FINANZEN & TECHNIK - IM INTERVIEW: SVEN DEGLOW, COMDIRECT

"Digitalisierung beginnt im Kopf"

Der Generalbevollmächtigte zur digitalen Transformation, der Fintech-Szene und dem "Garagen-Feeling"

"Digitalisierung beginnt im Kopf"

– Herr Deglow, vor 20 Jahren standen Direktbanken dort, wo Fintech-Unternehmen heute gesehen werden. Erkennen Sie sich in der neuen Konkurrenz wieder?Die Frage kann ich klar mit Ja beantworten. Wenn ich die Kollegen frage, die schon seit 20 Jahren im Haus sind, dann gleichen ihre Erinnerungen den Bildern, die ich derzeit sehe, wenn ich in Hamburg oder Berlin in der Fintech-Szene unterwegs bin. Man sitzt in einem Raum, an einem Tisch, wirft sich die Bälle gegenseitig zu und freut sich über erste Erfolge. Hinzu kommt, dass auch Comdirect immer wieder revolutionär war, beispielsweise indem sie im Gründungsjahr 1995 als neues Bankformat startete, und auch später, als sie das Brokerage-Geschäft breitenwirksam technisch einfach gemacht hat. Da gibt es viele Parallelen.- Sehen Sie die Fintechs also eher als Chance denn als Bedrohung?Wir haben schnell für uns erkannt, dass Fintechs ein großes Kreativitätspotenzial haben und einen Innovationspool bieten. Aufgrund unserer Genetik sehen wir das eher als Chance. Wir haben ein gesundes Verhältnis zur Fintech-Szene. Beispielsweise bieten wir in unserem Angebot eine Plattform für Wikifolio, mit der unsere Kunden Strategien erfahrener Trader folgen können.- Was ist denn aus der Kooperation mit Lendstar geworden, von der Anfang des Jahres zu lesen war?Im Verlauf zeigte sich, dass wir in einigen Punkten unterschiedliche Auffassungen zum weiteren Vorgehen hatten. Die Auflösung der Kooperation ändert aber nichts daran, dass digitale Lösungen für uns extrem wichtig sind und es auch künftig gilt, mutig Neues auszuprobieren.- Seit kurzem fungiert die Comdirect-Tochter Ebase als depotführendes Institut für die Konten des Berliner Start-ups Cashboard. Was hat Ihr Haus davon?An diesem Modell sieht man, dass die Fintechs für eine verlässliche Abwicklung auf vertrauensvolle Banken zurückgreifen. Unsere Tochter Ebase bietet derartige Lösungen bereits für mehrere Fintechs an. Uns freut natürlich, dass diese Kooperation entstanden ist, und wir sind gespannt, wie sich die Kundenresonanz auf Cashboard entwickelt.- Sind weitere Kooperationen geplant?Wir sind in der Lage, viele spannende Sachen selbst zu machen. Dennoch schauen wir uns natürlich immer mal wieder um und führen auch Gespräche.- Welche Impulse hat der Fintech-Bereich Ihnen bislang gegeben?Vor einem Jahr haben wir die “Bessere Geldanlage” auf den Markt gebracht. Damit helfen wir unseren Kunden, Geld möglichst einfach, kostengünstig und in drei Klicks anzulegen. Das Tool haben wir in kurzen sogenannten Sprints gebaut und sind schnell damit live gegangen – ähnlich wie Fintechs konsequent an Use Cases orientiert.- Sehen Sie weitere interessante Ansätze für sich?Als Broker stellt sich für uns die Frage: Wie können wir unser Angebot verbessern? Uns interessiert auch, was im Trading passiert, etwa bei den Follower-Konzepten. Beim Thema Payment geht es um die Vereinfachung des Zahlungsverkehrs, da werden wir bald mit einer neuen Lösung an den Markt gehen. Da gibt es noch Potenzial, es für den Kunden durch konsequente Digitalisierung deutlich einfacher zu machen, also durch Umwandlung von papierbasierten Vorgängen in digitale.- Wie soll Ihre Lösung aussehen?Mit der Comdirect smartPay App fotografiert der Kunde Rechnungen mit dem Smartphone. Dieses Bild beziehungsweise die darin enthaltenen Informationen werden analysiert und in die Überweisungsmaske übernommen. Nach kurzer Kontrolle kann der Kunde die Überweisung freigeben. Go-Live für die neue App ist im September.