SERIE: WER BRAUCHT NOCH BANKER? (TEIL 7)

Digitalisierung erfordert Innovationskultur

Börsen-Zeitung, 24.8.2017 Banken und Banker sind derzeit nicht zu beneiden. Zwar mögen die stärksten Eruptionen der vor knapp zehn Jahren ausgebrochenen Finanzmarktkrise überstanden sein. Auch gelingt es überwiegend, sich mit den neuen Regulierungs-...

Digitalisierung erfordert Innovationskultur

Banken und Banker sind derzeit nicht zu beneiden. Zwar mögen die stärksten Eruptionen der vor knapp zehn Jahren ausgebrochenen Finanzmarktkrise überstanden sein. Auch gelingt es überwiegend, sich mit den neuen Regulierungs- und Compliance-Regimes zu arrangieren und Risiken, wenngleich zu hohen Kosten, abzubauen. Doch gleichzeitig sieht sich die Finanzindustrie zunehmend der Wucht der digitalen Transformation ausgesetzt. Sie hat in der Tat das Potenzial, das klassische Banking aus den Angeln zu heben. Was passiert gerade?Vereinfacht gesagt ist die seit vielen Jahrhunderten erfolgreiche Positionierung der Banken als Mittler, die Geld einsammeln, um damit Finanzierungen unterschiedlichster Art zu tätigen, in Frage gestellt. Heute haben große Technologiekonzerne (insbesondere Google, Apple, Facebook und Amazon) oder in Nischen Fintechs die Möglichkeit, diese Mittlerfunktion zu übernehmen und wichtige Kundenschnittstellen zu besetzen. Gleichzeitig sind Technologiekonzerne in der Lage, Teile der heutigen Bankinfrastruktur – im Vergleich zu etablierten Finanzdienstleistern – als Nebenprodukt smarter und günstiger abzubilden. Sie kämpfen nicht mit einer gewachsenen und komplexen IT-Landschaft oder einem im Unternehmen zementierten Verständnis.Werden Banken daher in Zukunft auf ein sehr schmales Geschäftsmodell, eine unattraktive Sandwich-Position reduziert? Nicht zwingend. Banken verfügen über entscheidende Assets wie Kunden, Vertrauen, Daten, Talente und Ressourcen, von denen heutige Gründer nur träumen können. Auch haben sie immer wieder existenzielle Bedrohungen überwunden. In der Tat gestalten erfolgreiche Banken die digitale Transformation aktiv und fokussieren ihre Aktivitäten immer konsequenter auf essenzielle Kundenbedürfnisse und Schnittstellen. Um den Neukundenzugang – zumindest im Retailbereich – einfacher und günstiger zu gestalten, nutzen sie Angebote von Technologiekonzernen sowie Start-ups als Kooperationspartner und für Forschung und Entwicklung (R & D). Sie investieren in innovative, oft datengetriebene Geschäftsmodelle, unterstützt durch Cognitive AI und Cloud Computing, und fördern die API-Monetarisierung.Als Fundament dient eine sichere und robuste Bank, die ihre Aufbau- und Ablauforganisation vom Kunden her denkt und durch Einsatz neuer Technologien signifikante Kostenvorteile realisiert, zum Beispiel durch eine roboterbasierte Prozessautomatisierung oder die Eliminierung aufwendiger Reconciliation-Prozesse durch Einsatz der Distributed-Ledger-Technologie. Kostendruck greift um sichDie Frage ist nun: Was bedeuten diese Veränderungen, die weiter an Dynamik gewinnen, für den Arbeitsplatz eines Bankers? Der hohe Kostendruck führt dazu, dass zunächst verstärkt repetitive Aufgaben und Geschäfte mit überschaubarer Komplexität durch digitale Lösungen ersetzt werden. Allerdings werden zunehmend auch deutlich komplexere Aufgabenstellungen – beispielsweise durch Einsatz von künstlicher Intelligenz – digital abgebildet, wie die Beispiele Chatbots, Robo Advisory, Geschäftsanalysen und Geschäftsteilabschlüsse zeigen. Selbst Research-Berichte werden von Computeralgorithmen geschrieben.Betroffen hiervon sind folglich mitnichten nur Arbeitsplätze in den viel zitierten Abwicklungseinheiten und Service-Gesellschaften einer Bank. Gleichzeitig entstehen auch neue Arbeitsplätze, allerdings in geringerem Umfang und mit weitestgehend branchenunabhängigem Anforderungsprofil, zum Beispiel mit Technologiefokus wie auf künstlicher Intelligenz, Cyber-Security-Lösungen und die Distributed-Ledger-Technologie.Für “klassische” Banker eröffnet sich durch diesen Wandel die Chance, ihren bestehenden Arbeitsplatz aufzuwerten. Wenn beispielsweise administrative Tätigkeiten entfallen, haben Berater die Möglichkeit, sich auf die