IM INTERVIEW: FRANK DORNSEIFER

Digitale Zwillinge im Assetmanagement

Die Blockchain hat bei Sachwerten mit Schwierigkeiten zu kämpfen - Normen und Standards fehlen

Digitale Zwillinge im Assetmanagement

Das neue Kryptoverwahrgesetz wird bald die Tokenisierung von Schuldverschreibungen ermöglichen. Andere Assets werden folgen. Warum dies nicht nur Vorteile hat, erklärt Frank Dornseifer, Geschäftsführer beim Bundesverband Alternative Investments (BAI), im Interview der Börsen-Zeitung. Herr Dornseifer, die Tokenisierung macht alle Vermögenswerte liquide und handelbar – hat das möglicherweise nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile?Ich würde nicht zwingend von Nachteilen sprechen, eher von Nebenwirkungen, und bekanntlich muss derjenige, der A sagt, auch B sagen. Wie meinen Sie das?Mittlerweile ist der Begriff der Token-Ökonomie in aller Munde, und auch die Bundesregierung will im Rahmen ihrer Blockchain-Strategie die Weichen für diese Token-Ökonomie stellen. Für viele ist es doch noch eine etwas seltsame Vorstellung, dass alles tokenisiert werden soll: Ein Zahlungsmittel wird zum Payment Token, ein Wertpapier wird zum Security Token, Waren oder Dienstleistungen werden zum Utility Token. Selbst die guten alten Sachwerte wie Immobilien, Unternehmen, Infrastruktur, Rohstoffe et cetera werden tokenisiert, und damit soll eine deutlich vereinfachte und kostengünstigere Handelbarkeit hergestellt werden. Welche “Nebenwirkungen” können bei den Sachwerten denn auftreten?Diese sind vielschichtig. Eine Thematik ist zum Beispiel die Bewertung und Bilanzierung. Für alle Arten von Gütern und Finanzinstrumenten gibt es einschlägige Bewertungs- und Bilanzierungsvorgaben, und auf einmal wird zum Beispiel aus einer Immobilie oder einem Unternehmen, obwohl dieses nicht börsennotiert ist, ein marktfähiger Token, unter Umständen ausgestaltet als Schuldverschreibung, der munter digital hin- und hertransferiert werden kann. Und ganz klar: Auch hier müssen eindeutige Bewertungs- und Bilanzierungsregeln gelten, und dafür gibt es zum Beispiel die IAS oder das HGB. Wer dann Immobilien- oder Unternehmens-Token handeln will, muss also auch zu jedem Zeitpunkt den Marktpreis bestimmen. Was sind hier die Schwierigkeiten?Es ist noch nicht annähernd geklärt, welche Normen und Standards auf die zahllosen und unterschiedlichen Arten von Token anwendbar sind. Eine Kryptowährung zum Beispiel hat keinen inneren Wert, dieser leitet sich von Angebot und Nachfrage ab, Asset-backed Token leiten den Wert aus dem zugrunde liegenden Vermögenswert ab, bei Utility Token bestimmt sich der Wert aus der Nachfrage nach dem Produkt beziehungsweise der Dienstleistung. Insofern muss also zunächst immer geklärt werden, welche Standards für die Erst- beziehungsweise Folgebewertung gelten. Und nicht minder wichtig ist, wie und wo Veränderungen beim Buchwert zu erfassen sind. Die Fair-Value-Diskussion unter IFRS befindet sich hier grade am Anfang und hat natürlich eine internationale Dimension. Das braucht Zeit. Gibt es abgesehen von den Bewertungs- und Bilanzierungsfragen noch weitere Aspekte?Durchaus. Es stellt sich die Frage, ob gerade institutionelle Anleger, die über Jahre hinweg – zum Beispiel aus Gründen des Asset-Liability-Managements – immer stärker auf illiquide Vermögenswerte mit langen Durationen gesetzt haben, sich damit anfreunden können, dass in der schönen neuen Token-Welt zum Beispiel Sachwert-Token mit dem beizulegenden Zeitwert zu bewerten sind, sofern der relevante Markt auch als aktiv angesehen werden kann. Das heißt, vor allem institutionelle Anleger hätten Nachteile durch die Tokenisierung?In gewissem Maße. Für die Institutionellen möchte ich aber auch noch einen weiteren Aspekt aufgreifen, über den man sich im Klaren sein muss. Versicherer müssen bekanntlich ihre Kapitalanlagen risikogewichtet mit Eigenmitteln unterlegen. Unabhängig