sich oft, wie komplex es für ein Unternehmen wird, seine eigene Organisation personell und strukturell in einem Rutsch in das digitale Zukunftsmodell zu begleiten – und damit die Basis für ein nachhaltiges Wirtschaften zu legen. Hier hantiert das Management mit hochexplosiven Zutaten. Denn: Vorsicht ist, trotz aller Chancen einer Digitalisierungsstrategie, die Mutter der Porzellankiste.Eine weitere Strategie ist die Ausgründung einer eigenen digitalen Einheit. Beispiele gibt es in der deutschen Versicherungslandschaft zu Genüge – ist es doch eine vermeintlich einfach umzusetzende Form der Digitalisierung. Das Kernunternehmen kann weiter in seinen alten Strukturen bestehen und nebenbei eine kleine, agile Einheit als Vorzeigemodell präsentieren und kommunizieren. Im besten Fall bietet sie sogar Lerneffekte und übertragbare Ergebnisse für die Muttergesellschaft. Neue digitale EinheitUnter anderem verfolgen die Wüstenrot & Württembergische Versicherung dieses Modell mit dem digitalen Versicherer Adam Riese, oder auch das KFZ-Modell Friday der Balouise Group (Basler Versicherung). Dabei wird nicht – wie bei der kompletten Transformation – am offenen Herzen operiert, sondern ganz bewusst eine neue digitale Einheit gegründet, die losgelöst vom traditionellen Modell der Muttergesellschaft arbeitet. Oft auch ganz bewusst räumlich getrennt.Der Vorteil dieser Strategie: Talentierte Köpfe mit digitalem Mindset werden von einer solch freien Einheit viel stärker angezogen. Besteht doch die Aussicht, losgelöst von festgefahrenen Konzernstrukturen und politisch motivierten Entscheidungen agieren zu können. Um dieses Modell aber nachhaltig für das gesamte Versicherungsunternehmen nutzen zu können, müssen die Erkenntnisse und auch die Erfahrungen der externen digitalen Einheit behutsam in das Mutterunternehmen zurücküberführt werden können. Dabei kommt es durchaus auch zu Reibungsverlusten. Denn nicht alles, was vermeintlich besser, digitaler und innovativer ist, wird auch den etablierten Abteilungen im Mutterkonzern einer Versicherung locker von der Hand gehen.Ein wohldurchdachtes Changemanagement ist auch im Fall einer ausgelagerten Einheit unumgänglich. Das behutsam gezüchtete Pflänzchen der Digitalisierung muss unbedingt geschützt, in den Mutterkonzern verpflanzt und dort veredelt werden. Sonst wird es, um bei dem Bild zu bleiben, schnell wieder eingehen – und viel Energie und Ressourcen werden verbrannt. Von Nachhaltigkeit kann dann keine Rede mehr sein. Das KooperationsmodellEine weitere, bei Versicherungsunternehmen oft angewandte Digitalisierungsstrategie ist das Kooperationsmodell. In diesem Fall nutzt der etablierte Versicherer in Kooperation mit einem externen Anbieter – nämlich einem Insurtech – das Talent einer vom Unternehmen gänzlich unabhängigen Einheit. Das Insurtech fungiert als Ideenlieferant oder stellt dem Versicherer einen Teil seiner Wertschöpfungskette als Serviceleistung zur Verfügung. Die technische Innovation kann dadurch als eine Art Dienstleistungsprojekt umgesetzt werden und die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt deutlich zu. Je nach Kooperationsmodell müssen die entwickelten Vorteile aber so in das eigene Betriebsmodell integriert werden, dass Abläufe, Prozesse und Services auch in Zukunft sicher, stabil und skalierbar angeboten werden können. Das kann auch ein Nachteil sein.Was sich – neben dem reinen Kooperationsmodell – als immer interessanter für mittelgroße Versicherer erweist, die nach einer effizienten Lösung für ihr digitales Zukunftsmodell suchen, sind sogenannte “Insurance as a Service”-Modelle (IaaS). Dabei lagert der Versicherer komplett abgegrenzte Wertschöpfungselemente an einen Service-Provider aus. Er hat somit den Vorteil, sich auf seine Kernkompetenzen, etwa die Produktentwicklung, konzentrieren zu können – und profitiert dennoch von der Skalierbarkeit einer digitalen Versicherungsfabrik.Von entscheidender Bedeutung ist die fachliche Eignung des IaaS-Providers. Es sollte vertraglich vereinbart sein, dass die IaaS-Versicherungsfabrik dauerhaft wartbar, regelbar und steuerbar ist. Schließlich handelt es sich bei der Auslagerung eines solchen Geschäftsbereichs um ein langfristig und vor allem nachhaltig ausgelegtes Engagement.Die skizzierten Modelle sind nur einige Beispiele einer digitalen Transformation, die nur gelingt, wenn sie mit einer langfristig angelegten Nachhaltigkeitsstrategie kombiniert wird. Eines sollte jedoch allen Unternehmen bewusst sein: Die Zeit drängt und wer sich nicht auf den Weg Richtung Digitalisierung macht, wird sich schon sehr bald zunehmendem Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen. Versicherer, die in analogen Prozessen mit hoher manueller Tätigkeit verharren, werden auf Dauer nicht durchhalten. Über kurz oder lang droht sogar der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.Neben einer digitalen Strategie muss auch die Umgestaltung des gesamten Unternehmens möglichst rasch angegangen werden. Auf die Schnelle eine App zu entwickeln, um sich den Anstrich der Modernität zu geben, wird dem Kunden nicht genügen und schnell vom Markt durchschaut. Nur ein auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegtes Geschäftsmodell kann wirklich in die Zukunft führen und wird auch die Belegschaft mitnehmen und begeistern.—-Stephen Voss, Gründer und Vorstand der Neodigital Versicherung AG