wertstiftende und bedarfsgerechte Interaktion mit Kunden über alle Kanäle hinweg zu konzentrieren und sie durch ein zunehmend komplexes, volatiles Umfeld zu navigieren. Damit bauen sie das bestehende Vertrauensverhältnis aus und schaffen – gerade in Zeiten permanenten Wandels – eine stärkere Bindung an die eigene Organisation.Dagegen rückt die Entwicklung innovativer digitaler Geschäftsmodelle, Plattformen und Services – jenseits des klassischen Finanzdienstleistungsspektrums – erst langsam in den Fokus etablierter Banken. Diese sind essenziell, um langfristig wesentliche Kundenschnittstellen zu sichern, die Bankinfrastruktur auszulasten und in der Folge die Profitabilität zu stärken. So werden Arbeitsplätze gesichert und es entstehen neue. Solche Geschäftsmodelle und Services können oft mit geringer Mitarbeiterzahl aufgebaut und betrieben werden, so hatte etwa Instagram zum Zeitpunkt ihrer Übernahme bei etwa 30 Millionen Nutzern nur rund ein Dutzend Mitarbeiter.Während die “End-2-End”-Digitalisierung bestehender Geschäftsmodelle und Prozesse über dedizierte Einheiten und Projekte noch recht gut funktioniert, bedarf eine tiefgreifende digitale Transformation, die Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle eingeschlossen, einer Steigerung der Innovationskraft in der Breite der Bank. Keine “Alleskönner”Welche Führungskräfte brauchen die neuen Banken? Da wir nicht wissen, welche neue Spielart der Disruption morgen über uns hereinbricht, sind umso mehr Führungskräfte gefragt, die Veränderung als das neue Normale begreifen. Dabei ist eben nicht gefordert, dass Führungskräfte Visionäre oder gar “Alleskönner” sind – entscheidend ist, dass sie offen und neugierig bleiben und in der Lage sind, einen Rahmen zu schaffen, in dem Teams innovativ sein können und wollen. Hierzu gehört, eine Innovationskultur auf den Weg zu bringen, die viele Attribute trägt, die entwickelt werden können: die Definition eines inspirierenden Daseinszwecks sowie Werte, die Innovationen stützen und ein einheitliches Verständnis der “Einstellung zu …” sowie der Art des Umgangs mit anderen Denkweisen und Ideen. Dazu gehört auch das Fördern einer konstruktiven Reibung in der Sache, diszipliniertes Experimentieren, bis hin zu neuen Ansätzen der kreativen Problemlösungen.Hierarchie, Abteilungen, Berichtswege, formale Zuständigkeiten? Viel spannender ist es doch, in offenen, bereichsübergreifenden Kontexten bestehende Geschäftsmodelle und Prozesse zu hinterfragen, maximale Kreativität zu entfesseln und dabei den Kunden konsequent ins Zentrum allen Handelns zu stellen. Das ist eine große Aufgabe. Denn strategisch haben viele Banken einen Zielkorridor ihrer eigenen Transformation formuliert, operieren aber oft mit einer Unternehmenskultur, die nur im alten Kontext greift. In einer solchen Innovationskultur neuen Stils haben Banker, die über entsprechende Kompetenzen und Potenziale verfügen, diverse Möglichkeiten, sich neuen Aufgaben zu widmen.”Wir kennen die Zukunft nicht”, sagte der CEO einer großen deutschen Bank unlängst auf einem Podium – ein zweifellos mutiger Satz, der unseres Erachtens Stärke ausdrückt und keinesfalls Orientierungslosigkeit. Denn das Wissen um die eigenen Grenzen ist oft der beste Treiber für einen offenen, inspirierenden Diskurs mit Dritten. Entscheidend für einen CEO ist, Diskussionen in die richtige Richtung zu lenken, den Kontext für Innovation zu schaffen und die gewünschte Veränderung authentisch vorzuleben. Hier wäre auch eine neue, andere Erwartungshaltung der Gesellschaft an Unternehmenslenker angebracht, die allzu häufig noch den CEO als “Alleskönner” und “Visionär” vor sich sieht.Banken, die sich so auf diese Reise gemacht haben, werden die Digitalisierung nicht erleiden, sondern mit Gewinn für ihre Kunden und sich selbst gestalten.—-Zuletzt erschienen: – In 127 Schritten aufs Parkett (23. August)- Warten auf die Revolution (19. August)- Wie Digitalisierung den Jobmarkt umkrempelt (17. August) —-Birgit Storz, Mitglied der Praxisgruppe Financial Services der Beratungsfirma Egon Zehnder —-Christian Redhardt, Leiter der Praxisgruppe Financial Services der Beratungsfirma Egon Zehnder