davon, ob eine spekulative Anlage wie zum Beispiel Bitcoin überhaupt zulässig wäre, stellt sich die Frage, wie tokenisierte Assets grundsätzlich mit Eigenmitteln zu unterlegen wären. Und die Antwort?Aktien erfordern bekanntlich die höchste Unterlegung. Viel spricht dafür, dass gerade für Security Token das Gleiche gilt, und möglicherweise würden dann zum Beispiel Immobilien in Form von Token eher wie Aktien zu unterlegen sein und somit deutlich höher als klassische Immobilien. Ob und unter welchen Umständen eine Durchschau erfolgen kann, im Hinblick auf Risikomanagement oder Eigenmittelunterlegung, ist eine weitere spannende Frage. Auch darauf muss man also achten, und es gibt weitere Aspekte. Welche wären das?Als die heutige Regulierung für Versicherer, Pensionsfonds, Banken, Assetmanager und so weiter entwickelt wurde, hat noch niemand an die Blockchain, an Kryptotoken und die daraus resultierenden Anforderungen und Risiken gedacht. Egal ob nun ein Token durch ein reales Asset besichert ist oder nicht, insbesondere das gesamte Risikomanagement und die ganzen Annahmen und Modelle müssen daher zunächst auf ihre Blockchain-Tauglichkeit überprüft werden. Auch wenn man aber zum Beispiel Kryptotoken als Sachen behandelt, was wie bereits gesagt einen gewissen Charme hätte, kommt man an dieser Übung allerdings nicht vorbei. Gerade im institutionellen Bereich sehe ich daher auch noch viele Steine. Profitieren also vor allem Privatanleger von der Tokenisierung der realen Vermögensgegenstände?Für Privatanleger ist der Gedanke, dass in der Token-Ökonomie alle Anlageklassen auch für sie vollumfänglich investierbar werden, natürlich verlockend. Aber?Aber momentan fehlt mir da ehrlich gesagt die Fantasie, wie die privatanlegerorientierte Finanzmarktregulierung – wie zum Beispiel Mifid – komplexe Strategien und Anlagekonzepte in Tokenform in Beratung und Vertrieb anleger- und risikoorientiert erfassen und umsetzen soll. Ein von Siri maßgeschneidertes Portfolio für Privatanleger sehe ich jedenfalls nicht. Das ist aber sicherlich ein schönes Themengebiet für die nächste Mifid-Novelle. Eine neue Technik wird jedenfalls geltende Regulierungsstandards weder aufweichen noch ersetzen können. Nicht ohne Grund macht die BaFin ja auch bei der aufsichtsrechtlichen Einordnung von Token eine Einzelfallbetrachtung. Wie wird sich die Tokenisierung Ihrer Ansicht nach auf die Asset-Allokation von institutionellen Investoren auswirken?Wenn wir wirklich auf dem Weg in eine vollständig tokenisierte Asset-Allokation sind, sind zunächst noch sehr viele Schritte zu gehen, und zwar auch außerhalb der Blockchain. Nicht nur der regulatorische Rahmen für Produktanbieter und Investoren muss angepasst werden, es geht zunächst um fundamentale Rechtsfragen im Zivil- beziehungsweise Sachenrecht und natürlich auch im Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht. Erst wenn hier absolute Rechtssicherheit herrscht, wird es meines Erachtens nennenswerte Investitionen im institutionellen Bereich geben. Ohne dies vertiefen zu wollen, aber geklärt werden müssen auch vermeintliche Nebensächlichkeiten, zum Beispiel wie ein Token gepfändet wird. Dies ist unter anderem wichtig für das sogenannte Collateral Management, und hierzu gibt es bereits ein Pilotprojekt von Bundesbank und Deutscher Börse mit dem vielversprechenden Namen “Blockbaster”! Und das ist keine Science-Fiction. Dennoch wird ja schon in Token investiert . . .Ja, auf der Anlageseite sehen wir im Spezialfondsbereich schon erste Schritte, nämlich wenn diese zur Beimischung auch in Token investieren. Die Verwahrung von Kryptoassets ist ja mittlerweile in Deutschland möglich, und das war ein wichtiger Schritt. Für Spezialfonds gibt es – zumindest im Aufsichtsrecht – keinen Numerus clausus der Vermögensgegenstände, in die investiert werden darf. Also rein in die Blockchain. Family