- Eine andere Commerzbank-Tochter, die polnische MBank, sorgt für Aufsehen mit ihrem Digitalisierungsansatz im Massengeschäft. Wollen Sie sich dort etwas abschauen?Ich war dieses Jahr bereits bei der MBank, es gibt einen guten Austausch und es gibt durchaus Produkte, über die wir nachdenken. Es stellen sich aber auch Fragen wie: Haben wir die gleiche Kundschaft? Wie sind die regulatorischen Anforderungen? Da gibt es teilweise große Unterschiede. Gleichzeitig hätten die Kollegen in Polen gerne auch die ein oder andere Lösung, die wir hier in Deutschland anbieten.- Zum Beispiel?Die MBank findet unsere VideoIdent-Lösung interessant. Jedes Land muss sich da allerdings – wie bereits erwähnt – auch anderen regulatorischen Herausforderungen stellen.- Spüren Sie vermehrten Erwartungsdruck seitens der Kunden durch die Digitalisierung?Kein Kunde fragt zunächst nach VideoIdent, eher sagt er, es wäre schön, wenn bei einer Kontoeröffnung der Gang zur Post entfallen könnte. Durch die Regelungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sind neue Legitimationsverfahren durch Video möglich geworden. Das eröffnet noch ganz andere Chancen und ist nur der Anfang.- Sind Produktthemen wie VideoIdent oder Kontoentsperrung per Video-Chat nicht doch eher kleinere Usability-Verbesserungen?Da muss ich widersprechen. Wenn man zum Beispiel dreimal die falsche PIN eingegeben hatte und das Konto gesperrt wurde, musste man erst aufwendig schriftlich per Fax oder postalisch einen Unterschriftsnachweis erbringen. Stellen Sie sich das einmal im Urlaub vor! Dafür haben wir die Kontoentsperrung per Video entwickelt. Der Prozess wird deutlich vereinfacht und beschleunigt. Gerade dieses Thema ist etwas, das Digitalisierung ausmacht.- Welche Trends sehen Sie noch?Ich bin davon überzeugt, dass es viel mehr Angebote im mobilen Bereich geben wird. Heute ist noch vieles Desktop-orientiert. Das Thema Banking wird deutlich einfacher und intuitiver werden. Denn auch das können wir von Fintechs lernen: Dinge smarter zu machen. Digitalisierung beginnt im Übrigen auch im Kopf, nicht nur in den IT-Systemen, Webseiten oder Apps. Was ich meine, sind vollständig elektronisch effiziente Prozesse im Hintergrund. Es geht um die gesamte Einstellung zu digitalen Prozessen, darum anzuerkennen, dass Digitalisierung da ist.- Sind die Fintechs hierbei nicht schneller und agiler?Ja, Schnelligkeit ist ein großes Thema. Deshalb nutzen wir bei Comdirect übrigens auch schon seit längerer Zeit agile Arbeitsmethoden. Wenn Sie frühere Entwicklungszeiten von Bankprodukten betrachten, dann wurde alle drei bis vier Jahre mal ein neues Produkt an den Markt gebracht. Nun haben wir die Innovationszyklen deutlich verkürzt. Zudem haben wir vor kurzem neue Projektflächen geschaffen, die unserer Agilität zugutekommen. Unter anderem gibt es da einen Raum, der sich Garage nennt, da wollten wir ein Garagen-Feeling nachbauen. Wir fördern das nicht nur auf der Investitionsseite, sondern auch auf der Soft-Skill-Seite, bei der Zusammenarbeit. Das hat mit Bank nix mehr zu tun.- Die kleinen Fintech-Anbieter sind aber nicht das einzige Problem.Stimmt, man sollte die Tech-Giganten nicht vergessen. Google oder Apple etwa verlängern ihre Wertschöpfungsketten. Wenn man sich im Ausland zum Beispiel Google Compare, ein Vergleichsportal zu Finanzen und Versicherungen, ansieht: Das wird alles die Landschaft verändern. Bei Apple, Google, Paypal oder Facebook wird noch einiges passieren.- Beim ersten Bankathon, der Ende April in Frankfurt stattfand, war Ihr Haus unter den Sponsoren. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?Wir waren vor Ort mit einem eigenen Team, das mitprogrammiert hat. Unsere Kollegen waren begeistert, und wir überlegen, ob wir so etwas demnächst selbst veranstalten.—-Das Interview führte Franz Công Bùi.