Offices, vermögende Privatanleger und natürlich technologieaffine Anleger sind dabei die Vorreiter. Und wie sieht es mit dem Ertragspotenzial für die Institutionellen aus?Hier gilt, dass auch die Bitcoin-Medaille zwei Seiten hat. Dem vermeintlich enormen Kurspotenzial steht eine ebenso enorme Volatilität gegenüber. Aber welcher – eher konservativ eingestellte – Investor möchte diese denn haben? Wenn dann auch noch die Tokenisierung von illiquiden Assets zu einer Reduzierung oder gar dem Wegfall von Illiquiditätsprämien führen würde, werden manche Anleger bestimmt ins Grübeln geraten. Möglicherweise werden Token auf Aktien oder Anleihen mehr nachgefragt sein als solche auf Immobilien, Infrastruktur, Private Equity & Co., weil sie für das Gros der Anleger leichter zu verstehen sind. Bleibt dann bei den komplizierteren Anlageklassen nicht doch eine gewisse “Prämie”?Für mich ist zunächst eine spannende Vorfrage, wie werden sich die Handelsplätze in einer Token-Ökonomie entwickeln? Werden sich bestehende Börsen für Token öffnen, wird es alternative Handelsplätze speziell für Token geben, welche Arten von Token werden dort jeweils gehandelt, und welche regulatorischen Anforderungen gelten dort? Größe, Zugang und Funktionalität eines Marktplatzes sind nun einmal wichtige Voraussetzungen für signifikante Handelsaktivitäten, und derzeit dominieren Aktien und Anleihen die Finanzmärkte. Es gibt aber genug Potenzial für andere Assetklassen, wie zum Beispiel auch die Entwicklung der Reits gezeigt hat. In jeder Assetklasse wird es besondere – faktorspezifische – Prämien geben, die für Investoren von Interesse sein können. Und das wird auch in der Token-Ökonomie so sein, gegebenenfalls werden dann zum Beispiel Illiquiditätsprämien durch Komplexitätsprämien ersetzt. Ist es möglich, dass ein eigentlich wenig liquides oder illiquides Asset als realer Vermögensgegenstand und zugleich als Token gehandelt wird?Kryptowerte sind – in Anlehnung an die Definition im KWG – ja die digitale Abbildung eines intrinsischen oder marktseitig zugesprochenen Wertes. Dabei wird dieser zwar weder von einer Zentralbank beziehungsweise öffentlichen Stelle emittiert beziehungsweise garantiert und besitzt auch nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld. Jedoch wird er von natürlichen beziehungsweise juristischen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert oder dient Anlagezwecken und kann dabei auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden. Das reale Asset bleibt also neben dem Token bestehen.Ja, der Begriff “Abbildung” macht deutlich, dass Underlying und Token auseinanderfallen können. Dies gilt vor allem, weil Funktion und Eigenschaft eines Tokens beliebig ausgestaltet werden können. Digitales Abbild heißt aber natürlich nicht, dass sich der Vermögensgegenstand dadurch verdoppelt. Einen Parallelhandel kann und darf es daher nicht geben, ansonsten würde nämlich auch die Verifikations- und Vertrauensfunktion der Blockchain, quasi ihre Existenzberechtigung, ausgehebelt. Hier sind dann Gesetzgeber und Regulator gefordert . . .So ist es. Genau hier besteht eine der wesentlichen Herausforderungen für den Gesetzgeber, nämlich technische und rechtliche Detail- und Umsetzungsfragen, Medienbrüche et cetera systematisch und sorgfältig zu erfassen und zu lösen. Es geht ja um nicht viel weniger, als nun endlich zu einer vollständigen Reform des entmaterialisierten Wertpapierrechts anzusetzen, wie es der Münsteraner Universitätsprofessor Matthias Casper so schön formuliert hat. Und Investoren können sich schon einmal auf spannende und herausfordernde neue Produktprozesse einstellen. Und natürlich wird auch das Risikomanagement in der Token-Ökonomie ein ganz anderes sein. Last but not least steht dann auch noch die Zusammenführung der Token-Ökonomie mit dem Sustainable-Finance-Gedanken an. Das Interview führte Christiane Lang.